Großer Kraftakt: Trotz Trennung gute Eltern und Erziehungspartner zu sein, erfordert Stärke und ist oft aufgrund emotionaler Belastungen nicht einfach.
Die einen kommen aus eigener Motivation, andere werden vom Jugendamt oder dem Familiengericht geschickt. Der Kurs „Kinder im Blick“ richtet sich an Eltern in Trennung oder Scheidung und zeigt ihnen, wie sie trotz Dissonanzen ihre Kinder partnerschaftlich erziehen und ihnen nun zwei "sichere Hafen" sein können.
„Der Kurs bietet eine gute Mischung aus theoretischen und praktischen Elementen, um Elternteile zu unterstützen, in dieser schwierigen Lebenssituation gut für ihre Kinder da zu sein. Er kann und soll aber keine psychologische Beratung oder Therapie ersetzen“, erklärt Michaela Lochschmidt, Leiterin der
Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) München-Isartor der Erzdiözese München und Freising, die den Kurs im Erzbistum anbietet.
Der Kurs „Kinder im Blick“ (KiB) wurde vom Familiennotruf zusammen mit der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität LMU entwickelt und wird inzwischen als „Elterntraining mit 7 Kurseinheiten“ in ganz Deutschland angeboten. In der Erzdiözese werden die Kurse in der Zentrale der Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der Rückertstraße in München, in Traunstein und online durchgeführt. Die nächsten Kurse sind für Anfang 2025 geplant.
Jeder Kurs ist für bis zu zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgelegt und wird von zwei dafür ausgebildeten Fachkräften geleitet. Wünschenswert ist, dass beide Elternteile den Kurs besuchen, sollen dies aber nie gemeinsam im selben Kurs tun. Darauf wird streng geachtet.
In Beziehung bleiben: Im KiB-Kurs erfahren Eltern in Trennung, wie sie ihre Kinder und sich in dieser schwierigen Lebensphase stärken können.
Nie schlecht über den anderen reden
"Kinder im Blick" setzt drei Schwerpunkte: „Mein(e) Kind(er)“, „Ich“ und „Wir als Eltern“. Im ersten geht es darum, wie Eltern die Beziehung zu ihrem Kind stärken und wie sie dafür Sorge tragen können, dass sich das Kind trotz der Trennung gut entwickeln kann. „Für die Kinder ist es enorm wichtig, dass sie nach einer Trennung beide Elternteile, Mama und Papa, liebhaben dürfen und nicht in Loyalitätskonflikte hineingezogen werden. Daher sollten die Eltern den Kontakt zum anderen Elternteil unterstützen und nie schlecht über den anderen vor dem Kind reden“, erklärt Michaela Lochschmidt.
In einer Fantasiereise in die Zukunft entwickeln die Väter und Mütter ihren persönlichen „Leitstern" dafür, was ihnen für die Erziehung und Entwicklung ihres Kindes wichtig ist, um in den Turbulenzen des Alltags stets eine gute Orientierung vor Augen zu haben.
Eigene Lösungen entwickeln
Mit dem „beschreibenden Lob“ lernen die Kursteilnehmenden eine Methode kennen, wie sie ihr Kind positiv bestätigen können, wenn es etwas gut gemacht oder sich um etwas bemüht hat. Das fördert die Beziehung zum Kind und hilft ihm, ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln. „Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wie kann ich auf mein Kind gut eingehen und ihm helfen, eigene Lösungen zu entwickeln, wenn es schwierige Gefühle wie Wut, Angst oder Traurigkeit zeigt? Wir nennen das Emotionscoaching“, so Michaela Lochschmidt. All die im Kurs vorgestellten Methoden können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rollenspiel selbst ausprobieren und einüben.
Lernen, im Alltag gut für sich selbst zu sorgen
Den zweiten Schwerpunkt bildet das „Ich“. „Die Väter und Mütter lernen, wie wichtig es ist, im Alltag gut für sich selbst zu sorgen, Kraft zu schöpfen, sich etwas zu gönnen. Wir überlegen miteinander, was für uns ‚Inseln im Stressmeer‘ sein können.“ Das können auch mal kleine Dinge sein, so Michaela Lochschmidt, "die Tasse Tee nach der Arbeit, gute Musik, eine Runde Joggen."
Der dritte Schwerpunkt heißt „Wir als Eltern“: Was können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tun, um die Konflikte mit dem anderen Elternteil möglichst zu entschärfen oder gar zu bereinigen? Für Michaela Lochschmidt ist das ein wichtiges Element bei der Trennung: der Rollenwechsel zum Arbeitsteam. „Die Eltern müssen lernen, dass die Paarebene beendet ist. Sie sind jetzt ‚nur‘ noch Eltern und müssen eine andere Rolle einnehmen.“ Das falle vielen schwer, weil häufig unverarbeitete Paarkonflikte in die Elternebene hineingetragen und auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden.
Konflikte nicht eskalieren lassen
Im Kurs werden verschiedene Methoden vorgestellt und eingeübt, die helfen können, Konflikte nicht eskalieren zu lassen. So lernen die Teilnehmenden beispielsweise, bei Vorwürfen, Beleidigungen oder Unterstellungen ruhig zu bleiben, aus der „Achterbahn der Gefühle“ frühzeitig auszusteigen oder die „Pausentaste“ zu drücken: Tief durchzuatmen, nicht sofort auf jede WhatsApp-Nachricht zu reagieren oder bei einem Telefonat auch mal zu sagen: „Ich denke darüber nach und rufe dich zurück.“ Im Kurs werden auch Regeln eingeübt, die helfen sollen, Gespräche mit dem anderen Elternteil konstruktiv zu führen.
Abgerundet wird der Kurs durch einen Blick in die Zukunft: Wie ist es, mit Kindern neue Beziehungen einzugehen und worauf ist zu achten, damit das Leben in einer Patchwork-Familie gelingen kann?
Scheitern und Neubeginn: Mütter und Väter müssen nach ihrer Trennung trotz aller Belastungen als Eltern weiter im Team zusammenarbeiten – und sich entsprechende alltagstaugliche Kompetenzen aneignen.
„Jeder hat sein emotionales Päckchen zu tragen“
Petra M. lobt den Aufbau des Kurses und die darin vermittelten Inhalte. Sie besuchte den Kurs im Frühjahr in München. Die Projektleiterin in Vollzeit bezeichnet sich selbst als „Herzblutmama“. Vor einem Jahr trennte sie sich von ihrem Mann, die beiden sieben- und neunjährigen Kinder leben bei ihr. Das Familiengericht hatte den Kurs den beiden „ans Herz gelegt“, wie sie erzählt. Der Ex-Partner habe ihn inzwischen ebenfalls besucht.
Die im Kurs an die Teilnehmenden gerichtete Anforderung, sich nicht mehr als Paar, aber als Eltern zu fühlen, ist mit am schwersten umzusetzen“, räumt sie ein. „Jeder Teilnehmer dort hat sein emotionales ‚Päckchen‘ zu tragen. Manche haben bereits einige stressige Jahre hinter sich, bevor sie den Kurs besuchten, nicht selten läuft die Kommunikation nur noch über die Anwälte.
Wie gut die beiden Ex-Partner mit der neuen Situation umgehen würden, sei entscheidend für die künftige Ausgestaltung der Elternschaft, erklärt Michaela Lochschmidt. „Im Idealfall sind die Ex-Partner in der Lage, sich ruhig über das Kind auszutauschen und halbwegs gut miteinander klarzukommen.“ Weil das aber nur wenigen gelinge, ermutige sie viele Eltern darin, das Modell der parallelen Elternschaft zu leben. „Jeder führt sein eigenes, neues Leben, der Kontakt ist auf ein Minimum reduziert, mit klaren Absprachen, Regeln und Grenzen, an die sich beide Ex-Partner halten. Das vermeidet Konflikte und ist somit gut für die Kinder.“
Am Beginn des Kurses können die Teilnehmenden zu zweit sogenannte „Tandems“ bilden, um sich über den Kurs hinaus auszutauschen oder sich in einer anderen Umgebung zu treffen. „Die Idee ist, dass ein intensiverer Kontakt entsteht und dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch mal jemandem anvertrauen können, der sich in einer ähnlichen Lebenssituation befindet.“ Einige Monate nach Kursende besteht die Möglichkeit zu einem Nachtreffen, bei dem sich die Eltern nochmals über weitere Entwicklungen und entstandene Fragen austauschen können.
Das Wohl des Kindes fest im Blick
Petra M. ist froh, den Kurs besucht zu haben. Ihr sei erst dort manches klar geworden, sagt sie. „Ich bin in der Verarbeitung der Trennung schon weit, während er noch in der Wutphase ist. Seitdem mir das bewusst geworden ist, bringe ich mehr Verständnis für sein Verhalten auf und kann besser einschätzen, was er erreichen möchte.“ Ihr gelinge es jetzt besser als vor dem Kurs, die eigenen Gefühle und Kommentare für sich zu behalten und nach außen hin sachlich zu bleiben. „Es geht um das Kind und darum, sein Wohl im Blick zu behalten – der Titel des Kurses sagt im Grunde schon alles.“ Wenn sich die Ex-Partner und Eltern das immer vor Augen führen würden, sei die Trennung gar nicht so schwer, versichert Petra M. Auch nicht für die Kinder.
Text: Christian Horwedel, Stabsstelle Kommunikation, August 2024
Ehe-, Familien- und Lebensberatung
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