Haus am Ostfriedhof Ein Ort, an dem Trauer Platz hat

Mit dem Verlust eines lieben Menschen zurechtkommen, ist schwer. Das Haus am Ostfriedhof in München bietet nun eine Anlaufstelle für Trauernde. In dieser Form ist es wohl einzigartig in Deutschland.  
Außenansicht des Hauses am Ostfriedhof.
Das Haus am Ostfriedhof
 
Lüster im Haus am Ostfriedhof
Lüster der Künstlerin Barbara Fuchs
Im Haus am Ostfriedhof ist Platz für Scherben. Die Künstlerin Barbara Fuchs hat trauernde Menschen gebeten, ihr zerbrochenes Glas zu schenken. Daraus hat sie einen Lüster geschaffen, der nun in einem großen rund ausgeschnittenen Schacht hängt, der vom Dach bis zum Keller reicht, und durch den von oben Licht hineinfällt. Das bricht sich, funkelt in den Scherben und spiegelt sich ganz unten in einer Wasserschale wider. Dort, wo die Wände dunkler gestrichen sind und ein Bildschirm zum Totengedenken im Internet einlädt. „Lichtvertikale“ nennt Uli Keller diesen Schacht, der das Anliegen des Hauses am Ostfriedhof zusammenfasst: „Die Gestaltung zeigt, dass hier Menschen einen Platz für dunkle, schwere Stunden haben, dass aber ein Licht von oben kommt, eine Hoffnung, die über unsere Möglichkeiten hinausgeht.“ Gleich links vom Eingang ist diese Lichtvertikale zu sehen, auf die Uli Keller sofort deutet.
 
Blick in den Schacht, in dem der Lüster hängt.
Blick in den Schacht, in dem der Lüster hängt
Da sein, wo Menschen Seelsorger brauchen

Der Theologe ist im Erzbistum München und Freising für Trauerseelsorge zuständig. Vor zehn Jahren hatte er zusammen mit Mitstreitern die Idee für das Haus am Ostfriedhof. Es soll Menschen begleiten, die mit dem Verlust eines lieben Menschen zurechtkommen müssen. 12,5 Millionen Euro hat sich die katholische Kirche dieses Gebäude kosten lassen. In einer Zeit enormer gesellschaftlicher und religiöser Umbrüche, einer veränderten Bestattungs- und Erinnerungskultur. Viele Menschen seien unsicher, wie sie ihre Trauer ausdrücken können, erklärt Uli Keller. „Gleichzeitig leeren sich die Kirchen, aber ihre Aufgabe Menschen in existentiellen Herausforderungen zu begleiten, gibt es ja nach wie vor.“  Darum gehe die Trauerpastoral im Erzbistum an einen Ort, wo eine erschütternde innere Not unmittelbar erfahren werde – auf den Friedhof: „So dass wir Seelsorger nicht im Pfarramt aufgesucht werden müssen, sondern da sind, wo die Menschen uns unmittelbar brauchen können.“

Direkt neben dem modernsten Krematorium Deutschlands liegt das 1500 Quadratmeter große Haus am Ostfriedhof. Angemeldete Gruppen können dort Trauerfeiern abhalten. Etwa in den drei Stunden, die zwischen der Einäscherung eines Toten und der Beisetzung der Urne liegen. Durch eine ausgeklügelte Technik lassen sich sogar Verwandte oder Freunde aus anderen Ländern oder Kontinenten digital per Bild zuschalten. Ebenso kann die Trauergesellschaft hier zum Essen und Trinken zusammenkommen.
 
Einladung zum Totengedenken im Internet
Einladung zum Totengedenken im Internet
„Einzigartig in Deutschland“

Das Haus am Ostfriedhof beherbergt eine Gastronomie, in der sich immer ein Ansprechpartner aus der Seelsorge aufhält, der an seinem Namensschild sofort erkennbar ist. Das helle Café mit Restaurant ist zunächst täglich von 8.00 bis 17.00 Uhr geöffnet, also auch und gerade am Wochenende. „Das ist ein ganz wichtiger Zeitraum“, erklärt Uli Keller. „Das sind die Tage, wo Trauernde oft ganz alleine sind, weil der Freundeskreis am Wochenende sein Freizeitprogramm hat und Angehörige oft weit weg wohnen oder gar nicht vorhanden sind.“ In den großzügigen Räumen sollen sich abends zudem Gesprächs- oder Singkreise treffen können.

Auch unterschiedliche Kurse mit Körperübungen für Trauernde will Sonja Eichelbaum anbieten und hält Yogamatten und Decken dafür bereit. Die Theologin leitet das Haus am Ostfriedhof und überlegt sogar kleine Konzerte am Sonntagvormittag zu veranstalten: für Angehörige die das Grab ihrer Lieben besuchen oder für Trauernde, die der Blues plagt. Manchmal dauert der viele Jahre, und viele Frauen und Männer, genieren sich, wenn sie einfach nicht über den Verlust eines lieben Menschen hinwegkommen. Egal, wann und wie jemand trauert, im Haus am Ostfriedhof soll sie oder er eine Anlaufstelle finden. In dieser Form sei es in Deutschland wohl einzigartig, so Sonja Eichelbaum.
 
Sonja Eichelbaum und Ulli Keller
Ulrich Keller und Sonja Eichelbaum
Raum für alle Religionen und Konfessionslose

Die seelsorgerliche Arbeit startet sie mit drei hauptamtlichen Seelsorgestellen, zwei Bürokräften und 15 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Eine klassische Kapelle ist in dem Gebäude der katholischen Kirche übrigens nicht zu finden. Abschiedsfeiern und Gottesdienste können im sogenannten „Raum der Erinnerung und des Wandels“ begangen werden, der allen Religionen und auch Konfessionslosen offensteht. Ein geräumiger Saal, dessen große Fenster den Blick auf die vielen alten Bäume und die Grabstätten vor dem Haus freigeben. „Das ist eine ganz bewusste Entscheidung“, betont Sonja Eichelbaum, „weil unsere Seelsorge ja allumfassend sein und jeden Menschen ansprechen will, nicht nur die eigenen Gläubigen.“

Die Verantwortlichen im und für das Haus am Ostfriedhof wissen, dass nur noch ein Drittel der Münchner Bevölkerung katholisch oder evangelisch ist. 66 Prozent sind konfessionslos oder gehören einer anderen Religion an. Die großen Fenster und Türen im Haus am Ostfriedhof stehen nicht nur architektonisch für Offenheit. Sonja Eichelbaum will ein Haus führen, dass über konfessionelle, religiöse und kulturelle Grenzen hinweg einlädt. Eines, in dem Trauernde sich aufgenommen und geborgen fühlen und Hoffnung für sich und ihre Verstorbenen schöpfen. „Ich würde mich freuen, wenn sie hier rausgehen und sagen: Ich habe hier Menschen gefunden, die ein offenes Ohr für hatten für mich, sich mir zugewandt haben.“ Einen Ort, an dem die Scherben einen Platz finden, wenn der Tod das Leben zerbrochen hat.
 
Text: Alois Bierl, Chefreporter beim Sankt Michaelsbund, Juli 2024

Trauer und Trauma
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Ulrich Keller, Pastoralreferent