Bereits eine Woche nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine richtete die Caritas am Hauptbahnhof in München einen Infopoint für Geflüchtete ein. Neben der Caritas und der Bahnhofsmission hat sich inzwischen ein breites Hilfsnetzwerk gebildet, das ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine Unterstützung anbietet – und auch muttersprachlich weiterhilft.
Eine der ersten Anlaufstellen für die Geflüchteten aus der Ukraine: der Caritas Infopoint am Hauptbahnhof in München
In der großen Halle des Münchner Hauptbahnhofs herrscht Hochbetrieb. Zwischen den unzähligen Reisenden, die von Zug zu Zug hasten, fällt eine Gruppe von Menschen ohne Gepäck dafür aber mit leuchtend roten Westen auf. „Caritas“ ist in weißen Buchstaben auf den Westen zu lesen. Obwohl das Bahnhofsgebäude gerade eine Baustelle ist, hat der Diözesan-Caritasverband mitten in der ehemaligen Schalterhalle einen provisorischen Stand errichtet. Eine ukrainische Flagge signalisiert ankommenden Geflüchteten in leuchtendem Blau und Gelb, dass Sie willkommen sind und dass man ihre Sprache spricht. Hier werden Kaffee, Wasser und Hilfe verteilt. Anto Blazevic, Leiter der Caritas Migrationsberatung, ist einer der Verantwortlichen des Verbandes und beobachtet mit aufmerksamem Blick die Gleise. „Den einen Flüchtlingszug gibt es nicht“, sagt der 56-Jährige. Sie kommen kontinuierlich. Vor allem mit Zügen aus dem Osten und Süden reisen Geflüchtete an – aus Prag, Budapest, Salzburg. Anfangs waren es einige Hundert, inzwischen zählt die Caritas rund 2.000 Menschen täglich.
Die meisten der Ankommenden sind Frauen mit ihren Kindern, denen hier von einem Großaufgebot der sozialen Verbände bei der Ankunft geholfen wird: Die Caritas vermittelt am Infopoint Unterkünfte und Shuttledienste, die Malteser organisieren die Notfallversorgung und die Bahnhofsmission sammelt und verteilt Provianttüten. Am wichtigsten ist aber, dass es hier viele Ehrenamtliche gibt, die als Ukrainisch- oder Russischdolmetscher zur Verfügung stehen, findet zumindest die 22-jährige Olha. Über mehrere Tage ist sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer dreijährigen Tochter aus Lwiw nach Polen und von dort nach München geflohen. Eine in München lebende Ukrainerin, die sich beim Infopoint engagiert, hat ihr eine Unterkunft bei einem Freiwilligen organisiert. „Ich möchte sobald wie möglich wieder in die Ukraine zurückkehren“, betont Olha. Ob das allerdings in den nächsten Monaten möglich ist, daran hat die junge Mutter Zweifel.
Auch bei der Caritas stellt man sich auf einen langwierigen Hilfseinsatz ein. „Es wird mindestens ein bis zwei Jahre dauern, bevor die Menschen aus der Ukraine überhaupt wieder einen Ort haben, an den sie zurückkehren können“, schätzt Caritas-Diözesanvorständin Gabriele Stark-Angermeier. Deshalb fordert sie, die Mittel der Integrationsberatung schnell aufzustocken. Neben der langfristigen Hilfe drängt Caritasdirektor Hermann Sollfrank außerdem zu mehr Tempo in der Akuthilfe: „Die Kapazitätsgrenzen der städtischen Notunterkünfte werden in absehbarer Zeit erreicht werden“, warnt er. Deshalb brauche es jetzt vor allem mehr staatliche Unterkünfte für die Kriegsflüchtlinge.
Dabei ist es wichtig, auf die jeweiligen Bedürfnisse der Geflüchteten zu achten, betont Migrationsberater Blazevic. Denn bei weitem nicht alle Ankommenden bleiben in München. Viele befinden sich nur auf der Durchreise. Frankreich ist eines der häufigsten Ziele. Wer Verwandte oder Freunde hat, zu denen er kann, bekommt am Infopoint am Hauptbahnhof zum Beispiel Dolmetscherhilfe, um die Zugtickets dafür zu organisieren. „Viele kommen aus kleinen Dörfern und haben noch nie etwas anderes gesprochen als Ukrainisch oder Russisch“, erzählt Helferin Daria Berezova. „Da ist es eine enorme Erleichterung, wenn sie Hilfe in ihrer Muttersprache bekommen.“
Helferinnen und Helfer im Einsatz für geflüchtete Menschen am Hauptbahnhof in München
Die Bahnhofsmission hat außerdem dazu aufgerufen, Provianttüten für die Weiterfahrenden zu packen. Inzwischen fehlt es aber vor allem an Grundnahrungsmitteln, warnt Bettina Spahn, die katholische Leiterin der Einrichtung am Gleis 11. Zudem seien alle der derzeitigen Hilfsmaßnahmen am Hauptbahnhof nur provisorisch. „Eigentlich braucht es in Bahnhofsnähe ein festes Zentrum, um den Menschen eine Ankunft und Erstberatungen in einem geschützten Raum zu ermöglichen“, sagt Spahn. Der Infopoint in der ehemaligen Schalterhalle und auch die Bahnhofsmission seien dazu angesichts der immensen Zahl an ankommenden Geflüchteten kaum noch in der Lage. Nach Gesprächen mit der Stadt München ist Spahn aber zuversichtlich, dass eine solche Einrichtung in Kürze gefunden wird.
Bis dahin müssen sich Geflüchtete und Helfer auf den Infopoint am Hauptbahnhof beschränken. Zusätzlich werden weiter Einrichtungen in Bahnhofsnähe in das Hilfsnetzwerk integriert. Wie zum Beispiel der psychologische Dienst für Ausländer der Caritas in der Bayerstraße. Dort gibt es inzwischen eine muttersprachliche Sprechstunde für Ukraineflüchtlinge – aber auch für ukrainischstämmige Münchner. Dort schätzt man, dass hier der Beratungsbedarf in den nächsten Wochen steigen wird. „Es ist eine riesige Herausforderung, der wir uns gegenübersehen,“, sagt Caritasvorständin Stark-Angermeier, „doch die letzten Tage machen mir Mut, dass wir diese Aufgabe mit der Empathie und der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung meistern werden.“
Text: Korbinian Bauer, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, März 2022