Im alltäglichen Umgang mit Kindern benutzen viele die Begriffe „Lob“ und „Ermutigung“ zwar deckungsgleich.
Und in manchem Lob, das Eltern ihrem Nachwuchs zollen, steckt auch eine gute Portion Ermutigung – wenn sie ihm zum Beispiel auch für den vorletzten Platz beim Wettrennen auf die Schulter klopfen und ein Eis spendieren. Den entscheidenden Unterschied macht die Haltung, die dahinter steht:
- Lob bezieht sich auf eine abgeschlossene Leistung, ein fertiges Bild: die erledigten Hausaufgaben, ein aufgeräumtes Zimmer, einen gelungenen Kuchen.
- Ermutigung würdigt dagegen schon den Prozess, die Anstrengung, die zu der angestrebten Leistung führen soll: die Bereitschaft des Elfjährigen, sich an die ungeliebten Mathe-Hausaufgaben zu setzen, die Ausdauer des Zweijährigen, die eingestürzten Bauklötze auch ein drittes und viertes Mal wieder aufzutürmen.
Der wesentliche Vorzug von Ermutigung ist: Sie hängt nicht von Ergebnissen ab. Sie hilft Kindern deshalb gerade dann, wenn sie es am meisten brauchen, nämlich bei Schwierigkeiten und Misserfolgen. Eltern können das auch selbst erfahren: Was brauchen Sie dringender – das Lob des Chefs, wenn der Auftrag erledigt und der Kunde zufrieden ist? Dass Sie da eine reife Leistung abgeliefert haben, wussten Sie doch selbst schon! Oder die Ermutigung der Kollegin „Du kriegst das hin! Der erste Teil sieht doch schon prima aus!“, wenn Sie selbst mit Ihrer Arbeit hadern und nicht weiterkommen?
Allerdings setzt das Ermutigen ein Stück mehr Aufmerksamkeit der Eltern voraus als das Loben. Ein Lob holen sich Kinder oft selbst: „Schau mal Mama, das hab’ ich gemalt!“ Ermutigung dagegen erfordert eine aktive Wahrnehmung: Ich muss sehen, was mein Kind macht, seine Möglichkeiten kennen, die Schwierigkeiten einschätzen, die es dabei bewältigen muss, und erkennen, wie es ihm damit geht. Erst auf dieser Grundlage kann ich es angemessen ermutigen: „Das ist ein schwieriges Puzzle, toll, dass du dich da herantraust. Und du bist schon ganz schön weit gekommen; den Rest schaffst du bestimmt auch noch.“ Oder: „Okay, diese Textaufgabe ist auch ziemlich kniffelig. Aber die anderen hast du prima gelöst; das gelingt dir immer besser. Ich bin stolz, dass du so ausdauernd daran arbeitest.“
Dieses genaue Hinschauen zahlt sich aus. Umso „ehrlicher“ kommt die Ermutigung nämlich bei den Kindern an, anders als ein schnelles „Schön!“ oder auch „Das schaffst du schon!“ (Denn auch eine solche rein formale „Ermutigung“ kann dazu dienen, Kinder schnell abzufertigen.) Und umso nachhaltiger wirkt sie:
- Die Kinder fühlen sich ernst genommen, mit ihren Stärken und Schwächen anerkannt und geliebt.
- Sie wissen, dass sie sich auch Fehler und Misserfolge erlauben dürfen.
- Durch das Zutrauen der Erwachsenen in ihre Fähigkeiten entwickeln sie Selbstvertrauen und den Mut, sich an neue Aufgaben zu wagen.
Übrigens: (Selbst-)Ermutigung tut auch uns Erwachsenen gut. Denn der Blick auf die eigenen Stärken und positiven Eigenschaften legt ein gutes Fundament für ein starkes Selbstwertgefühl. Und die eigenen Schwächen und Fehler verlieren ihre herunterziehende Kraft, wenn ich sie als gegeben akzeptiere, sie zu meiner Persönlichkeit gehören und da sein dürfen. Und umso weniger gerate ich in die Versuchung, sie in meinen Kindern zu bekämpfen.
Sabine Maria Schäfer ist Erziehungsberaterin und systemische Familientherapeutin. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn.