„Komm, lass mich das schnell machen.“ Möglicherweise ist das der Satz, den ich in den vergangenen Jahren am häufigsten ausgesprochen habe. Morgens, wenn unser fünfjähriger Sohn sich mal um mal mit den Schleifen seiner Schuhe verhedderte und ich meinen ersten Kundentermin zu verpassen fürchtete. Mittags, wenn er beim Ausräumen der Spülmaschine Geschirr und Bestecke wieder mal heillos in den falschen Schränken und Schubladen zu verkramen drohte. Abends, wenn unsere Zweijährige sich ihr Marmeladenbrot partout selbst schmieren wollte und mit allzu viel Druck auf dem Messer zerbröselte. (Von der Schmiererei auf dem Tisch und ihren Klamotten gar nicht erst zu reden.)
"Schleife binden macht immer der Papa" Und jetzt sitze ich mit unserem Ältesten bei der Schulanmeldung und höre mit hochrotem Kopf, wie er die Frage der Rektorin nach dem Schleifebinden wahrheitsgemäß beantwortet. „Das macht immer Papa.“
Natürlich ist das alles banal. Wie vieles im Familienleben: Betten machen, einkaufen, kochen, Tisch decken, abwaschen, putzen, Wäsche sortieren, Blumen gießen … Lästige Arbeiten, die ich mir möglichst schnell vom Hals schaffe, um zu den wichtigen und schönen Dingen des Lebens zu kommen. Zum Beispiel nach dem Abendbrot mit den Kindern in der Höhle unter ihrem Hochbett zu kuscheln und Abenteuer vom kleinen Fußballspieler Niemeister zu spinnen. Den Tisch habe ich hinterher alleine schneller abgeräumt.
Möglich, dass da tief drinnen auch noch ein Stück männliche Missachtung von gemeiner Hausarbeit mitspielt. Während die Kinder selbst durchaus Interesse daran zeigen; „Helfen!“ zählt geradezu zu ihren Lieblingsspielen, nicht nur wenn dabei wie beim Abwaschen oder Wischen eine zünftige Wasser-Planscherei als zusätzliches Bonbon lockt.
Helfen fördert Konzentration und Zuverlässigkeit Den skeptischen Blick der Rektorin wegen meiner Hilfestellung beim Schleifebinden hätte ich noch, wenn auch peinlich berührt, weggesteckt. Und auch ihre Ermutigung, unserem Erstklässler in spe ruhig ein bisschen mehr Mitarbeit und -verantwortung im Haushalt zuzumuten: „Wir merken im Schulalltag sehr gut, ob Kinder von Haus aus daran gewöhnt sind, Aufgaben zuverlässig zu erledigen und ein Stück weit für sich selbst zu sorgen, zum Beispiel nicht im dünnen Pullover in die Hofpause zu rennen, wenn’s draußen friert.“
Soll ich mein Kind wirklich täglich zum Geschirrabtrocknen und Gemüseschneiden verdonnern, nur damit es dabei die nötige Fingerfertigkeit fürs Schreibenlernen trainiert? Worüber ich bis dahin wenig nachgedacht hatte: Sockenpaare aus dem Wäschetrockner zu fischen, beim Tischdecken Teller und Löffel abzuzählen, im Supermarkt nach Nudeln und Klopapier zu suchen und die Zimmerpflanzen täglich mit Wasser zu versorgen, macht Kinder nicht nur fit für ein zukünftiges Dasein als Wirtschafterin oder Hausmann. Es schärft ihren Blick für Farben und Formen, trainiert Gedächtnis und Orientierungsvermögen, fordert und fördert Konzentration, Ausdauer und Zuverlässigkeit – Qualifikationen, die nicht nur in der Schule, sondern auch in beruflichen und anderen zwischenmenschlichen Kontexten gefragt sind. Es stärkt ihre Selbstständigkeit, ihr Selbstvertrauen und ihre Zuversicht, auch anderen Aufgaben gewachsen zu sein. Und, nicht zu vergessen: Mein Zutrauen, dass unsere Kinder einen ernsthaften Beitrag im Haushalt leisten können, vermittelt ihnen das befriedigende Gefühl, dazuzugehören und eine wichtige Rolle in der Familie zu spielen. Vielleicht sind sie ja gerade deshalb so scharf aufs „Helfen!“.
Studie: Kinder die helfen, sind erfolgreicher Einmal mit der Nase darauf gestoßen, entdeckte ich in der Folgezeit bald weitere Informationen, die mich schließlich überzeugten: Du tust deinen Kindern keinen Gefallen, wenn du ihnen solche Aufgaben ersparst oder abnimmst. Denn sie lernen im Haushalt fürs Leben. Unter anderem stieß ich im Internet auf eine Pressemitteilung der University of Minnesota über eine – zugegeben: etwas ältere –
Studie der Familienforscherin Marty Rossmann, die 84 Kinder mehr als 20 Jahre lang beobachtete. Ergebnis: „You can make a big difference in your children’s future by asking them to take out the trash“ – die Beteiligung von Drei- oder Vierjährigen an Aufgaben im Haushalt lieferte die beste Vorhersage zu ihrem „Lebenserfolg“ als junge Erwachsene Mitte 20.
Die Gegenargumente, denen ich hier und da begegne, wirken auf mich reichlich fadenscheinig. Jüngere Kinder könnten sich doch beim Gemüseschneiden verletzen? Ältere seien nach einem anstrengenden Schultag so groggy, dass sie nicht auch noch ihre Schuhe selbst putzen könnten? Und statt mit mir das Gemüsebeet umzugraben, übten sie doch besser Klavier (oder gingen zum Ballett, zur Reitstunde, zur Computergruppe …), weil das wichtiger sei für ihre Zukunft? Klar, dass ich meine Ansprüche an die Mitarbeit der Kinder im Haushalt vernünftig dosieren muss und sie dabei nicht zu bloßen Handlangern degradieren darf. Sie grundsätzlich damit zu verschonen, überlasse ich aber lieber „Helikopter-Eltern“, die ihren Nachwuchs wie rohe Eier behandeln und ihnen jeden Widerstand aus dem Weg räumen, um seine glückliche Kindheit nur ja nicht zu stören. Und die Abwertung des gemeinen Familienlebens zugunsten „höherer“ Förderziele erinnert mich verdächtig an „Tiger Mothers“, die ihre Kinder um jeden Preis zu „Siegern“ machen möchten und sie dazu von A bis Z lenken und kontrollieren. So oder so, fürchte ich, würde ich damit riskieren, sie total zu entmutigen: „Wenn Mama und Papa sich nicht darum kümmern, schaffe ich das alleine nicht.“
Auch anspruchsvolle Aufgaben können interessant sein Für mich als Kind und Teenager war das eine Selbstverständlichkeit: nachmittags beim Bäcker Brot zu holen, beim Spülen zu helfen, Rasen zu mähen. Diskussionen darum gab’s nicht. Im Nachhinein hätte ich mir allerdings gewünscht, dass diese Einbeziehung ins elterliche Wirtschaften auch noch weitere, anspruchsvollere Aufgaben umfasst hätte. Zum Beispiel: Welche Versicherungen brauche ich / braucht meine Familie und wie schließe ich die günstig ab? Worauf muss ich achten, wenn ich Möbel, Haushaltsgeräte oder ein Auto kaufe? Wie funktioniert das mit den Steuern? Vieles davon musste ich mir später als Selbst- und Familienversorger selbst beibringen, gelegentliche Reinfälle inbegriffen. Mal sehen, ob ich meine Kinder in acht oder zehn Jahren dafür interessieren kann.
Adrian Schelling ist Finanzbeamter. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Eifel.