„Herzlichen Glückwunsch – Ihr Kind ist nun in der Pubertät und geschlechtsreif!“ Mal ehrlich: Wie würden Sie auf einen solchen Glückwunsch reagieren? Freudig, zustimmend, beglückt? Oder eher mit einem unangenehmen Gefühl, was nun auf Ihren Sohn, Ihre Tochter zukommen könnte?
In unserer Gesellschaft ist es üblich, Kinder vor den Begleiterscheinungen gelebter Sexualität zu warnen. Wir möchten sie schützen – vor ungeplanter Schwangerschaft, vor sexuell übertragbaren Krankheiten, vor Missbrauch. Die Gefahr dabei ist, dass Sexualität einseitig als bedrohlich definiert wird. Viel mehr kommt es doch darauf an, dass Kinder begreifen, welch hohes Gut unsere Sexualität ist, welchen Schatz wir daran haben und welche positive Lebensenergie und Freude sie vermitteln kann.
Die Vorstellungen davon, was eigentlich Sexualität ist, sind so vielfältig und unterschiedlich wie die Menschen selbst. Manche verbinden mit dem Wort „Sex“ nur Geschlechtsverkehr, allenfalls noch Fortpflanzung, andere denken auch an Liebe, Vergnügen, Intimität, Gefahr, Ekstase, Kontrollverlust, Spiel, Beziehung, Genuss … Die Wissenschaft beschreibt Sexualität als ein Geschehen, das nicht primär der Fortpflanzung dient, sondern unverzichtbar ist für Identitätsbildung, Beziehungsbildung und Lusterfahrung. Als Ziele sexueller Handlungen zählt der Theologe und Sozialethiker Konrad Hilpert auf: die Suche nach Zuneigung, Anerkennung, Wertschätzung, Bestätigung, Annahme, Fürsorge, Vertrauen, Verlässlichkeit, Solidarität, Ermutigung, Dankbarkeit, Trost „und anderes mehr“.
Sexualität ist mehr als Körperlichkeit Sexualität beschreibt also offensichtlich sowohl eine Grundverfasstheit des Menschen als auch ein Grundbedürfnis – nach ganzheitlichem Angenommen-Sein, nach Nähe, Geborgenheit und Zuwendung. Ein Leben lang suchen wir nach Ausdrucksformen, durch die wir uns selbst finden und Beziehungen stabilisieren können. Gleichzeitig sind wir herausgefordert, die verschiedenen Aspekte unserer Sexualität auszugestalten und in die eigene Person zu integrieren. Und von Beginn des Lebens an sind wir auf Beziehungen angewiesen, die diese Entwicklungen ermöglichen. In Begegnungen mit anderen, besonders mit geliebten Menschen lernen wir, auf verschiedene Arten zu kommunizieren; eine der „Sprachen“, die wir dabei sprechen, ist die sexuelle Begegnung.
Im Austausch mit einem Gegenüber erfahren wir unsere geschlechtliche Identität und stehen dazu. Und wir erleben, dass Beziehungen Freude machen, dass Intimität Geborgenheit schafft, dass ich mich selbst überschreiten kann in der sexuellen Begegnung, dass Lust und Ekstase Lebendigkeit erleben lassen. Zugleich lässt uns die Erfahrung, dass die Sehnsucht nach Liebe und Geliebt-Werden nie ganz erfüllt werden kann, uns auch ahnen, dass wir letztendlich erst in Gottes Liebe ganz aufgehoben und geborgen sind.
Ein Blick in die Bibel bestätigt diese Sicht von Sexualität. Zwei Beispiele:
- In der Schöpfungsgeschichte heißt es: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“ Vorausgegangen war die Erschaffung des Menschen als Abbild Gottes, als Mann und Frau, die er segnet und mit der Gestaltung der Welt beauftragt. Das heißt: Sexualität gehört zum Menschen. Als Teil des Beziehungsgeschehens von Paaren sowie in der Fruchtbarkeit ist sie sogar ein Teil der Ebenbildlichkeit Gottes. Gott schafft Leben und segnet die Beziehung.
- Das Hohe Lied im Alten Testament beschreibt in poetischen, bildhaften Worten die Liebe und die sexuelle Begegnung von Mann und Frau. Wunderbare Bilder für die erotische Begegnung der Liebenden, für die Sehnsucht und Suche nach dem Geliebten strahlen Freude über das Geschenk der Liebe aus, die körperliche Schönheit wird besungen und die Nähe des Anderen genossen. „Wie schön bist du und wie reizend, du Liebe voller Wonnen.“ Menschen haben hier ihre Erfahrungen in Zusammenhang gebracht mit Gottes Liebe zu den Menschen und sehen sie in der eigenen Liebesbeziehung abgebildet.
Und wie sage ich das meinem Kind? Die Sprache im Hohen Lied eignet sich heute nicht mehr für ein Gespräch mit Kindern über Sexualität, auch wenn wir die geschilderten Erfahrungen noch nachempfinden können. Stattdessen gibt es unzählige abwertende, zotige, verniedlichende oder nüchtern-distanzierte medizinische Ausdrücke. Das Bemühen um eine positive Grundhaltung verlangt dagegen eine wertschätzende, ermutigende und klare Ausdrucksweise, die dazu beiträgt, Haltungen zu veranschaulichen, eindeutig zu kommunizieren und Gewalt vorzubeugen.
Das Gesagte und das Gelebte Eltern von pubertierenden Mädchen und Jungen fällt es oft nicht leicht, ihren Kindern gute Worte mit auf den Weg zu geben, verständnisvolle Begleiter zu sein und ihnen von der Lebenserfahrung zu erzählen. So wie die Gefühle in diesem Alter oft Achterbahn fahren, so verlaufen auch die Gespräche über Sexualität: Mal klappt es gut, man findet einen „Draht“ zueinander, dann herrscht plötzlich wieder Sendepause oder gar offene Konfrontation. Dazu kommt: Alleinige Wissensvermittlung über biologische Vorgänge reicht bei der Sexualerziehung nicht aus. Die Kinder leben in einer Welt, die ihnen suggeriert: Du kannst alles haben. Es gibt keine Grenzen, alles ist möglich und alle machen mit. Umso wichtiger, dass Eltern Wertvorstellungen vertreten und sie ihren Kindern so vermitteln, dass sie erstrebenswert und attraktiv erscheinen. Es geht darum zu zeigen, dass zur Sexualität mehr gehört als Körperlichkeit, nämlich
- Verantwortung – für mich und meine/n Partner/in
- Wertschätzung – meiner selbst und meines Gegenübers
- Treue – die es ermöglicht, sich vorbehaltlos zu öffnen
- Liebe – als Fundament der Beziehung
- Vergebung – ich kann verletzen und verletzt werden
Das funktioniert nicht allein durch Sprache und Information, sondern im Leben und Erleben von Vertrauen und Bindung in der Familie. Als Erwachsener muss ich mich zunächst fragen: Was ist mir eigentlich wichtig? Auf welchem Grund stehe ich selber? Was gelingt mir, wo habe ich Schwierigkeiten mit der Sexualität? Diese Besinnung auf das eigene Leben erdet uns. Sie lässt uns die realen Lebensbedingungen anschauen, die glücklichen und weniger gelungen Erlebnisse in der eigenen Partnerschaft erinnern und Sehnsüchte wahrnehmen.
Kinder beobachten ihre Eltern sehr genau; sie habeneine „Antenne“ für die Qualität ihrer Partnerschaft und spüren, ob das Gesagte mit dem Gelebten übereinstimmt. Und auch wenn sie es gerade in der Pubertät nur ungern zugeben: Vater und Mutter bieten ihnen wichtige Orientierungshilfen durch die Art und Weise, wie sie Sexualität leben, mit dem eigenen Körper umgehen, die Intimsphäre der anderen Familienmitglieder respektieren und mit den eigenen Unsicherheiten und Grenzen umgehen.
Gespräche und Diskussionen sind wichtig; sie überzeugen aber nur, wenn ich die Werte, die ich vertrete, auch spürbar und sichtbar selbst lebe.
Kirsten Danelzik ist Theologin und arbeitet als Referentin in der Ehe- und Familienseelsorge des Bistums Würzburg.