Zwei Teddybären sitzen auf einem Stuhl in der Ecke. Auf dem Tisch liegen Informationshefte und Malsachen bereit. Daneben eine kleine Osterkerze mit weißer Taube auf blau-gelbem Grund. Einladend soll das Zimmer wirken, das ursprünglich als Gruppenraum genutzt wurde und in dem jetzt Geflüchtete aus der Ukraine beraten werden. Erwachsene und Kinder, die psychische Belastungen haben oder psychisch krank sind, bekommen hier Hilfe. Im zweiten Stock eines Bürogebäudes, fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, bietet der „Psychologische Dienst für Ausländer“ des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising eine offene Sprechstunde auf Ukrainisch oder Russisch an. Jede und jeder kann kommen, Einzelpersonen oder Gruppen, eine Anmeldung ist nicht nötig.
Die Hälfte der Menschen berichte schon beim Erstkontakt über hochgradige psychische Belastungen, sagt Fachdienstleiterin Wiltrud Wystrychowski. „Die anderen 50 Prozent kommen erstmal mit anderen Themen, aber wenn sie wiederkommen, bringen sie mehr mit.“ Wystrychowski und Pädagogin Sava Brenjo, die die offene Sprechstunde organisiert, erzählen von Klientinnen und Klienten mit Schizophrenie oder in akuten psychischen Krisen. Andere haben Angstzustände, sorgen sich um Angehörige, die in der Ukraine geblieben sind. Auch Eltern kommen, die gemerkt haben, dass ihre Kinder sich verändert haben, beispielsweise aggressiv oder weinerlich geworden sind, und sich fragen, was sie tun sollen. Und das könnte erst der Anfang sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dienstes gehen davon aus, dass künftig mehr und stärker traumatisierte Personen kommen werden. „Je später die Menschen kommen, desto belasteter sind sie“, so Wystrychowski. „Wer wochenlang mit seinen Kindern in einem Bunker gesessen hat, braucht Unterstützung, um zu verhindern, dass sich eine psychische Störung manifestiert.“
Aufgaben vorübergehend neu verteilt Mehr als 60 Fälle hat die Beratungsstelle seit dem Start des Angebots vor rund acht Wochen gezählt. Als Fall gilt eine Einzelperson, Familie oder Gruppe, egal, wie viele Personen sie umfasst und wie oft diese zur Beratung kommen. Damit die Sprechstunde ihren Dienst überhaupt aufnehmen konnte, wurden innerhalb des Psychologischen Dienstes Aufgaben vorübergehend neu verteilt. Anfangs haben angestellte Fachkräfte, die eigentlich für andere Bereiche zuständig sind, die Beratung der Geflüchteten aus der Ukraine übernommen. Inzwischen sind drei ehrenamtliche Therapeutinnen und Therapeuten und eine angestellte Honorarkraft in der Sprechstunde tätig, einige von ihnen sprechen Ukrainisch oder Russisch. Hinzu kommen ehrenamtliche Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Auch Koordinatorin Sava Brenjo zweigt ihre Arbeitsstunden von anderen Bereichen ab und war zudem bereit, ihre Arbeitszeit vorübergehend aufzustocken.
Eine Dauerlösung ist das nicht. Schon vor dem Ausbruch des Krieges war der Psychologische Dienst für Ausländer gut ausgelastet und es gab Wartelisten. Dass jetzt kurzfristig das offene Angebot für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine dazugekommen ist, nagt zusätzlich an den Kapazitäten. Zumal es für den Dienst wie auch für andere Akteure im Bereich der Flüchtlingshilfe gerade immer schwieriger wird, Ehrenamtliche zu finden. Es könne durchaus sein, dass das Angebot der Sprechstunde reduziert werden müsse, sagt Wystrychowski. „Bis Ende Juni kriegen wir es gestemmt, dann müssen wir gucken.“ Sehr dankbar ist sie für die finanzielle Unterstützung der Projekte
NUR und
NURmobil, in deren Rahmen das Angebot stattfindet, durch das Erzbistum München und Freising. „2015 konnten wir etwas für Flüchtlinge tun, weil die Kirche uns unterstützt hat“, betont sie, „und sie unterstützt nach wie vor unsere Arbeit für Menschen, für die es sonst keine Unterstützung gibt.“
Tipps zum Umgang mit traumatisierten Menschen Die Arbeit wird dem Angebot jedenfalls so schnell nicht ausgehen. Nicht nur, weil mit schwereren Fällen zu rechnen ist. Auch immer mehr Menschen, die als Gastgeberinnen oder Gastgeber Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben, besuchen selbst die Sprechstunde, um sich Rat zu holen, oder begleiten ihre Gäste dorthin. Denn gerade der Umgang mit sehr belasteten oder traumatisierten Menschen ist oft für Nicht-Profis nicht einfach. Viele fühlen sich überfordert. Was tun, wenn eine Person oft traurig oder verstimmt ist, wenn sie nachts nicht schlafen kann? Wie kann ich helfen, wenn Kinder sehr unruhig sind und viel weinen? Was kann ich selbst leisten, wann ist fachliche Hilfe nötig?