"Die Hilfsbereitschaft der Menschen berührt mich immer noch" Engagement für Geflüchtete in drei Pfarreien in Haidhausen, Lochhausen und Taufkirchen Vils

 
Es ist eine ungeheure logistische Aufgabe. Tausende von Menschen sind aus der Ukraine ins Erzbistum geflohen, überwiegend Frauen und Kinder. Es geht nicht nur darum, sie unterzubringen, sondern sie auch zu trösten, mit ihnen zu sprechen und zuzuhören - trotz aller Verständigungsschwierigkeiten.
Drei Beispiele aus Pfarreien und Pfarrverbänden in München-Haidhausen, München-Lochhausen und Taufkirchen Vils zeigen gelebte Nächstenliebe für Menschen, die fast alles verloren haben.
 
Pater Paul Kruczek und Verwaltungsleiter Daniel Helmecke in Taufkirchen mit dem Hilfbus
Pater Pater Paul Kruczek (l.) und Verwaltungsleiter Daniel Helmecke aus Taufkirchen Vils mit dem Hilfsbus
 

Heimat in der Fremde: Campus Don Bosco

Zwei aus der Ukraine geflohene Mädchen im Salesianum in München-Haidhausen
Zwei aus der Ukraine geflohene Mädchen im Salesianum
Nur zwei Tage waren seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine vergangen, da gingen sowohl beim Pfarrverband Haidhausen als auch beim Salesianum Anfragen des ukrainischen Kulturverbandes Gorot nach Unterbringungsmöglichkeiten für Geflohene ein. Gut, dass die Salesianer in Haidhausen und der Pfarrverband dort immer schon in engem Austausch stehen. So konnten sehr schnell 26 Frauen und Kindern auf dem Gelände der Salesianer untergebracht werden.

Mit der Breitstellung von Wohnraum und Verpflegung allein war es aber nicht getan. „Wichtig ist, dass die Menschen vor Ort sich nicht im Stich gelassen fühlen“, so beschreibt es einer der Sozialpädagogen am Salesianum Jonathan Weidle. Um das zu gewährleisten, verstärkten die Salesianer ihr Team durch ehemalige Don Bosco Volunteers, sodass die Geflüchteten nun rund um die Uhr Ansprechpartner auf dem Campus Don Bosco hatten.

Der Pfarrverband wiederum startete einen Aufruf, mit dem sowohl Sachspenden als auch freiwillige Helfer gesucht wurden. Bei Martina Reiner, die ehrenamtlich die Koordination der Angebote aus dem Pfarrverband übernahm, meldeten sich innerhalb weniger Stunden rund 150 Freiwillige. Egal ob es darum ging, Kinder zu betreuen, Deutschkurse zu geben oder auch eine ukrainische Familie bei sich aufzunehmen - alle wollten mit anpacken. Im Moment kümmert sich Martina Reiner hauptsächlich darum, all diese Hilfsangebote wie sie sagt „auf ein festes Gleis zu setzen.“
 

Oft muss der Google Übersetzer herhalten

 
Koordinationstreffen der Flüchtlingshelfer im Salesianum in München-Haidhausen
Koordininierungstreffen im Salesianum
Pfarradministrator Pater Alfons Friedrich plant, dass der Pfarrverband auf lange Sicht eine Anlaufstelle für Geflohene und Helfer wird, wo sowohl Austausch von Erfahrungen und Informationen als auch soziale Begegnung stattfinden kann. Dafür bedarf es weiterhin eines großen Engagements aller Freiwilligen, denen von Tag zu Tag bewusster wird: Bei der Begleitung der Flüchtlinge ist vor allem ein langer Atem gefragt.
  
Auszuloten, was die Geflohenen wirklich brauchen, ist dabei eine der größten Herausforderungen, so Silke Streppelhof. Durch ihr Engagement konnten innerhalb kürzester Zeit für alle Kinder der mittlerweile 34 Bewohner des Salesianums Schul- und Kindergärtenplätze gefunden werden. Über die Kinder komme sie, wie sie erzählt, in einen schnellen Austausch mit den Müttern. Dieser sei wichtig, wenn man verstehen wolle, welche Sorgen die Geflüchteten umtreiben.

Gerade die Verständigung ist da eine große Herausforderung. Wenn keiner der ehrenamtlichen Ukrainisch Dolmetscher vor Ort ist, muss oft einfach der Google Übersetzer herhalten. Und der bewirkt mit seinen manchmal etwas irreführenden Übersetzungsergebnissen etwas Großartiges: Dass Helfer und Geflüchtete auch immer wieder kurz miteinander lachen können. Vielleicht die wichtigsten Momente auf dem Campus Don Bosco in Haidhausen.
 
Text: Carolin Engel, Sankt Michaelsbund, März 2022
 

 

Warten auf den Frieden

Schlafraum im alten Pfarrheim in München-Lochhausen
Schlafraum im alten Pfarrheim in München-Lochhausen
Die vierjährige Emma springt auf einem roten Hüpfpferd durch den großen Garten hinter dem Pfarrheim von Sankt Michael Lochhausen. Sie beobachtet die Hühner hinter dem Zaun und freut sich, wenn sie im Pfarrhaus mit den Kindern auf dem Trampolin toben darf. Seit dem 11. März lebt das ukrainische Mädchen mit Mama und Oma in einem der beiden Zimmer, die die Gemeinde für zwei Flüchtlingsfamilien zur Verfügung gestellt hat. Noch vor kurzem waren die voll mit Spielzeug für Kinder- und Jugendgrupppen.

Als die Anfrage kam, ob hier Flüchtlinge ein vorübergehendes Zuhause finden könnten, war Pfarrgemeinderatsvorsitzende Gabriele Beck erstmal nicht sicher, wie man das organisieren könne. „Wir haben dann aber gesagt, wir müssen da etwas tun. Die Menschen brauchen unsere Hilfe – auch wenn es nicht perfekt ist bei uns“, meint Beck.

Nicht perfekt heißt für sie, dass das ältere Pfarrheim natürlich nicht die Ausstattung eines Hotels hat. Die beiden Zimmer, deren Wände Comics aus der Jugendarbeit zieren, haben ordentlich bezogene Betten, sind mit Hygieneprodukten und allem, was man braucht, ausgestattet. Gekocht werden kann ein Stockwerk drüber in der Küche des Pfarrsaals. In der Kegelbahn gibt es Esstische, Getränke, und eine große Schale Obst steht auf dem Tisch. Auf einem kleinen Tisch liegen Malbücher und Legosteine – es ist dunkel, aber gemütlich. Es gibt im Pfarrheim sanitäre Einrichtungen, und mittlerweile steht dort sogar eine gespendete Waschmaschine für die ukrainischen Familien. Das Einzige, was noch fehlt, ist eine Dusche. Hier hole man gerade Angebote für eine mobile Dusche ein, denn es gäbe zwar unzählige Angebote von Nachbarn, aber die ukrainischen Familien scheuen sich davor, ständig vor deren Türe zu stehen.
 

„Emma erinnert sich an die Schüsse, die fielen"

 
(v.l.) Pfarrgemeinderatsvorsitzende Gabriele Beck , die aus der Ukraine geflohene Valentyna Nadzuga und Übersetzerin Svitlana Voloshyn
(v.l.) Pfarrgemeinderatsvorsitzende Gabriele Beck, die aus der Ukraine geflohene Valentyna Nadzuga und Übersetzerin Svitlana Voloshyn
Aber auch das wird sich noch lösen, da ist sich Gabriele Beck sicher, denn die Hilfsbereitschaft ist riesig. 60 ehrenamtliche Helfer haben sich bei der Pfarrei gemeldet, und alle wollen etwas beitragen. So viel gibt es aber gerade gar nicht zu tun, sagt die Pfarrgemeindesratsvorsitzende, denn die ukrainischen Familien sind sehr selbstständig. Eine Frau zeigt ihnen den Weg zum Spielplatz und zur Apotheke, eine andere Helferin geht mit ihnen Kleidung kaufen, eine junge Ukrainerin aus der Nachbarschaft, die seit zehn Jahren in München ist, übersetzt, wenn es notwendig ist. Sonst hilft der Google Translater, oder man verständigt sich mit Händen und Füßen.

Am wenigsten Berührungsängste hat die vierjährige Emma, die sich freut, wenn andere Kinder ins Pfarrheim kommen, um mit ihr zu spielen – ganz unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen. Fast unbeschwert wirkt das kleine Mädchen dann, das so viel erlebt hat. Fünf Tage war sie mit Mama und Oma unterwegs, um aus dem kleinen Ort nicht weit von Kiew über Polen irgendwann in München zu landen. Und das, nachdem sie viele Tage und Nächte den Krieg erlebt hat – etwas was zwar beim ausgelassenen Toben im Pfarrgarten von Pfarrheim Sankt Michael in Lochhausen weit weg scheint, aber ganz tief in dem kleinen Mädchen steckt. „Emma war es, die uns angetrieben hat, rechtzeitig in den Keller zu gehen, wenn sie die Bomben einschlagen hörte. Sie rief immerzu, dass wir jetzt schnell runter müssen, denn sonst werden wir alle sterben“, erinnert sich Großmutter Valentyna. „Emma erinnert sich an die Schüsse, die fielen und sie weiß genau, was Krieg ist“, ergänzt sie.
 

„Ich bete dann zu Gott dafür, dass dieser Horror so schnell wie möglich endet"

 
Sie hat Tränen in den Augen, als sie das alles erzählt. „Wir mussten so viele Menschen zurücklassen. Emmas Papa und meine andere Tochter. Ich habe nämlich noch einen 28-jährigen Enkel, und seine Mutter wollte ihn nicht allein in der Ukraine lassen.“ Während sie das erzählt, liegt ihre Handy stets griffbereit auf dem Tisch. Immer wieder schaut sie, ob es neue Nachrichten aus der Heimat gibt, ob sich Tochter oder Schweigersohn gemeldet haben, es ein Lebenszeigen gibt.

Sie ist dankbar für die große Gastfreundschaft, die sie in Lochhausen erfährt. Nie habe sie damit gerechnet, sagt Valentyna. Vorstellungen über eine Zukunft hier in Deutschland macht sie sich nicht, denn nach wie vor gibt es keinen anderen Plan, als möglichst bald in die Heimat zurückzukehren: „Ich hoffe, dass das maximal ein oder zwei Monate dauert. Die Hauptsache ist, dass die Bombardierungen und dieser furchtbare Krieg ein Ende nehmen. Selbst, wenn unser Zuhause zerstört wird, wir gehen auf jeden Fall zurück und bauen unser Land alle gemeinsam wieder auf.“

Immer mal wieder geht die 72-Jährige in die Kirche der Pfarrei, in der sie Unterschlupf gefunden hat. „Ich bete dann zu Gott dafür, dass dieser Horror so schnell wie möglich endet, dass es den Menschen in der Ukraine, aber auch allen Menschen hier gut geht und wir uns dann irgendwann alle zusammen in einer friedlichen Welt wieder treffen.“

„Wenn alles vorbei ist und wir wieder alles aufgebaut haben, lade ich die Menschen, die uns hier aufgenommen haben ein und zeige ihnen, wie schön die Ukraine eigentlich ist“, ergänzt sie.
 
Text: Steffi Schmid, Redakteurin beim Sankt Michaelsbund, März 2022
 

 
 

MIt Hilfskonvoi nach Polen, mit einer Großfamilie zurück

Eine ukrainische Flüchtlingsfamilie in ihrer Wohnung im alten Pfarrhof in Taufkirchen Vils
Oma Nadija (64), Oxana (34) mit ihren Kindern (6 und 3) und Alijona (39) mit Ehemann Vladimir (42) und ihren drei Kindern (16 und Zwillinge 7) in ihrer Wohnung im alten Pfarrhof in Taufkirchen Vils
„Pater Paul, können wir nicht etwas für die Flüchtlinge, für die Ukraine tun?“ Mit dieser Frage von Alexa Zünd, Mutter eines Erstkommunionkindes, begann alles, erinnert sich Pater Paul Kurczek, Pfarradministrator in Taufkirchen Vils. So kam der Stein ins Rollen, und Verantwortliche aus der Pfarrei organisierten gemeinsam mit Gemeinde- und Kreisrätin Sosa Balderanou innerhalb kürzester Zeit einen beachtlichen Hilfskonvoi für die Ukraine. Gesammelt wurde, was aktuell vor Ort dringend gebraucht wird. Bettwäsche, Betten und Kinderkleidung oder Hygieneartikel genauso wie auch feuerfeste Kleidung für die Männer, die kämpfend in der Ukraine blieben.

Nach nur zwei Wochen machten sich vier LKWs und auch Pater Paul mit seinem Kleinbus auf den Weg Richtung Polen. Das Ziel: Die kleine Gemeinde Kolbuszowa, rund 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Doch Pater Paul lud nicht nur LKWs um und aus. Durch Pater Mateo vor Ort traf er die 39 Jahre alte Alijona und ihre Familie. „Zwar war es geplant, dass wir eine Familie mit nach Deutschland nehmen, aber eigentlich nur sechs Personen“, erinnert sich Pater Paul. Doch was sich der resolute Pater in den Kopf gesetzt hat, zieht er durch. „Also habe ich unseren Verwaltungsleiter der Pfarrei, Daniel Helmecke, angerufen und gesagt, ich komme – aber mit neun Flüchtlingen.“

Und während sich Pater Paul mit Alijona und ihrer Familie auf den Weg machte, wurde in Taufkirchen angepackt. „Ich habe sofort alle meine Kontakte aktiviert, und wir haben die Wohnung im alten Pfarrhof, die leer stand, innerhalb von zwei Tagen hergerichtet und für die Ankunft der Familie vorbereitet“, erzählt Daniel Helmecke. „Die Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort berührt mich immer noch."
 

Familien beginnen langsam, Taufkirchen zu erkunden

 
Denn so konnten Alijona und ihre Familie bereits nach nur zwei Nächten in einem Erdinger Hotel nach Taufkirchen umziehen. „Gemeinsam mit der Gemeinde haben wir es auch geschafft, dass die Familie nicht erst nach München in die Erstaufnahmeeinrichtung ziehen musste“, erzählt der Verwaltungsleiter. Weniger Stress und in diesen eh schon schwierigen Zeiten ein besseres Ankommen waren dadurch möglich.

Und angekommen sind sie. Besucht man die Familie im alten Pfarrhof, so trifft man nicht auf gebrochene oder stumme Menschen. Natürlich sind alle traurig, dass sie alles zurücklassen mussten, und alle hoffen, bald wieder zurückkehren zu können. „Wir haben nie geglaubt, dass so ein Krieg in unserem Land möglich wäre“, erzählt die junge ukrainische Mutter. „Wir hatten Angst, wir wussten von einem Moment auf den anderen nicht mehr, wie unsere Zukunft aussieht.“

Die Familie wohnt eigentlich in der Nähe von Charkiw, nahe an der russischen Grenze. Flugzeuge und Bomben waren jeden Tag zu hören. Und so war für Alijona klar, dass sie ihre Kinder in Sicherheit bringen muss. „Natürlich hatten wir Angst, wir wussten auch nicht, wo und wie wir in Deutschland ankommen und leben würden“, gibt Alijona zu. „Aber als Pater Paul mir die Hand gegeben hat, hab ich mir gedacht: Alijona, du bist eine gute Frau und es wird alles gut gehen, weil du das Beste für deine Kinder willst.“

Ungebrochene Zuversicht

Und dieser Optimismus, getragen von Hoffnung und dem Glauben daran, dass sich alles zum Guten wenden wird, den strahlt die junge Mutter mit jedem Wort, jeder Geste aus. Die Kinder waren inzwischen bereits beim Fußballtraining dabei, sind mit dem Fahrrad im Hof unterwegs, und man macht sich langsam mit der Umgebung vertraut, erkundet Taufkirchen. Auch Deutsch wird fleißig gelernt, das Heft dazu liegt jederzeit griffbereit in der Nähe.

Doch noch wichtiger sind die Kontakte zu Menschen vor Ort. Kontakte, die die Familie sucht und die auch von den vielen Helfern erwidert werden. Man spürt: Die Familie will ankommen in einer Situation, die ihr durch einen schrecklichen Krieg aufgezwungen wurde, aus der die ganze Familie aber sichtlich bestrebt ist, das Beste zu machen.
 
Text: Maria Ertl, Redakteurin beim Sankt Michaelsbund, März 2022
 

 
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Raoul Rossmy, Pastoralreferent
 
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Pauli Bekehrung
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P. Pawel Kruczek CR, Pfarrverbandsleitung
P. Slawomir Dominik Sobolewski CR, Pfarrvikar
Peter Winkler, Hauptberuflicher Diakon