Der Wunsch nach einem Kind bestimmte lange Zeit ihren Alltag. Doch irgendwann mussten Laura und Andreas akzeptieren, dass sie niemals Eltern werden würden. Heute betrachten sie ihre Kinderlosigkeit mit gemischten Gefühlen – und genießen das Leben, das sie haben.
"Du kämpfst wie eine Löwin"
Sieben Jahre gaben Laura und Andreas sich alle Mühe. Sie ließen nichts unversucht, prüften jede Idee, um auf natürliche Weise ein Kind zu bekommen. Das Ergebnis: sechs Fehlgeburten.
"Unser Problem war es nicht, schwanger zu werden", erzählt Laura. Anhand von Temperaturmethode und Zervixschleimanalyse hatte sie gelernt, den Zeitpunkt des Eisprungs zu bestimmen; während dieser Tage hatten die beiden konsequent Sex, selbst wenn ihnen die Lust fehlte; anschließende Körperübungen sollten die Chancen für eine Empfängnis weiter verbessern. Reproduktionsmedizinische Methoden wie eine In-vitro-Fertilisation (die Zeugung im Reagenzglas) kamen für sie dagegen nicht in Frage. "Ich war überzeugt, es auch mit natürlichen Hilfen zu schaffen", erinnert sich Laura.
Projekt mit hohem Zeitaufwand
Ihr Kinderwunsch entwickelte sich mit der Zeit zu einem Projekt mit hohem Zeitaufwand (neben ihren Berufen). Laura trank literweise Frauenmanteltee, ihr Mann futterte Brennnesselsamen; später versuchte sie es trotz Brechreiz monatelang mit einem chinesischen Tee. "Damals hätte ich jedes Wundermittel geschluckt, um einem Kind das Leben zu schenken." Akkupunkturtherapien, Shiatsu, Bauchmassagen, hochdosierte Folsäure, Multivitamine, Meditationsübungen, Visualisierungen, Gebete, Fachliteratur, Kräuterkunde, Kinderwunschforen, Frauenärzte und, und, und. „Du kämpfst wie eine Löwin", sagte Andreas oft.
Zu guter Letzt kontaktierten sie einen renommierten Facharzt für habituelle Aborte, der ihnen eine extrem teure Immuntherapie anriet. Als Laura zum sechsten Mal schwanger wurde, war sie sicher: Mit dieser Hilfe wird es endlich klappen. Dir Ärzte hatten zwar eine Endometriose diagnostiziert, eine Ausbreitung der Gebärmutter-Schleimhaut, die bei vielen Frauen zu Sterilität und Kinderlosigkeit führt. Aber Laura wurde ja immer wieder schwanger, nur eine klare Ursache für die Fehlgeburten stellten die Mediziner nicht fest. Natürlich war oft die Rede davon, eine Frau ab 35 zähle nun einmal als "Risikoschwangere". Deshalb hatten Laura und Andreas das fünfte Baby untersuchen lassen; laut Chromosomenanalyse war der weibliche Embryo völlig gesund...
Lernen, mit der Kinderlosigkeit zu leben
Dann, nach sechs Fehlgeburten in sieben Jahren, vier Ausschabungen unter Narkose, zwei spontanen Aborten zu Hause auf dem Klo und zwei mehrstündigen Operationen war Laura am Ende. “Ich fühlte nichts mehr in mir, auch keinen Kinderwunsch", erinnert sie sich. Eine postpartale Depression besonderer Art hatte sie, früher eine vitale, fröhliche Frau, befallen, obwohl sie kein Baby im Arm hielt. Jetzt dämmerte Laura und Andreas, dass sie niemals ein Kind zur Welt bringen würden. Sie mussten lernen, mit der "finalen" Kinderlosigkeit zu leben.
Dabei blieben sie ziemlich allein. Ihre Familien hielten sich unbeholfen und aus Furcht vor zu viel Schicksal auf Distanz. Auch die Seelsorger in ihrer Pfarrei waren überfordert und wahrten Abstand. Nur ein paar Freundinnen zeigten ihr Mitgefühl und spendeten mit Aufmerksamkeit Trost.
Das Leben einer Mutter lässt sich mit meinem kinderlosen nicht vergleichen. Uns trennen Welten, wir sprechen zwei Sprachen, werden unterschiedlich wahrgenommen und entwickeln ein unterschiedliches Selbstverständnis. Als ich einmal einer überbesorgten Freundin leise riet, ihrer dreijährigen Tochter zu vertrauen und mehr zuzutrauen, wurde ich wütend in die Schranken gewiesen; kurz darauf brach unsere langjährige Freundschaft ab. Seitdem halte ich meine Klappe, wenn es um Erziehungsfragen geht. Inzwischen betone ich sogar, dass ich von Kindern nichts verstehe.
Wir kinderlosen Frauen verstummen und machen uns je nach Familiensituation unsichtbar. Uns blieb das Ticket für den Familienclub verwehrt, warum auch immer. Offen darüber sprechen können wir oft nicht, teils aus Scham, teils weil es nicht wirklich interessiert.
Da ich mich um kein Kind kümmern muss, verfüge ich über mehr Zeit, Geld und Freiheiten. Bis auf die beruflichen Termine lebe ich weitgehend ohne Stundenplan, schlafe sonntags gerne aus, entscheide mit meinem Mann spontan, wohin wir abends gehen, wofür ich mein Geld ausgebe. Vor einem Jahr leistete ich mir drei Monate Auszeit und reiste nach Jütland. Als ich aufs Meer blickte und die Wellen nach meinen Füßen schnappten, fühlte ich mich so frei wie noch nie. In diesem Moment begann ich zu weinen und fühlte das für lange Zeit abhandende Glück in mir pochen.
Natürlich bin ich hin und wieder wehmütig, wenn ich ein süßes Kind sehe oder meinen alten Traum von einer Familie träume. Doch wäre ich als Mutter glücklicher? Viele Jahre war ich absolut fokussiert auf “ein Kind haben wollen" und lebte mit Scheuklappen; heute breitet sich das Leben vor mir aus, und ich erkenne die Möglichkeiten, die sich mir bieten. Mein Mann und ich führen eine innige Beziehung, gerade weil wir so viel durchmachen mussten. Wir haben uns immer noch viel zu sagen und genießen eine Ehe ohne Sorge um ein Kind. Und wenn uns unvermittelt die Trauer um das verlorene Kind streift, dann umarmen wir uns und flüstern uns ins Ohr: Gott weiß es, und alles ist gut.
Ich wollte Kinder haben, viele Kinder. Meine Spielsachen hatte ich dafür aufgehoben und mir auch schon überleg, wie ich meine Kinder erziehen würde. Ich war vorbereitet. Aufgewachsen in einem Familienverband, der sich bis zu Großtanten und -cousinen verästelte, war Familie immer etwas Selbstverständliches, Unhinterfragtes.
Konnte ich, konnten wir auch ohne Nachwuchs glücklich sein? Da sich diese Frage nie zuvor gestellt hatte, wusste ich auch keine Antwort darauf. Doch nach der vierten Fehlgeburt wusste ich: Ich will kein Kind um jeden Preis. So war für uns eine künstliche Befruchtung ausgeschlossen – nicht weil es künstlich war, sondern weil wir diesem Kind nicht zu viel Gepäck mitgeben wollten, nicht zu viel unseres eigenen Leids und unserer verzweifelten Anstrengungen; denn irgendwie, das stand für mich fest, würde sich das auf das Kind übertragen.
Heute bin ich glücklich und vermisse nichts. Inzwischen empfinde ich unsere traurige Erfahrung eher als Chance, mein Leben anders zu gestalten. Reisen, Sport, Lesen, Weiterbildungen – als gleichwertigen Ersatz sehe ich das nicht, aber als Weg, den ich gezwungen wurde zu gehen und der mir auf andere Weise ein Leben mit hoher Qualität bietet.
Für andere, beobachte ich, ist das nicht so einfach. Zum Beispiel bei einem Klassentreffen: Eben noch klangen die Scherze über das Elterndasein vieler ehemaliger Mitschüler unbeschwert, dann, nach der Frage nach meinen Vermehrungs-Erfolgen, brach die Stimmung von einer Sekunde auf die andere. Wie so oft folgt auf die erste Antwort keine zweite Frage, sondern Schweigen. Als hätte man eine schwere Krankheit und könnte allein schon das Reden darüber ansteckend sein! Aber auch ich selbst fühle mich ertappt, ertappt bei meinem Schamgefühl, irgendetwas nicht richtig gemacht zu haben, nicht dazuzugehören. „Ich bin ungewollt kinderlos" – warum sage ich das nicht?
Mittlerweile habe ich mir für solche Fälle den Satz: „Das Leben ist auch ohne Kinder schön" zurechtgelegt. Wehmut befällt mich selten, zum Beispiel wenn ich einen Großvater sehe, der seinen Enkeln erklärt, wie das mit dem Zebrastreifen funktioniert oder was das für ein Baum ist, an dem sie gerade vorbeigehen. Dann tröstet mich der Gedanke, dass auch das nur ein idealisiertes Bild ist.