Schule, Freunde, Sport, Musik – wie bekommt man alle Aktivitäten unter einen Hut? Wann werden Hobbys für mein Kind zum Stress? Und wann komme auch ich dadurch unter Druck? Diese bangen Fragen stellen sich viele Eltern zu Beginn des neuen Schuljahres. Wir haben darüber mit einer Mutter von fünf Kindern gesprochen und mit einer Sozialpädagogin, die als Referentin und Trainerin in der Familien- und Erwachsenenbildung arbeitet.
Stress lass nach: Pünktlich zur Arbeit, davor noch die Tochter in den Kindergarten bringen und pünktlich um 16 Uhr den Sohn vom Fußballplatz abholen, um mit ihm später noch Hausaufgaben zu machen. Der Alltag vieler Eltern – und deren Kinder – ist oft minutiös durchgetaktet.
„Wenn man Kinder hat, kommen jeden Tag ungeplant neue Themen auf einen zu. Da bittet man nicht darum, sondern sie sind plötzlich da und man muss damit umgehen“, schildert Valerie Küttler ihren Familienalltag. Die 37-jährige Religionswissenschaftlerin hat mit ihrem Mann Uli fünf Kinder im Alter von fast zwölf, fast zehn, siebeneinhalb, fünfeinhalb und eineinhalb Jahren.
„Neue Themen“ hieß tags zuvor, dass drei der fünf Kinder krank zu Hause waren. Einer hatte Kopfschmerzen, einer starken Husten und der Kleinste einen juckenden Hautausschlag. Die Mutter war deshalb mit den Kindern zu verschiedenen Zeiten zu zwei Ärzten unterwegs.
Zu Beginn des Schuljahres gibt es in vielen Familien so etwas wie einen beschleunigten Alltag: Die Eltern erhalten Listen mit Materialien für die jeweilige Klassenstufe, die sie besorgen müssen. Auch bei Kleidung und Schuhen stehen Neuanschaffungen an, weil die Kinder schnell wachsen. Die Frage nach der Organisation des Alltags stellt sich dann wieder neu. Allein dass Kinder, die zu unterschiedlichen Zeiten heimkommen, alle ein warmes Mittagessen bekommen, ist eine Herausforderung.
Kompetente Ratgeberin: Alexandra Schreiner-Hirsch begleitet Eltern seit Jahrzehnten als Referentin und Trainerin.
Hinschauen und gemeinsam entscheiden
„Bei Familien mit Geschwisterkindern ist manches einfacher, dafür nimmt aber die Zahl der Termine zu“, weiß Alexandra Schreiner-Hirsch. Die Erzieherin und Sozialpädagogin aus Ebersberg begleitet seit mehr als 35 Jahren Familien und Eltern als Referentin und Trainerin. Zudem ist sie auch im Fortbildungsbereich für Fachleute tätig. Bei der Erzdiözese München und Freising ist sie seit langem als praxiserprobte Expertin geschätzt. „Wir Eltern sind immer besorgt, dass womöglich nicht jedes Kind nach seinen Fähigkeiten gefördert wird“, so die 56-Jährige. „Doch manchmal stößt man dabei an Grenzen. Dann muss man genauer hinschauen und miteinander reden.“
Alexandra Schreiner-Hirsch zitiert die „drei Pflichten“, die jeder habe, der mit Kindern lebt und arbeitet: Zunächst gilt, dass Eltern ihre Selbstfürsorge ernst nehmen. „Nur wenn es mir als Mutter, als Vater gut geht, dann bin ich auch gut für die anderen“, betont die Sozialpädagogin. Schließlich ist es wichtig, die eigene Partnerschaft zu pflegen und mit dem Partner, der Partnerin gut in Kontakt zu stehen. Dann folgt die Sorge für die Kinder, für die man dann auch mehr Kraft zur Verfügung hat, wenn man die ersten beiden „Pflichten“ ernstnimmt.
Verbindlichkeiten schaffen
Ansonsten weiß Alexandra Schreiner-Hirsch aus Erfahrung, dass jedes Kind andere Bedürfnisse hat. „Neugierige Typen wollen alles ausprobieren und sie haben oft viel Energie. Dann kann man mit dem Kind schauen, ob es sich zum Beispiel wirklich für Handball interessiert, und es dann einige Male in den Sport hineinschnuppern lassen. Wenn es dann immer noch will, ist die Anmeldung für das laufende Vereinsjahr verbindlich.“ So lernen Kinder, dass man auch dann durchhalten sollte, wenn man einmal gerade keine Lust auf etwas hat.
Interessiert sich ein Kind für mehrere Hobbys, dann schauen viele Eltern auf die schulischen Leistungen. Wenn ein Kind trotz mehrerer Aktivitäten in der Schule gut mitkommt und vor allem, wenn das Kind das alles selbst will, dann spricht nach der Erfahrung von Alexandra Scheiner-Hirsch nichts dagegen, die Interessen des Kindes zu unterstützen. Natürlich immer unter der Maßgabe, dass sich die Eltern mit der Terminfülle ihrer Kinder nicht selbst überfordert fühlen. Zugleich hält die Familientrainerin Einfühlungsvermögen ins Kind für unverzichtbar. Eltern könnten bei Zweifeln an womöglich zu vielen Terminen folgendes zu ihrem Kind sagen: „Wir sehen, wie viel Interesse du hast. Zugleich machen wir uns Sorgen und wir müssen gemeinsam schauen, wie viel dir gut tut. Lass uns diesen gebuchten Kurs erst einmal beibehalten, dann kannst du in einem Jahr vielleicht etwas anderes weglassen und etwas Neues beginnen.“
Gut organisiert: Valerie Küttler ist Mutter von fünf Kindern. Gemeinsam mit ihrem Mann und mithilfe der Großeltern koordiniert sie die Termine ihrer Kinder.
Bereichernd und manchmal stressig
Die schulpflichtigen Kinder der Küttlers besuchen alle die Montessori-Schule im Nachbarort, die mit Umstieg von der S-Bahn in den Bus erreichbar ist. Allerdings fällt die S-Bahn öfter aus, so dass Vater Uli die Kinder dann mit dem Auto fährt, bevor er selbst im Home Office starten kann.
Der Zweitälteste geht zweimal pro Woche zum Taekwondo-Training. Die Drittälteste will heuer damit starten, gehört aber einer anderen Altersklasse an und muss deshalb separat geholt und gebracht werden. Auch der Älteste und die Jüngeren entdecken nach und nach Hobbys für sich, was dann vor allem von Mutter Valerie zeitliche Flexibilität erfordert. „Wir pampern unsere Kinder nicht rund um die Uhr“, sagt Valerie Küttler, „aber wir wollen sie zu Zeiten mit Stoßverkehr nicht unbedingt allein mit dem Rad fahren lassen.“
Der Alltag als Familie ist bereichernd und manchmal stressig – sowohl für die Kinder selbst als auch für die Eltern. „Abends reden mein Mann und ich auf der Couch oft über die Kinder, wenn nicht einer von uns schon um 20:30 Uhr eingeschlafen ist“, gesteht die Mutter, die auch noch ehrenamtlich aktiv ist als Vorsitzende des örtlichen Montessori-Kindergartens.
Die große Familie lebt in einem Vorort Münchens idyllisch am Waldrand in einem Haus, das sie sich mit einer anderen Familie teilt, die wiederum vier Kinder hat. Durch diese glückliche Wohnsituation gibt es eine gute gegenseitige Unterstützung der Familien. Außerdem leben die Eltern Valerie Küttlers in der Nähe, so dass auch die Großeltern bei Bedarf greifbar sind.
Netzwerke und externe Unterstützung
Familien brauchen Netzwerke, damit ihr Alltag gut organisiert werden kann, weiß Alexandra Schreiner-Hirsch. Sie regt Eltern, die bei ihr Rat suchen, immer dazu an, sich möglichst gut zu vernetzen, denn nicht immer stehen Großeltern oder Nachbarn in einer ähnlichen Lebenssituation bereit, wie bei Valerie Küttlers Familie oben im Text. „Beim Eltern-Kind-Programm in vielen Pfarreien lernt man andere Familien mit Kindern derselben Altersgruppe kennen. Daraus entstehen oft langjährige Freundschaften. Auch Kreisbildungswerke und Volkshochschulen bieten Programme für Eltern an, bei denen man teilweise die Kinder mitbringen kann. Das sind gute und qualitätvolle Andockstellen“, berichtet die Fachfrau.
Sobald die Kinder in der KiTa oder später in der Schule sind, können sich Eltern auch hier vernetzen und sich zum Beispiel für Fahrgemeinschaften von Kindern verabreden. Gerade auf dem Land ist es sehr hilfreich, wenn nicht jedes Elternpaar das eigene Kind mit dem Auto fährt, sondern wenn sich durch die Vernetzung mit anderen Eltern Entlastung schaffen lässt.
Gut vernetzt zu sein, ist das A und O. Eltern können sich gegenseitig vertreten und sich bei Bring- und Holdiensten der Kinder abwechseln. Diese Teilung der Aufgaben reduziert Stress.
Auch die Unterstützung durch gut geschulte Familienpatinnen und -paten kann eine Option sein. Der Katholische Deutsche Frauenbund und der Kinderschutzbund organisieren gemeinsam an vielen Orten in Oberbayern solche
Familienpatenschaften. Dabei sind die engagierten Ehrenamtlichen oft schon im Großelternalter, was den Kindern gut tun kann, gerade, wenn es keine eigenen Großeltern vor Ort gibt oder diese nicht mehr leben. Die Familienpatinnen und Familienpaten haben alle ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt und sie sind geschult, so dass Eltern sich auf ein hohes Maß an Sicherheit verlassen können. Alexandra Schreiner-Hirsch weiß, dass Eltern sich oft scheuen, bevor sie Kontakt zu „Ersatzgroßeltern“ oder zu externer Beratung aufnehmen: „Manche müssen erst an Grenzen kommen, bevor sie sich Unterstützung holen. Aber danach wissen sie, dass es richtig war.“
Insgesamt empfiehlt Alexandra Schreiner-Hirsch, dass in Familien viel miteinander geredet wird und dass alle gut miteinander im Kontakt sind. Dann können Situationen geklärt werden, bevor Kinder und Eltern in Stress geraten. Einen Schritt zurücktreten und Druck herausnehmen, das wünscht sich die Sozialpädagogin auch auf der Meta-Ebene: „Wir sollten als Gesellschaft insgesamt ein bisschen herunterfahren und nicht immer noch mehr in den Alltag von Kindern und Eltern hineinpacken. Dann gäbe es weniger Burnout und mehr Quality Time für den Einzelnen und die Familie.“ Manchmal kann weniger tatsächlich mehr sein.
Tipps in Kürze
- Familien brauchen eine gute Gesprächsbasis. Die Paare sollten miteinander und mit ihren Kindern regelmäßig sprechen. Hier eine einfache Übung: Dem Gegenüber gut zuhören, ohne dem anderen ins Wort zu fallen und dann rückzumelden: „Ich habe verstanden, dass du… Ist das richtig?“ Erst dann spricht der oder die nächste.
- Familien brauchen Netzwerke: Großeltern, Nachbarn, Eltern anderer Kinder aus der KiTa oder der Schule, „Ersatzgroßeltern“…
- Familien dürfen sich Unterstützung suchen. Diese kann ganz unterschiedlich ausfallen, je nach den eigenen Bedürfnissen.
- Die „drei Pflichten“ für Menschen, die mit Kindern leben, beachten: Selbstfürsorge, Sorge für die Partnerschaft, Sorge für die Kinder.
- Familien brauchen ein Termin-Management: Gemeinsam besprechen, was man sich wünscht und was umsetzbar ist. Es kann helfen, weniger Termine in den Alltag zu packen.
Text: Dr. Gabriele Riffert, freie Redakteurin, August 2024
Ständig Stress - muss das sein?
Wie Zeitnot den Familienalltag prägt
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Josiane Wies-Flaig, Dipl. Sozialpädagogin
NFP/Sensiplannfp(at)eomuc.de
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