"Der gute Wille zum Helfen muss gelenkt werden" Ein Gespräch mit Monsignore Boeck, Leiter der Abteilung Flucht, Asyl, Migration und Integration im Erzbistum

In der Erzdiözese München und Freising ist die Abteilung Flucht, Asyl, Migration und Integration (FAMI) die zentrale Stelle, die derzeit vor allem die Hilfen für die Ukraine koordiniert. Sie steuert die Vernetzung mit den beteiligten Akteuren, bietet Haupt- und Ehrenamtlichen Unterstützung an und gibt thematische Impulse. Ein Gespräch mit dem Leiter, Monsignore Rainer Boeck
 
Das Foto zeigt liegen am Info-Point am Münchner Hauptbahnhof, die für ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine aufgestellt wurden.
Ein Platz zum Schlafen: Am Münchner Hauptbahnhof wurden nahe des Caritas-Infopoints auch Liegen für Geflüchtete aus der Ukraine aufgestellt.
Monsignore Boeck , wie geht es Ihnen, wenn Sie täglich die Bilder aus der Ukraine im TV sehen?
Monsignore Boeck: Ich bin genauso entsetzt wie alle anderen Menschen. Dort wird ein Land, das sich die Freiheit erkämpft hatte, systematisch von einem diktatorischen System zerstört. Was mich als Flüchtlingsbeauftragten der Erzdiözese besonders bewegt, ist die Tatsache, dass dies wahnsinnige Flüchtlingsströme auslöst. Es ist eine der wohl größten Flüchtlingsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Zum Glück haben wir eine sehr große Willkommenskultur und erleben eine außerordentliche Solidarität mit den Geflüchteten. Was dies aber für uns auf lange Sicht bedeutet, kann man nicht sagen. Ich habe große Sorge, dass zur Flüchtlingskrise in Folge des Krieges auch noch eine soziale Krise hinzukommt.

Täglich kommen auch bei uns am Münchner Hauptbahnhof Züge mit Flüchtlingen an. Die Kirche ist mit Caritas und Bahnhofsmission als Erstkontakt direkt vor Ort. Wie wichtig ist diese Präsenz?

Boeck: Diese Präsenz ist enorm wichtig. Wir vom Ordinariat, die Caritas, IN VIA mit der Bahnhofsmission und viele andere kirchliche Verbände haben sich als erste mit einem Infopoint am Hauptbahnhof aufgestellt, die Menschen begrüßt und ihnen in ersten Schritten weitergeholfen.

Was geschieht dort am Infopoint?
Boeck: Wir sorgen dafür, dass die Geflüchteten erst einmal ein Dach über dem Kopf erhalten, dass sie registriert werden und somit in unser Sozialsystem kommen, damit sie die Leistungen, die ihnen zustehen, erhalten können. Wir versuchen auch, vor der Gefährdung durch mögliche Menschenhändler rund um den Hauptbahnhof zu warnen. Die Kirche ist hier wirklich an vorderster Stelle tätig.
 
Auf dem Foto ist Msgr. Boeck zu sehen. Er leitet die Abteilung Flucht, Asyl, Migartion und Integration
Msgr. Boeck leitet die Abteilung Flucht, Asyl, Migration und Integration (FAMI) im Erzbistum
In welchem Zustand befinden sich die Menschen, die bei uns aus der Ukraine ankommen?
Boeck: Ein Großteil sind Frauen, Kinder und Jugendliche. Die Ankommenden haben keine allzu große Schwierigkeiten sich zurechtzufinden, man merkt, dass sie aus der gleichen Kultur kommen. Sicher gibt es da auch Unterschiede, aber die Menschen sind im Allgemeinen nicht unbeholfen. Wir setzen auch stark auf ihre Selbstständigkeit, damit sie von uns nicht überversorgt werden, sondern schnell auf eigene Füße kommen und, wer kann und will, möglichst rasch Arbeitsmöglichkeiten erhält, um sich selbst zu versorgen.

Sie koordinieren seitens des Erzbischöflichen Ordinariats die kirchlichen Hilfen. Was laufen aktuell für Aktivitäten in der Erzdiözese mit Blick auf die Geflüchteten?
Boeck: München ist traditionell seit den Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg ein ukrainischer Hotspot. Das kommt auch daher, dass der ukrainisch-griechisch-katholische Exarch für Deutschland und Skandinavien bei uns seinen Sitz hat. Die Exarchie ist derzeit ein sehr starker Anlaufpunkt. Wir von Seiten der Erzdiözese und der Caritas versuchen, die Exarchie mit Koordination, Infrastruktur und Helfern zu unterstützen, damit sie alles bewältigen kann. Ein großes Problem ist aber zum Beispiel Dolmetscherinnen und Dolmetscher zu finden.
 
Was gibt es noch für Einsatzfelder?
Boeck: Die Erstaufnahme am Hauptbahnhof ist sehr wichtig. Wir bemühen uns hier zum Beispiel auch verstärkt um unbegleitete Minderjährige. Wir haben sehr sensible und differenzierte Wohnungsangeboten, etwa von Krankenhäusern oder Orden, wo wir ganz gezielt diabeteskranke oder an Krebs erkrankte Kinder unterbringen können. Wir können schwangere Mütter aufnehmen. Es kommen auch schwerbehinderte Menschen an.
 
Auf dem Foto ist der Caritas-Infopoint am Münchner Hauptbahnhof zu sehen, an dem jeden Tag viele Flüchtlinge aus der Ukraine Hilfe und Unterstützung suchen.
Helfender Hafen: Am Info-Point der Caritas am Münchner Hauptbahnhof kommen jeden Tag viele Geflüchtete aus der Ukraine und erhalten dort vielseitige Unterstützung.
Was sagen Sie den zahlreichen Menschen in den Pfarreien des Erzbistums, die helfen möchten?
Boeck: Die meisten melden uns Wohnungsangebote, die wir dringend benötigen, vor allem für die mittel- und langfristige Unterbringung. Wir sind über unsere Immobilienabteilung mit städtischen und staatlichen Stellen, den Kommunen und Landkreisen, diesbezüglich vernetzt. Ich habe täglich einen Jour fixe zur gemeinsamen Koordination. Die Vernetzung ist das A und O. Wir haben für alle, die als einzelne Personen oder als Institution Wohnraum anbieten möchten, ein Formblatt entwickelt, das über alle Fragen diesbezüglich informiert. Es ist online abrufbar. Unterstützende Institutionen sind die Asylsozialberatungsstellen und die Ehrenamtskoordination der Caritas. Sie übernehmen die individuelle Einzelberatung der Menschen. Die personellen Kräfte reichen hier aber nicht aus, so dass wir dringend auf staatliche Unterstützungsleistungen finanzieller Art hoffen, um die Asylsozialberatung ausbauen zu können.

Was sind die großen Handlungsfelder für die Menschen in der Ukraine?
Boeck: Im Blick auf die Ukraine sind wir eng abgestimmt mit Caritas international und dem Hilfswerk Renovabis. Es herrscht eine ungeheure Spendenbereitschaft, auch in die Ukraine hinein, nur ist dies eben Kriegsgebiet, wo die Infrastruktur in zunehmenden Maß zerstört wird. Der gute Wille zum Helfen muss daher gelenkt werden. Kirche, Caritas und Hilfswerke wie Renovabis sind vor Ort präsent und werden hoffentlich auch ihre bestehenden Strukturen dort behalten. Auch über unsere Abteilung Weltkirche im Ordinariat sind wir gut aufgestellt, weil die schon seit langem Partner in der Ukraine hatte. Hier haben wir bereits 150.000 Euro bereitgestellt. Ein weiterer Brückenschlag erfolgt über verschiedene Ordensgemeinschaften, die mitunter vor Ort auch verwurzelt sind und die Situation sehr gut kennen.

Was ist für die Zukunft bei der Flüchtlingsarbeit besonders wichtig?
Boeck: Die Willkommenskultur derzeit ist wunderbar, aber ich warne jetzt schon: Das wird eine Langstrecke, die wir durchlaufen müssen. Wichtig ist, dass wir die Menschen, gerade auch die Kinder und Jugendlichen, möglichst rasch in unsere Betreuungs- und Ausbildungssysteme mit hineinnehmen können.

Sie sind auch Seelsorger. Was halten Sie von Friedensgebeten für die Ukraine?
Boeck: Die Menschen haben das Bedürfnis zu diesen Gebeten zusammenzukommen, und sie sind dankbar, wenn die Thematik auch in den Gottesdiensten geistig aufgearbeitet wird. Es herrscht in unserer Bevölkerung eine große Verunsicherung und Angst. Diesen Sorgen muss man Platz geben. Und eine Kerze und ein Kreuz aufzustellen und über die Ereignisse zu sprechen, ist einfach und halte ich für sehr wichtig.

Das Gespräch führte Florian Ertl, stv. Chefredakteur der Münchner Kirchenzeitung, März 2022
 
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