Ihre Jugend war zu Ende, als sie mit 15 Mutter wurde. Und ihre Umwelt sorgte dafür, dass Susanne K. nur ganz langsam aus ihrem Tief herausfand. Vor allem ihr Kind half ihr, die Freiheit im Anders-Sein zu entdecken.
Im Rückblick merkt die heute 52-Jährige, dass sie an den Herausforderungen von damals gewachsen ist. Sie kann dem Leben wieder vertrauen.
1979, ich bereite mich gerade auf die Mittlere Reife vor. Mein Leben ist bunt und lebendig, ich bin neugierig, plane, träume, und die Welt gehört mir. Ich sehe gut aus, bin eine gute Schülerin, beliebt und glücklich verliebt.
Irgendwann spüre ich, dass etwas anders ist als sonst, mache mir anfangs aber keine großen Gedanken deswegen. Der Frauenarzt in der schwäbischen Kleinstadt, der nur im Krankenhaus praktiziert, untersucht mich in einer kalten Badewanne. Auf der Frauenstation wache ich wieder auf, und eine Krankenschwester erklärt mit knapp und kurz, dass ich schwanger bin.
Im Krankenhaus wissen schon alle Bescheid …
Ich bin gerade 15, das dritte von vier Kindern. Mein Vater ist Beamter, meine Mutter Hauswirtschafterin in einem Arzthaushalt. Nebenbei betreiben wir eine kleine Landwirtschaft mit großem Nutzgarten, was viel Arbeit bedeutet.
Meine Welt gab es nicht mehr
Meine Mutter wartet meine Erklärung erst gar nicht ab, sondern schlägt sofort zu und schreit mich an: „Du machst alles kaputt. Wegen dir können wir nicht mehr hier leben. Du bist eine Schande für die ganze Familie. Du bist von nun an nur noch geduldet in diesem Haus, nicht mehr Tochter, sondern Magd.“ Sie vermied ab sofort jeden Kontakt zu mir, ich musste ihre Kittelschürze tragen, durfte nicht mehr ans Telefon oder die Haustüre öffnen. Kontakte zu Freunden wurden untersagt. Meine Welt, mein Leben gab es nicht mehr.
Dann zog ich um zu meinem Vater, der die Woche über in einer nahen Mittelstadt arbeitete, und wechselte die Schule. Damit begann die beste Zeit meiner Schwangerschaft. Tolle, aufgeschlossene Mitschülerinnen standen mir in allen Fragen zur Seite, begleiteten mich zu Ärzten, organisierten die Erstlingsausstattung, eine Wohngemeinschaft, einen Ausbildungsplatz, die Hilfe ihrer Omas.
Schulisch war diese Zeit allerdings ein Desaster. Und, noch viel schlimmer: Seelisch blieb ich in meiner Familie gefangen, in mir selbst, stand mir im Wege. Es gab mich nicht mehr, nur noch einen Scherbenhaufen.
Suizidgedanken überlebte ich mit viel Glück, aber ich traute keinem Erwachsenen mehr. Alles erschien mir eine einzige Lüge: die Ärzte, die mich im vierten Monat zur Abtreibung zwingen wollten. Lehrer, die mich aufgaben. („Kannst ja als Putze arbeiten, geschieht dir recht.“) Priester, die mich zum Suizid bewegten. Der Vater meines Babys, 17 Jahre alt, versicherte im ersten Gespräch: „Das stehen wir gemeinsam durch, wir gehören zusammen.“ Aber seine Familie verbot ihm jeden Kontakt. Unsere Eltern beschuldigten sich gegenseitig, es kam nie zu einem Gespräch. Nur drei Menschen standen absolut zu mir: meine ältere Schwester, ein guter Freund (der mehr ein Brieffreund war) und eine Lehrerin, die gleichzeitig schwanger war.
Jahrelang fühlte ich mich ausgeschlossen
Nach der Geburt von Dominic zog ich zurück zu meiner Familie. Mit ihrer sehr konservativen Art zu leben hatte ich große Schwierigkeiten, aber ich war auf sie angewiesen – Unterkunft, Verpflegung, Kinderbetreuung … Nach der Mittleren Reife, die ich dann doch mit Bravour bestand, hatte ich keine Chance auf die Fachhochschulreife; viele Ausbildungsberufe, die ich mir früher ausgemalt hatte, blieben mir verschlossen, ich musste nehmen, was ich mit dem Fahrrad und später mit dem Bus erreichen konnte.
Meine Umwelt – Großfamilie, Gemeinde, Jugendverband, Musikverein – begegnete mir schadenfroh und ablehnend; 20 Jahre lang war ich vom Gemeindeleben ausgeschlossen. („Die kommt nicht in den Verein, die macht jedem ein Kind.“) Mit 20 musste ich mich wie 30 geben, war als Mutter im Kindergarten oder später in der Schule immer die jüngste; Respekt mir gegenüber spürte ich nicht. Viele Jahre lang fand ich mich hässlich, dumm, ungebildet, weltfremd. Ich passte nicht dazu, konnte dem Leben nichts Positives abgewinnen.
Doch langsam entdeckte ich: Ich war jung, anders – und ich fand Nischen der Freiheit, die ich nutzen konnte. Ich stapfte mit Dominic durch Pfützen, lief mit ihm barfuß im Schnee, wir tuschelten und kicherten, egal wo wir waren. Als er 2 war, zelteten wir und saßen bis in die Nacht am Lagerfeuer, als er 6 war, lernten wir gemeinsam Gitarre und besuchten Open-Air-Rockkonzerte. Und nach und nach fand ich wieder Menschen, die gut und ehrlich zu mir waren. Eine Cousine mütterlicherseits, die Dominic betreute und deren Tochter bis heute wie eine große Schwester für ihn ist. Einen weltoffenen Chef, der mich lange Jahre väterlich begleitete. Und einen Partner, der mich sah und erkannte und nicht das Drumherum.
Es ist gut so, wie es ist
Im Rückblick erkenne ich: Ich bin mit jeder Aufgabe gewachsen, die ich alleine zu bewältigen hatte, und konnte dabei manche Angst abbauen. Die Bindung zu Dominic ist intensiv, sensibel, ehrlich und sehr frei. Mit meinen drei Kindern habe ich eine tolle Familie; meine Töchter sind mächtig stolz auf ihre etwas andere Mutter.
Im Gespräch mit meinen Eltern konnte ich manche Frage klären, obgleich vieles bis zu ihrem Tod unausgesprochen blieb. Aber es ist gut so, wie es ist. Ich habe wieder gelernt, dem Leben zu trauen.
Susanne K. ist heute 52 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie im Schwarzwald.