Eine Mutter denkt an die Zeit zurück, als ihre Kinder klein waren. Denn aus der Erinnerung an die Lebendigkeit und die Aktivitäten ihrer beiden Söhne zieht sie Kraft für die Zeit, in der sie aus dem Haus sein werden – und wenn für sie und ihren Mann ein neuer Lebensabschnitt anbricht.
„Genieße die Zeit, sie geht so schnell vorbei“ – diesen Rat hören viele junge Eltern. Und wundern sich dann doch irgendwann, wie schnell die Jahre vergangen sind.
Familienurlaub. Zu viert auf einer kleinen Insel, „unserer Insel“, seit Marvin ein Jahr alt ist. Ich lasse meine Gedanken schweifen und fülle Seite um Seite mit meinen Erinnerungen an die Jahre, die seitdem vergangen sind.
Jetzt dauert es noch ein Jahr, dann macht unser Großer seinen Schulabschluss; danach wird er ein soziales Jahr in Afrika verbringen, das hat er schon fest geplant. Dann gibt es keine verlässlichen Zeiten mehr, zu denen wir beim Frühstück die vier Teile der Tageszeitung unter uns Vieren durchlaufen lassen, abends zusammen Fußball schauen oder kirchliche Events in der Pfarrei jede und jeder auf seine Art, aber irgendwie doch miteinander gestalten und erleben.
Zuhören und mitdenken
Marvin wird gehen, zwei Jahre später auch Jan. Jeder in seine Berufsausbildung, sein Leben an einem anderen Ort, und vor allem: in sein Erwachsenenleben und „die Welt“. Ich finde es spannend, bei ihren Überlegungen zuzuhören, mitzudiskutieren, was wie und warum sinnvoll wäre. Schon immer habe ich die Lebendigkeit, die Spontaneität und Flexibilität genossen, die unsere Söhne in das Familienleben brachten, ihre Aktivitäten und Themen als Drei-, Sieben-, Zwölf- oder Siebzehn-Jährige.
„Genieße es, es geht so schnell vorbei“, hatten andere mir früher oft geraten. Ich habe mich daran gehalten, aber ich gebe zu: Ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell vorbeigehen, diese 17, 18 Jahre.
"Jetzt sitze ich hier und halte Rückschau"
Und jetzt sitze ich in diesem Urlaub am Meer und halte Rückschau über meine Geschichte als Mutter von zwei tollen Jungs und Partnerin ihres Vaters. Weil ich mich gerne auf kommende Situationen und Veränderungen vorbereite, damit ich weiß, was mir dabei wichtig ist, und ich nicht nachher sagen muss: „Aber ich hätte doch noch gerne…“ Ich gehe durch, was wir miteinander erlebt, gestaltet, gemeistert haben, wo wir Spaß hatten, und schreibe auf, was mir wichtig war: Als Jan jede Nacht zu uns ins Bett kam, weil er nicht allein schlafen konnte. Als wir umgezogen sind. Als die Oma gestorben ist. Als die Jungs mit uns gemeinsam beim Weltjugendtag aktiv waren. Als sie Liebeskummer hatten. Als Alkohol ein Thema wurde. Als sie sich firmen ließen und wir darüber diskutierten, warum so viele ihrer Freunde so distanziert zur Kirche stehen. Als Marvin mich bei einem heftigen Streit in der Großfamilie in den Arm nahm …
Eine ganze Menge kommt da zusammen beim Erinnern und Aufschreiben, wofür ich dankbar bin, was anstrengend war, was ich besonders mochte, was wir als Eltern offenkundig gut hingekriegt haben. Und ich spüre: Dieses Genießen im Rückblick, bei dem Bilder sich entwickeln und bündeln, macht mich stark. Ich weiß, was wir hatten und irgendwie ja als gefüllte Lebenszeit in uns tragen. Und es hilft mir, mit Vorfreude den nächsten Schritt zu gehen, zusammen mit meinem Mann und auch für mich ganz persönlich. Ich freue mich auf die neuen Zeiten. Ich habe Ideen, was ich dann machen will, was dann alles gehen wird. Mit diesem Pfund im Rücken bin ich gespannt auf unseren Lebensabschnitt, der nun kommt!
Sie werden fehlen
Aber gleichzeitig werde ich Marvin und Jan auch vermissen. Auf vieles wäre ich ohne sie gar nicht gekommen, hätte so vieles nie erlebt. Zum Beispiel die Frage, ob Vegetarier eigentlich Schwämme essen (wo wir gerade am Meer sind), weil es doch unterschiedliche Meinungen darüber gibt, ob das Tiere oder Pflanzen sind … Ja, sie werden uns fehlen, unsre Jungs!
Text: Clara Lorey, Unternehmensberaterin, lebt mit ihrer Familie nahe Frankfurt/Main