Herzstück der Gemeinschaft und Bildung Warum katholische öffentliche Büchereien Kirche und Gesellschaft verbinden und gerade für Familien wichtiger Lern- und Begegnungsraum sind

Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen: Büchereiarbeit in Pfarreien leistet nicht nur einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit, sondern auch zur Glaubensvermittlung, Werteorientierung und Demokratie. Gerade für Eltern und Kinder bieten katholische öffentliche Büchereien ein breites Bildungsangebot – von Vorlesestunden und Bücherflohmärkten bis hin zu Elternabenden zur Leseförderung und Medienerziehung. Ein Besuch in der Gemeindebücherei im oberbayerischen Grassau zeigt, wie Ehrenamtliche junge und ältere Leserinnen und Leser in die vielfältige Welt der Literatur einführen.
 
Auf dem Foto ist eine Frau in einer Bücherei zu sehen, die Kindern ein Buch vorliest.
Vorlesestunde: Zentrales Anliegen in der Büchereiarbeit ist die Leseförderung. Katholische öffentliche Büchereien bieten zahlreiche Veranstaltungen für jede Altersgruppe, oft in Kooperation mit weiteren Einrichtungen der Gemeinde wie Kindergärten, Seniorenheimen und Grundschulen.
Anneliese Gschöderer freut sich schon auf die nächste Schulklasse, die in Kürze kommt. Es begeistert sie immer wieder, wie Kinder das Lesen entdecken: „Beim ersten Besuch sagen manche, da ist ja gar nichts für mich dabei, und beim nächsten Mal schleppen sie dann ganze Stapel Bücher mit nach Hause.“ Immer wieder kommt es vor, dass sie auf der Straße Unbekannte grüßen. Sie erzählen ihr dann, dass sie mittlerweile an einem anderen Ort leben, aber sich noch gut daran erinnern, wie sie vor 20 oder 30 Jahren mit Anneliese Gschöderer die Grassauer Bücherei entdeckten.

Die ehrenamtliche Mitarbeiterin ist aber schon deutlich länger dabei – seit 1981, als die erste Bücherei am Ort auf Initiative der Kirche im Pfarrheim gegründet wurde. Heute kann sich die 75-Jährige gar nicht mehr vorstellen, dass es eine Gemeinde ohne Bücherei gibt. In Grassau ist jedenfalls auch die Kommune davon überzeugt und unterstützt die komplett ehrenamtlich geführte Bücherei „sehr großzügig“, wie die Leiterin Caroline Zeisberger erzählt.

Bücherei über der Dorfwirtschaft
 
Auf dem Foto ist die Bücherei der Pfarrgemeinde von Grassau von außen zu sehen.
Lebensnah: Die Räume der Bücherei im oberbayerischen Grassau sind direkt über der Gaststätte
So konnten die heute insgesamt 24 Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter aus den beengten Pfarrräumen in einen ehemaligen Saal über der Dorfwirtschaft einziehen. Regale und Möbel sind maßgeschreinert. Während unten Schweinsbraten und Knödel serviert werden, leihen oben die Kundinnen und Kunden vor allem Romane, Heimatkrimis, Reiseführer, Sach- und vor allem Familien viele Kinderbücher aus.

Deswegen kommt Claudia Richter fast jede Woche mit ihrem Sohn Jakob hierher. Der Fünfjährige ist gerade in ein Bilderbuch mit Baumaschinen vertieft. Und seine Mama freut sich, dass Jakob durch die vielen Bilderbücher „seinen Wortschatz erweitert und immer neugieriger aufs Lesen in der Schule wird“.

Ein Höhepunkt nach dem Sonntagsgottesdienst, dem Kindergarten oder Hort ist für Kinder wie Jakob der Besuch der katholischen öffentlichen Bücherei. Sich mit einem Wimmelbuch auf einem Sitzpolster gemütlich machen, die Regale nach den neuesten Comics durchforsten, oder sich von Papa ein Bilderbuch vorlesen lassen, sind für viele Eltern und ihre Kinder zur festen Ritualen geworden. Dass dabei die Lese- und Medienkompetenz der Kinder gestärkt, Ihre Lust auf Literatur geweckt wird und sie oft auch spontan andere Kinder in der Bücherei treffen, trägt dem Bildungsauftrag wie er im II. Vatikanischen Konzil formuliert wurde, Rechnung.
 
Begegnungsort für alle

Aber auch Erwachsene kommen in der Grassauer Bücherei auf ihre Kosten. Büchereileiterin Caroline Zeisberger lädt zum Frühstück mit Autoren von Berg- und Wanderführern, zu Lesungen mit Krimischriftstellern aus der Region oder zu Abenden mit Mundartliteratur ein. Auf dem Programm stehen zudem Auszeichnungen für besonders eifrige Nutzer, Bücherflohmärkte oder Spieleabende: „Wir wollen für alle etwas bieten, auch für die rund 200 Flüchtlinge am Ort, zum Beispiel mit Büchern in einfacher Sprache.“

Gemeinde und Pfarrei sind Mitglied des katholischen Büchereifachverbandes St. Michaelsbund (SMB). Im Erzbistum München und Freising begleitet er rund 200 Büchereien mit rund 2.300 freiwilligen Helferinnen und Helfern. Sie lassen sich vom SMB über Neuerscheinungen auf dem Medienmarkt, elektronische Ausleihe und E-Books oder bei der Katalogisierung professionell beraten.

Annette Grimm kümmert sich um die Bestandspflege, also um Neuanschaffungen, aber auch um das konsequente Aussortieren veralteter oder kaum genutzter Medien: „Allein die super Empfehlungen des SMB bei den Neuerscheinungen sparen mir viel Zeit.“ Auch nach 21 Jahren hat Annette Grimm immer noch Freude an ihrem Ehrenamt in der Bücherei: „Mir gefallen die vielfältigen Aufgaben, ich begegne vielen Menschen und zeitlich ist es flexibel, deshalb lässt es sich gut mit der Familie verbinden.“
 
Auf dem Foto sind Annette Grimm, Anneliese Gschöderer und Caroline Zeisberger mit Enkelkind zu sehen. Die Damen arbeiten ehrenamtlich in der Bücherei in der Pfarrgemeinde Grassau.
ohne Ehrenamtliche ginge es nicht: (v.l.n.r.) Annette Grimm, Anneliese Gschöderer und Caroline Zeisberger mit Enkelkind
Durch Ehrenamt fast täglich geöffnet

Durch die treue Schar der Ehrenamtlichen schafft es Grassau, einen Bestand von 11.000 Medien zu pflegen und fast jeden Tag zu öffnen. Ohne Bücherei wäre Grassau jedenfalls ärmer, meint Pfarrer Andreas Horn, der die Mitarbeitenden jedes Jahr zu einem Dankeschön-Essen für ihr freiwilliges Engagement einlädt. Ohne die kleine Bibliothek würde der Gemeinde ein wichtiger Ort der Begegnung fehlen. Die Büchereiarbeit zählt für ihn außerdem zum großen kulturellen Auftrag der Kirche: „Allgemeinbildung soll ja kein Luxusgut für wenige, sondern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein.“

Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Grassauer Bücherei nehmen das sehr ernst. Damit möglichst auch Berufstätige ausleihen können, hat sie seit einiger Zeit sogar jeden Mittwoch von 19.00 bis 20.00 Uhr geöffnet. „Bücher gehören einfach ins Leben eines jeden Menschen“, sagt Anneliese Gschöderer. Und sie ist sich sicher, dass viele Kinder, die heute mit ihrer Schulklasse vorbeischauen, auch als Erwachsene wiederkommen.

Text: Alois Bierl, Chefreporter Sankt Michaelsbund/as, April 2024
 

Kirchliche Büchereien im Erzbistum

Aktuell stellen 206 katholische öffentliche Büchereien die Literaturversorgung im Erzbistum München und Freising vor allem in der Fläche sicher - von Reit im Winkl über Ebersberg bis nach Ilmmünster. In diesen weitgehend ehrenamtlich geleiteten Einrichtungen engagieren sich mehr als 2.400 Mitarbeitende. Sie werden von der Diözesanstelle des Büchereifachverbandes Sankt Michaelsbund betreut und begleitet.

Die katholischen öffentlichen Büchereien im Erzbistum haben 2023 rund 1,65 Millionen Besuche und 4,8 Millionen Entleihungen verzeichnet und verwalten einen Bestand von knapp 2 Millionen Büchern und anderen Medien. Ein Schwerpunkt liegt in der Kinder- und Familienbildung. So laden zahlreiche Büchereien zu Vorlesestunden ein oder stellen ihre Arbeit und die Bedeutung der Leseförderung auf Elternabenden oder Schuleinschreibungsterminen vor. Zu den über 6.200 Veranstaltungen der Büchereien im vergangenen Jahr zählen auch Lesungen, Vorträge, Umweltfortbildungen, Spieleabende oder Treffpunkte für Trauernde.