Wäre Jesus Christus heute Seenotretter, Herr Kardinal? Gastbeitrag von Kardinal Reinhard Marx für die BILD (Bundesausgabe) vom 11. Oktober 2018

Gewiss würde Jesus Christus nicht untätig zusehen, wenn jemand ertrinkt. Jesus würde helfen. Er selbst ist es ja, der uns das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt, der dem hilft, der in Not ist – ohne Ansehen der Person, egal zu welchem Volk oder welcher Religion er gehört. Der barmherzige Samariter ist beispielgebend. Er fragt sich: Was wird aus dem armen Menschen, wenn ich vorübergehe, ohne zu helfen?

Ich habe Hochachtung vor den Menschen, die als Seenotretter einen Beitrag leisten, den Schwächsten zu helfen. Als das Flüchtlingsdrama in Europa seinen Anfang nahm und die Weltöffentlichkeit weitgehend die Augen davor verschloss, ist Papst Franziskus an den südlichsten Punkt Europas gereist, um ein Zeichen zu setzen für jene Menschen, denen alles genommen wurde, oft auch ihr Leben. Seine eindringlichen Worte, nach denen das Mittelmeer nicht zu einem Friedhof werden dürfe, haben die Welt aufgerüttelt und sie sind für mich auch ein persönlicher Handlungsauftrag. Deshalb unterstütze ich die Seenotrettung.

Die Seenotrettung ist natürlich keine politische Lösung für die Herausforderung der Migration. Dazu braucht es andere Wege. Wir wollen vor Ort helfen, wie das viele katholische Hilfswerke tun, damit Menschen in ihrer Heimat leben können. Wir wollen, dass sie dort  ohne Verfolgung, Hunger und Not leben können. Die internationale Gemeinschaft, die Europäische Union und die Bundesregierung müssen den Schutz der Menschenwürde weltweit zu einem Hauptanliegen machen und dazu gehört auch der Einsatz gegen Fluchtursachen, angefangen vom Eindämmen der Klimakatastrophe über Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung bis hin zu diplomatischen Mitteln um Kriege und Verfolgung zu beenden.

Doch so lange es Menschen gibt, die sich in ihrer Not und Verzweiflung auf den Weg über das Mittelmeer machen, ist unser Auftrag als Christen die Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist nicht einfach ein schöner aber theoretischer Begriff. Es geht vielmehr um konkrete Taten. Ein christliches Bekenntnis, das der Katastrophe, die tagtäglich auf dem Mittelmeer geschieht, tatenlos zuschaut, ist nicht glaubwürdig. Danke also allen, die konkret Leben retten.