Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt. – Joh 6,27
Zu meinen Kindheitserinnerungen zählen für mich die Tage bei meinen Großeltern in einem kleinen Dorf in Mittelfranken, die Gerüche in der Küche und vor allem: die Stille dort - nur unterbrochen durch das gleichmäßige Ticken der Küchenuhr. Auch in meinem damaligen Münchener Innenstadt-Zuhause hat eine Küchenuhr getickt, aber ihr Geräusch wurde überlagert durch den ständigen Verkehrsstrom auf der einen Seite des Hauses und durch das typische Klirren und Plappern eines gut gehenden traditionellen Münchener Biergartens auf der anderen Seite bis spät in die Nacht.
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Nach rund 50 Jahren und in meinem jetzigen Wohnort in Scheyern schoss mir diese Erinnerung unvermittelt in den Kopf, denn: Ich konnte wieder diese Stille hören und in ihr das beständige Ticken meiner Küchenuhr. Kein Autogeräusch auf der vielbefahrenen Durchgangsstraße auf der einen Seite und kein startendes Flugzeug auf der, dem Münchener Flughafen zugewandten Seite meines Hauses. Das geschäftige Treiben unserer Welt, das sich in schnellen Fortbewegungsmitteln manifestiert, war für ungekannt lange Augenblicke wahrnehmbar zum Erliegen gekommen.
„Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt“. Wie viel Flug- und Autoverkehr ließe sich diesem Satz aus dem Johannes-Evangelium unmittelbar zuordnen? Wie viele Flugkilometer sind schlicht überflüssig? Wie viele Autofahrten wären eigentlich nicht notwendig bei näherer Betrachtung? Wie sehr verhindert unser geschäftiges Treiben und beständiges Unterwegssein nicht vielmehr das Auffinden der „Speise, die für das ewige Leben bleibt“?
Zur Zeit erfahren wir den Verlust zahlreicher Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten. Manche stellen uns womöglich vor existentielle Herausforderungen, andere öffnen uns vielleicht neue Türen, z.B. zur Stille, zur Ruhe, zum Heraussteigen aus dem Hamsterrad. Bruder David Steindl-Rast, Benediktiner im Europakloster Gut Aich am Wolfgangsee bringt den Wert der Stille in diesen Tagen folgendermaßen zum Ausdruck:
„Liebe Brüder und Schwestern, diese Pandemie ist eine einmalige Gelegenheit, anzuhalten, uns nach innen zu wenden und still zu sein - zu schweigen. Wenn wir berufen sind, den Kranken, den wirtschaftlich Gefährdeten oder den offiziellen Entscheidungsträgern beizustehen, kann unsere Antwort unverzüglich gefordert sein. Aber auch dann muss sie aus der Stille kommen. Nur, was in der Stille wurzelt, kann Frucht tragen.“
Frucht tragen und Speise für das ewige Leben suchen, darum geht es ja letztlich in unserem Leben. Darauf kann uns diese „Corona-Zeit“ hinführen. Das ist nicht einfach so dahin gesagt, denn, schneller als man sich das vorstellen mag, kann die Speise für das ewige Leben von absolut existentieller Bedeutung sein. Das musste ich in meiner Familie in diesen Tagen schmerzlich selber erfahren. Und so mag das Ticken einer Uhr auch ein Symbol für die Vergänglichkeit unseres Lebens sein. Gut, wenn wir es im Getriebe des Alltags nicht immer überhören, sondern ihr beständiges Vorwärtsklicken von Zeit zu Zeit bewusst wahrnehmen, in der Stille, in der Ruhe, in der Begegnung mit Gott.
Genau das wünsche ich ihnen, den Mut, in der Stille dem Großen Geheimnis zu begegnen.
Text: Johannes Seibold