Leben (dr)innen neu entdecken Impuls für Samstag, 11. April 2020 von Dr. Judith Müller

Das Land erhält seine Sabbate ersetzt

Als am 16. März 2020 erst die Schulen und Kitas schlossen, in den folgenden Tagen das öffentliche Leben rapide zurückgefahren wurde und auf einmal beklemmender öffentlicher Stillstand eintrat – da tauchte in mir ein Vers aus dem Alten Testament auf:
„Das Land erhält seine Sabbate ersetzt“ (vgl. Lev 26,34, ähnlich 2 Chr 36,21).
verlassener, zerfallener Hausflur
Foto: Peter H / pixabay
Im Bild eines großen unfreiwilligen Sabbats deutet dieser Vers eine der einschneidendsten Erfahrungen des Volkes Israel, die Katastrophe des Babylonischen Exils (597 - 538 v. Chr.). Der Jerusalemer Tempel ist zerstört. Kult ist nicht mehr möglich. Wesentliche Teile des Volkes sind nach Babylon verschleppt. Und das Land liegt brach. Es holt sich das zurück, was ihm vorenthalten wurde – so sehen es die Verfasser dieser Schriften. Denn Israel hat die gebotenen Sabbate, die heilsamen Unterbrechungen für Mensch, Vieh und Land oft und oft ignoriert.

Karsamstag. Ein Sabbat. Karsamstag 2020 – mehr als ein Tag. Zustand der Welt.
Wie getrieben waren wir eigentlich? Wie unvorstellbar war für uns, dass auch mal alles stillstehen kann. Dass die Logik von beständigem Wachstum, Gewinnmaximierung, Selbstoptimierung, Erlebnissteigerung und grenzenloser individueller Freiheit plötzlich in Frage stehen könnte – noch zu Jahresbeginn undenkbar. Und nun steht alles still.

Karsamstag. Der Sabbat nach dem Tode Jesu. Ein „großer Feiertag“ (Joh 19,31).
In Dom- und Klosterkirchen feiert man an diesem Tag normalerweise die Karmetten, Gesänge und Lesungen aus dem Buch der Klagelieder, Lieder tiefer Erschütterung. Sie beklagen die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und das Leid des Babylonischen Exils. 

Wenn der Sabbat vorüber sein wird, wird der Ostermorgen anbrechen. Wie aber wird er sein, der Ostermorgen nach „Corona“? Manche hoffen auf „Wiederauferstehung“ – ein Wort, das sich in der jährlichen Berichterstattung zum christlichen Osterfest hartnäckig festgesetzt hat. „Wiederauferstehung“ – dann könnten wir da wieder weitermachen, wo wir aufgehört haben. Möglichst bald zurückfinden zu den alten Routinen.

Meine Sehnsucht aber heißt Auferstehung. Neues Leben – nicht nur für die Toten, sondern auch für die Lebenden. Eine neue Welt in menschlichem Maß, Solidarität und Gerechtigkeit für alle.

Es seufzt in mir:
Herr, sende aus deinen Geist und erneuere das Antlitz der Erde.

Text: Dr. Judith Müller

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