Obdachlosenhilfe zu Corona-Zeiten – ein Ortsbesuch in St. Bonifaz

Die Abtei St. Bonifaz in der Karlstraße ist einer der Anlauforte für Obdachlose in München – seit bald 30 Jahren. Wegen der Ansteckungsgefahr in der Corona-Krise musste die Hilfe allerdings eingeschränkt werden. Ein Ortsbesuch.
Obdachlosenhilfe in St. Bonifaz München in Corona-Zeiten
Frater Emmanuel Rotter OSB lehnt sich aus dem Fenster im Erdgeschoss und ruft ein „Hallo“ über den Innenhof von St. Bonifaz, dabei nickt er leicht mit dem Kopf. Draußen – einige Meter entfernt – holt sich ein Obdachloser ein Essenspaket ab, den er kennt, mit dem er wahrscheinlich schon ein Gespräch geführt hat im Speisesaal der Abtei in der Münchner Maxvorstadt. Zu normalen Zeiten werden dort täglich rund 250 Menschen mit Getränken und einer warmen Speise versorgt.

Doch jetzt, in Corona-Zeiten, müssen Frater Emmanuel, die Ehrenamtlichen – heute ist es Michi – und die Obdachlosen Abstand voneinander halten.
Deshalb stehen im sonst belebten Speisesaal alle Stühle auf den Tischen, wie nach einer Putzaktion. Der Raum wirkt verlassen – wären da nicht die braunen Papiertüten auf dem Boden aufgereiht, die der Ordensmann und Michi am Morgen mit Mundschutz vorbereitet haben. Sie beinhalten jeweils ein belegtes Brot, Gebäck, zwei Eier – in der vorösterlichen Zeit bunt gefärbt –, einen Apfel, eine Banane und ein Getränk. Oft Fanta, auf Wunsch wird die Halbliterflasche aber auch durch Apfelschorle oder Wasser ersetzt – und wenn jemand darum bittet, gibt’s auch mal eine zweite Banane.

Frater Emmanuel holt immer wieder neue Tüten aus dem Speisesaal und stellt sie in der Küche ab, bereit für die Ausgabe. Vor dem Fenster erscheint Michi: „Fünfmal normal“, sagt er hinter seinem Mundschutz – und entsprechend reicht Frater Emmanuel ihm fünf Tüten hinaus.

Michi nimmt jeweils zwei Tüten und überreicht sie den Obdachlosen, wobei Abstand gewahrt wird. „Immer zehn werden in den Hof gelassen“, erklärt Frater Emmanuel. Ein Wachmann am Eingang zur Karlstraße regelt den Einlass, jeden Morgen zwischen 10 Uhr und 11 Uhr.

Was ist schon normal in diesen Tagen?

Seit gut drei Wochen ist der Betrieb eingeschränkt. Normalerweise können Menschen ohne Obdach bereits morgens ab 7 Uhr in den Speisesaal kommen, etwas trinken und sich aufwärmen, ab 8 Uhr erhalten sie eine warme Mahlzeit und Gebäck. Sie können – wenn sie wollen – stundenlang an den Tischen sitzen, sich austauschen oder gemeinsam schweigen. Mehr noch: Sie haben die Möglichkeit zu duschen und sich nötige neue – gebrauchte - Kleidung zu holen. Sie können sich ärztlich behandeln und vom Sozialdienst beraten lassen. Doch was ist schon normal in diesen Tagen?

Im Zuge der Corona-Krise musste Frater Emmanuel die Obdachlosenhilfe stark herunterfahren, wegen der Ansteckungsgefahr für das eigene Personal – darunter viele Ehrenamtliche im Seniorenalter, die nun pausieren müssen – und für die Obdachlosen. Die Sanitärräume sind zu, da dort die Abstandsregeln nicht gewahrt werden können. Statt einer warmen Mahlzeit gibt es die Frühstückstüten zum Mitnehmen, die Beratung erfolgt telefonisch. Die Kleiderausgabe hat die nahe gelegene Bahnhofsmission zentral übernommen. Immerhin: Die Arztbehandlung kann aufrechterhalten werden, was wichtig ist, da viele Obdachlose keine Krankenversicherung und wunde Füße und Beine haben, die versorgt werden müssen. Und Postsendungen sowie Sozialleistungen werden wie gehabt für die Obdachlosen entgegengenommen und verteilt.

„Hungern muss keiner!“

Die meisten von ihnen nehmen die Einschränkungen nach Angaben von Frater Emmanuel klaglos hin. „Sie sind wirklich sehr diszipliniert“, sagt er anerkennend, während er Nachschub aus dem Speiseraum bringt. Und: „Ich bin froh, dass die Stadt München ihr Hilfsprogramm hochgefahren hat.“ Denn anders als zuvor dürfen Obdachlose nun in der Unterkunft in der Bayernkaserne im Norden der Stadt auch tagsüber bleiben, inklusive Verköstigung. Zudem verteilt die Stadt inzwischen an zwei Orten in der Stadt Essen an so genannten Foodtrucks. Einer steht nur wenige Straßen entfernt beim riesigen roten „Ring ’96“ von Mauro Staccioli nahe dem Hauptbahnhof. Entsprechend kommen weniger Obdachlose zu St. Bonifaz: 120 Tüten verteilen Frater Emmanuel und seine Ehrenamtlichen nun täglich.

„Die Verpflegung ist gewährleistet, hungern muss keiner“, sagt Frater Emmanuel. Bislang ist ihm und seinen Helfern auch niemand untergekommen, der Symptome von Covid-19 gezeigt hätte. Trotzdem treibt ihn die Sorge um, dass die Maßnahmen lange andauern könnten. Nicht alle Obdachlose wollen in eine Großunterkunft wie in der Bayernkaserne, wo sie sich unfreier fühlen und Alkohol strikt verboten ist. Jenen, die weiterhin im Freien oder in Hauseingängen schlafen, fehlen nun aber Möglichkeiten, sich zu waschen, warme Speisen und ein Ort, an dem sie sich im Trockenen und Warmen aufhalten können. „Auf Dauer ist das für die Menschen katastrophal“, sagt er. Und auch die Abtei spürt bereits die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise: Er hat die Festangestellten in Kurzarbeit geschickt, der Betrieb von Andechs läuft eingeschränkt.

Selbst anpacken – ohne große Worte

Frater Emmanuel hat vor fast 30 Jahren die Obdachlosenhilfe aufgebaut, schon bald nach seinem Eintritt ins Kloster St. Bonifaz fing sein Engagement Anfang der 1990er-Jahre an. Den Orden der Benediktiner hatte der gelernte Schreiner und Krankenpfleger wegen der Spiritualität, der Gastfreundlichkeit, dem Gedanken des Dienens und der Unabhängigkeit gewählt – die Benediktiner erhalten keine Kirchensteuern, sondern erwirtschaften ihren Lebensunterhalt selbst, im Falle von St. Bonifaz über den Betrieb von Kloster Andechs. Die den Benediktinern zugeschriebenen Attribute passen gut zum Engagement des Geistlichen: den Bedürftigen dienen, sich in den Taten nicht abhängig machen von anderen, sondern selbst anpacken – und das alles ohne große Worte.

Dank tatkräftiger Unterstützung der Mitbrüder wurden die Aktivitäten peu à peu immer weiter ausgebaut, nach zehn Jahren stand 2001 das Haneberghaus, das Frater Emmanuel seitdem leitet. Rund 500.000 Euro fließen jährlich in die Obdachlosenhilfe. „Die Hälfte wird über Eigeneinnahmen finanziert, die andere Hälfte über Spenden und die Stadt München“, erzählt er. Die Stadt stellt das medizinische Personal und die Sicherheitsleute.

„Es ist weniger los auf der Straße, das hat nicht nur Nachteile“

Inzwischen sind die meisten Wohnungslosen verköstigt. Vor St. Bonifaz warten gerade nur drei bis vier Männer in der Schlange. Verstreut sind Obdachlose zu sehen, die ihre Brotzeit verspeisen, manche auf den Stufen zum Kirchenportal. Andere wechseln ein paar Worte miteinander. Außer auf Deutsch auch auf Italienisch oder in einer osteuropäischen Sprache.

Auf die Frage, ob sich durch die Corona-Krise etwas geändert habe, reagieren die meisten zurückhaltend, eher verneinend, abgesehen von den Einschränkungen bei St. Bonifaz. „Es ist weniger los auf der Straße, das hat nicht nur Nachteile“, sagt einer. Ein anderer, der sich Anton nennt, ist gesprächsfreudiger. Er nutze normalerweise gerne das Angebot der Stadtbibliotheken, um umsonst ins Internet zu kommen. Das fällt nun weg. Ebenso wie die Möglichkeit, sich beispielsweise im Gasteig in den späteren Abendstunden im Warmen aufzuhalten, bis er seinen Schlafplatz aufsucht. Das Beieinandersein in der Stube vermisse er zwar nicht wirklich. „Aber wenn es sich ergeben hat, habe ich Neuankömmlingen, die Arbeit suchen, bei Behördengängen begleitet“, erzählt er. Auch das fällt weg – wobei es derzeit angesichts geschlossener Grenzen nur wenige Neuankömmlinge geben dürfte.

Text: Sandra Tjong, freie Redakteurin

Weitere Einrichtungen im Bistum, die Obdachlosen helfen:


St. Bonifaz
Karlstr. 34
80333 München
Telefon: 089-55171-200
Fax: 089-55171-230
St-Bonifaz.Muenchen(at)ebmuc.de
https://www.sankt-bonifaz.de
P. Lukas Essendorfer OSB, Pfarradministrator
Abt Dr. Johannes Eckert, Seelsorgemithilfe
P. Ulrich Rothacker, Seelsorgemithilfe
Paul Hölzl, Diakon mit Zivilberuf
Zentralkolpinghaus: Hauskapelle