Für Paare und Familien ist die Corona-Krise eine besondere Herausforderung. Doch es gibt Mittel und Wege, inneren Halt zu finden und die Krise besser zu meistern - auch gemeinsam.
„Wir kommen nach eineinhalb Jahren Pandemie allmählich an unsere Grenzen“, sagt die Diplom-Psychotherapeutin, psychologische Psychotherapeutin und Kommunikationstrainerin Isabelle Überall. „Corona-Müdigkeit, depressive Stimmungen oder Angststörungen haben zugenommen. Viele haben das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben ein Stück weit verloren zu haben.“ Auch für Paare waren die vergangenen Monate eine Herausforderung: „Begrenzter Wohnraum, Homeoffice und Homeschooling, keine Chance, im Urlaub Entspannung zu finden oder zu zweit mal wieder ins Kino zu gehen, dazu zum Teil existenzielle Sorgen: Es war eine karge Zeit, die vielen zu schaffen gemacht hat“, so Isabelle Überall.
Ihre Kollegin Anjeli Goldrian hat fünf Gruppen ausgemacht, denen die Krise besonders stark zusetzt:
- Menschen, die bereits eine schwere Covid-Erkrankung erlitten oder sie bei Angehörigen erlebt haben. Viele von ihnen entwickeln posttraumatische Belastungsstörungen oder tun sich schwer mit der Verarbeitung.
- Alleinstehende Menschen, vor allem wenn sie vorher schon isoliert waren oder älter sind. Angebote, die sie sonst aus ihrer Einsamkeit herausholen, finden nicht statt.
- Menschen mit psychiatrischer Vorerkrankung. Bei ihnen haben sich die Probleme in der Pandemie meist potenziert, sagt die Therapeutin.
- Jugendliche und junge Erwachsene, die durchstarten oder zumindest zu Hause ausziehen wollten. Anjeli Goldrian: „Was Erwachsene oft vergessen: Es gibt nur einen 18. Geburtstag oder nur eine Schulabschlussfahrt. Diese wichtigen Ablösungsprozesse von den Eltern konnten nicht stattfinden“.
- Medizinisches Personal, das täglich mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen hat und unter den oft harten Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung leidet.
Isabelle Überall sprach in den vergangenen Monaten mit ihren Klientinnen und Klienten viel über die Krise und deren Bewältigung. Dabei versuchte sie, den Fokus weniger auf die Probleme und dafür mehr auf die Ressourcen zu lenken. „Was tut ihnen gut, was hilft ihnen, wieder auf positive Gedanken zu kommen? Die psychische Widerstandskraft, die wir Resilienz nennen, ist wichtig, um Krisen zu meistern. In der Corona-Zeit kommt ihr eine besondere Rolle zu.“ In der Therapie arbeitet sie beispielsweise heraus, was in der aktuellen Situation weniger gut ist: „Wer unter Ängsten leidet, sollte sich nicht jeden Tag die Nachrichten anschauen. Oder sich ausgiebig mit möglichen Nebenwirkungen der Impfstoffe beschäftigen.“ Es gehe nicht darum, erklärt Isabelle Überall, den Kopf in den Sand zu stecken – „sondern ihn frei zu bekommen, Kräfte zu sammeln und positive Gedanken zuzulassen“.
In der Krise kann es helfen, nicht nur für sich zu sorgen, sondern auch anderen etwas Gutes zu tun: für die Nachbarin einkaufen gehen zum Beispiel oder Geld für einen guten Zweck spenden.
Die erfahrene Therapeutin nennt drei Grundsätze, die Menschen in der Krise gut tun:
- Entspannen: Die Gedanken beruhigen, Spaziergänge in der Natur unternehmen, Sport treiben, beten.
- Spaß haben: Schöne Augenblicke sammeln und ins eigene Leben einbauen: etwas Leckeres für sich kochen, mit der besten Freundin telefonieren, einen guten Film ansehen.
- Auch anderen etwas Gutes tun: Es helfe, nicht nur für sich zu sorgen, sondern auch anderen etwas Gutes zu tun: für die Nachbarin einkaufen gehen, Geld für einen guten Zweck spenden. „Anderen Menschen helfen kann glücklich machen“, sagt sie.
In der Beratungspraxis war das Thema Corona in den vergangenen Monaten allgegenwärtig. Nicht alles war negativ: Anjeli Goldrian fällt zum Beispiel die Familie mit fünf Kindern ein, die schon vor der Krise Rat suchte. Die Eltern hatten zu wenig Zeit füreinander und fühlten sich vom Partner vernachlässigt. Corona verschärfte zunächst die Lage. „In der Therapie habe ich versucht, ihre Wahrnehmung zu ändern, ihnen zu zeigen, was sie alles bereits geschafft haben. Durch Übungen ist es gelungen, ihre Erwartungen an sich, den Partner und das Leben zu reduzieren und den Fokus darauf zu richten, was alles funktioniert hat.“ Sie gestehen sich jetzt mehr Freiräume zu und nehmen sich wieder Zeit zum Durchatmen.
Manche Paare könnten auch gestärkt durch Krisen gehen.
Auch Isabelle Überall begleitet ein Paar in der Therapie, das aus der Krise gestärkt hervorgeht. Beide Partner sind beruflich sehr eingespannt, die Frau hat sich eine eigene Wohnung genommen, die achtjährige Tochter lebt beim Vater. Die drei sehen sich nur unregelmäßig. Allein deshalb kommen die Ehepartner gern zur Therapie, weil dies ein Ort bzw. ein Termin sei, an dem sie sich regelmäßig begegnen können. In den letzten Monaten erkannte die Frau, dass sie sich auf ihren Mann verlassen kann und er für sie wie ein Fels in der Brandung ist. „Ohne Corona wäre ihr das nicht so bewusst geworden, davon bin ich überzeugt. Es gibt Paare, die erkennen irgendwann, dass sie es nicht miteinander schaffen, und es gibt solche, die in der Krise wieder zusammenfinden“, so Isabelle Überall.
Die Ehe-, Familien- und Lebensberatung hat die Pandemie ebenfalls genutzt und wichtige Neuerungen umgesetzt. Sie bietet jetzt Telefon- und über eine
diözesane Online-Plattform auch Online-Beratungen an. Auf Wunsch werden die Fragen dort per Live-Chat (mit Voranmeldung) oder zeitnah per E-Mail von den Therapeutinnen und Therapeuten beantwortet. Eine professionelle Videoberatung ist im Aufbau. Nach der „blended counseling“-Methode können die Klientinnen und Klienten je nach Situation und Bedürfnis zwischen den unterschiedlichen Beratungsformen wechseln (persönliches Gespräch vor Ort, am Telefon, per Chat etc.).
Wem es gelingt, die Balance im Inneren zu suchen und dort Kraft und Halt zu finden, kommt besser durch die Krise.
In dieser Krise (und allen weiteren, die noch folgen könnten) hält Anjeli Goldrian einen wertvollen Ratschlag bereit – für alle, die fürchten, den Halt zu verlieren: „Die Balance stärker im Inneren suchen und dort Kraft und Halt finden.“ Ihr selbst helfe der Glaube und das tägliche Gebet, sagt sie, aber das sei bei jedem Menschen anders. „Für eine Gesellschaft wie unsere war die Corona-Krise keine einfache Erfahrung. Aber genau darin liegt auch eine Chance. Es hat sich gezeigt, dass wir auch in Deutschland nicht alles im Griff haben. Es passieren Dinge, die wir nicht wollen. Trotzdem sollten wir lernen, das Leben mit Gottes Hilfe anzunehmen.“ Viel Leid entstehe, weil wir oft einer bestimmten Vorstellung von Glück nachhängen würden, auch in der Partnerschaft. Ihre Botschaft: „Nichts bleibt gleich, alles ist permanent im Wandel.“ Je weniger sich die Menschen an Vorstellungen klammern, desto flexibler können sie auf das, was passiert, reagieren. „Wichtig ist: Im Hier und Jetzt leben und auf Gott vertrauen. Dann kommen wir besser durch die Krise.“
Autor: Christian Horwedel, Freier Redakteur, Juli 2021
Ehe-, Familien- und Lebensberatung
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