Tahanan – Schutz und Unterbringung für Migrantinnen in Not – ist ein Ort der Hoffnung und des Neubeginns. Wie die Mitarbeiterinnen des Hauses Hürden überwinden, Frauen wie Marie* aus Ghana nach schlimmen Erlebnissen helfen und ihnen eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben geben.
V. l. n. r.: Sandra Pawle von IN VIA München, Marie* aus Ghana sowie Luise Witschel und Annika Kaiser von IN VIA
Es ist weit mehr als eine Notunterkunft: Tahanan bietet Frauen in schwierigen Lebenslagen Schutz, Unterstützung und die Chance auf einen Neuanfang. Frauen wie Marie* aus Ghana, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, finden dort eine sichere Umgebung und umfassende Hilfe. „Tahanan ist aus der Beratungsstelle KOFIZA entstanden, in der schon seit mehr als 35 Jahren Frauen in Krisen und Multiproblemlagen beraten werden“, erklärt Sandra Pawle, Teamleitung Migration bei IN VIA München. Die Praxis hat gezeigt: Neben der Beratungsstelle KOFIZA braucht München eine Schutzunterkunft für Migrantinnen, die unter häuslicher Gewalt, Arbeitsausbeutung und Menschenhandel leiden.
Tahanan ist ein Projekt des katholischen Verbands IN VIA München e.V., das sich überwiegend aus Zuwendungen der Landeshauptstadt München finanziert. Es ist kein klassisches Frauenhaus, sondern ein Zufluchtsort, der auch Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus aufnimmt – eine seltene Möglichkeit in Deutschland. „Es gibt in der Bundesrepublik nur sehr wenig solcher Häuser. In Bayern fällt mir nur noch eines in Nürnberg ein“, betont Sandra Pawle.
Frauen, die im Tahanan Zuflucht suchen, befinden sich in schwierigen Lebenssituationen. Anika Kaiser, eine von fünf Sozialpädagoginnen im Tahanan, beschreibt, wie der Weg ins Haus beginnt: „Wir versuchen zunächst, in einem Clearing-Gespräch herauszufinden, ob die betreffende Frau für eine Unterbringung in Frage kommt. Dabei sprechen wir über Voraussetzungen sowie Hausregeln und bereiten alles für einen möglichen Einzug vor.“
Tahanan bietet insgesamt Platz für zehn Personen. Dabei kann es sich um alleinstehende Frauen oder Frauen mit Kindern handeln. Es ist ein geschützter Raum, aber auch ein Ort, an dem die Bewohnerinnen aktiv an ihrer Zukunft arbeiten. „Die Frauen müssen bereit sein, mit den Sozialpädagoginnen zusammenzuarbeiten. Es geht immer erst um die psychosoziale Stabilisierung. Wenn psychologische Beratung nötig ist, vermitteln wir an Fachberatungsstellen“, erklärt Anika Kaiser. Neben der emotionalen Stabilisierung liegt auch ein besonderer Fokus auf der Existenzsicherung. Anika Kaiser sagt: „Wir helfen bei Anträgen und überbrücken finanzielle Engpässe, unter anderem mit Geldern aus dem Notlagenfonds der Erzdiözese München und Freising.“ Unterstützt wird Tahanan von der Erzdiözese auch mit einer bis Ende 2025 befristeten halben Projektstelle sowie einem institutionellen Zuschuss.
Die Arbeit im Tahanan ist anspruchsvoll. Eine Herausforderung ist der rechtliche Status der Bewohnerinnen. „Die größte Hürde ist der Aufenthaltstitel. Daran hängt oft die Sicherung des Lebensunterhalts“, erklärt Sandra Pawle. Der ohnehin angespannte Wohnungsmarkt in München erschwert zudem den Übergang in ein eigenständiges Leben. Sandra Pawle berichtet: „Sechs Monate Aufenthalt im Haus sind der Idealfall, wenn alles funktioniert. Aber oft bleiben die Frauen länger, weil es beispielsweise in Mutter-Kind-Einrichtungen Wartelisten gibt.“
Doch trotz der Herausforderungen gibt es immer wieder Erfolgsgeschichten. Eine davon schildert Anika Kaiser: „Eine junge Frau kam wegen Arbeitsausbeutung zu uns. Jetzt lernt sie Deutsch, beginnt bald einen Bundesfreiwilligendienst und plant danach eine Ausbildung. Sie kann eine Ausbildungsduldung erhalten und langfristig in Deutschland bleiben.“
Der Weg ins Tahanan ist für viele Frauen ein Wendepunkt – so auch für Marie. Die 39-Jährige kam im Jahr 2020 nach München, um zu studieren. Kurz darauf wurde sie schwanger. 2022 kam ihr Sohn zur Welt. Anfangs erhielt Marie Unterstützung vom Vater des Kindes, doch das änderte sich. „Die Dinge wurden sehr schwierig für mich. Er hat mir nicht geholfen und mich emotional missbraucht. Ich konnte mich zu diesem Zeitpunkt weder ordentlich um mich selbst noch um meinen Sohn kümmern“, erzählt Marie.
Über eine Beratungsorganisation suchte sie schließlich Hilfe. „Ich habe mich dann an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern gewandt. Denn ich habe realisiert, dass ich mich verliere. Ich hatte viel Angst“, berichtet Marie. Trotz ihrer Furcht vor dem Schritt aus der ungesunden Beziehung zum Vater ihres Kindes in die Unabhängigkeit folgte sie dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und nahm Kontakt zu IN VIA München auf. Mitte des Jahres 2024 traf Marie dort auf Luise Witschel, eine Mitarbeiterin der Flüchtlings- und Integrationsberatung. „Luise Witschel hat mich unterstützt und mir Hoffnung gemacht“, erzählt Marie. Besonders beeindruckt war sie von der empathischen Art: „Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass mich eine andere Frau versteht. Sie hat meine Emotionen wahrgenommen. Ich hatte keine Angst mehr, verletzlich zu sein, und habe vertraut. Ich habe mich geöffnet.“
Die Situation blieb für Marie dennoch schwierig. Luise Witschel versuchte zunächst, den Einzug in ein Mutter-Kind-Heim zu organisieren, doch Marie landete auf einer Warteliste. Die Unsicherheit belastete sie stark. „Mir ging es immer schlechter. Ich war allein. Jedes Mal, wenn ich für ein Beratungsgespräch zu IN VIA München gekommen bin, habe ich gezittert. Ich habe geschrien und geweint“, erinnert sich die Ghanaerin. Ein Hindernis für den Einzug ins Tahanan war ihr Visa-Status als Studentin. Doch das Team von IN VIA setzte sich für Marie ein. „Wegen des Ausmaßes des Missbrauchs haben wir den Einzug möglich gemacht“, erzählt Sandra Pawle. Als Marie schließlich mit ihrem Sohn ins Haus Tahanan einziehen durfte, empfand sie das als Wendepunkt: „Als ich erfahren habe, dass wir ins Tahanan kommen können, konnte ich es kaum glauben. Tahanan ist für uns inzwischen ein Zuhause geworden. Ich habe das Gefühl, eine Familie zu haben. Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen Frauen. Die Mitarbeiterinnen zeigen uns konsistent, dass sie uns verstehen und immer unterstützen.“
Das Team Tahanan arbeitet täglich daran, den Bewohnerinnen eine Perspektive zu geben. Trotz der begrenzten Ressourcen bleibt der Wille, jede einzelne Frau auf ihrem Weg zu begleiten. „Ich hoffe, dass sie sich eine Perspektive für die Zukunft aufbauen können, ihre Ziele erreichen und ein selbstbestimmtes Leben führen“, sagt Sandra Pawle.
*Name von der Redaktion geändert
IN VIA München e.V. - Kath. Verband für
Mädchen- und Frauensozialarbeit
info(at)invia-muenchen.de
Vorstand: Dr. Marie Gabel
Vorsitzende des IN VIA-Rates: Irina Augustinowski
Der Verein ist Träger von Einrichtungen und Angeboten in den Bereichen Bahnhofsmission, Migration und Jugendwohnen.