"Diese wertvollen Zeitzeugnisse gehören bewahrt" Ökumenisches Theaterprojekt im Chiemgau zeigt Flucht- und Vertreibung

Das Theaterprojekt „WEG“ basiert auf Erzählungen von Zeitzeugen über Flucht und Vertreibung in den Jahren 1945 bis 1955. Die Uraufführung ist im Chiemgau für November 2026 geplant. Hier geben Gemeindehelferin Rita Sandig von der neuapostolischen Kirche und Pfarrer Karl-Friedrich Wackerbarth aus der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Prien am Chiemsee sowie Theaterseelsorger Werner Hofmann vom Erzbistum München und Freising Auskunft, wie die Idee für die Inszenierung entstanden ist und was sie genau beinhaltet.
 
Geflüchtete vor einem Zug
"Beeindruckende Geschichten der Vertriebenen und Geflohenen"
Herr Hofmann, wie ist die Idee für das Theaterprojekt „WEG“ entstanden?

Werner Hofmann: Ausgangspunkt war das Erstaunen über die beeindruckenden Geschichten der Vertriebenen und Geflohenen. Zuerst bin ich bei Beerdigungen von Betroffenen durch die Erzählungen der Kinder mit diesen Schicksalen in Berührung gekommen. Da dachte ich mir: Da stirbt jetzt eine ganze Generation. Diese wertvollen Zeitzeugnisse gehören bewahrt und geben Inhalte für ein Theaterstück. Ich habe meinen Freunden aus der Ökumene davon erzählt und schnell war eine konkrete Vision geboren: Ein Theaterstück mit Musik im Jahr 2026, das auf Erlebnissen von Zeitzeugen aus dem Landkreis Rosenheim basiert. Rita Sandig hat den Titel „WEG“ vorgeschlagen, wie "weg", aber auch „Weg".

Herr Wackerbarth, das Theaterprojekt ist ökumenisch. Wie hat sich die Zusammenarbeit entwickelt?

Karl-Friedrich Wackerbarth: Die ökumenische Zusammenarbeit in Prien ist eine Erfolgsgeschichte, die im Jahr 2000 mit Pfarrer Bruno Fink begonnen hat und durch einen ökumenischen Arbeitskreis ausgebaut wurde. Gemeindereferent Werner Hofmann brachte neue Impulse und Pfarrer Klaus Hofstetter, Bruno Finks Nachfolger, erweiterte die Ökumene durch die Einbindung der neuapostolischen Gemeinde.

Schließlich wurde die ACK* Chiemsee gegründet, welche die ökumenische Arbeit unabhängig von Einzelpersonen macht und die Region am westlichen Chiemseeufer umfasst. Heute sind die Kirchen in der ACK integraler Bestandteil kommunaler Veranstaltungen. Die Ökumene ist auch für die soziale Arbeit unverzichtbar. Das Theaterprojekt bündelt, was in den letzten 30 Jahren an regionalen Netzwerken entstanden ist. Die ökumenische Arbeit fördert dabei das Miteinander, ohne konfessionelle Interessen in den Vordergrund zu stellen. "Suchet der Stadt Bestes!" – diesem biblischen Motto fühlen wir uns verpflichtet.
 
V.l.n.r.: Theaterseelsorger Werner Hofmann, Gemeindehelferin Rita Sandig und Pfarrer Karl-Friedrich Wackerbarth
v.l.n.r.: Theaterseelsorger Werner Hofmann, Gemeindehelferin Rita Sandig und Pfarrer Karl-Friedrich Wackerbarth
Frau Sandig, wie ist das Stück aufgebaut und worum geht es genau?

Rita Sandig
: Im Kern geht es um die Erfahrungen der Geflüchteten und Vertriebenen in der Zeit von 1945 bis 1955. Wir sind noch dabei, diese Zeitzeugen zu interviewen. Außerdem sprechen wir mit Menschen, die erlebt haben, wie Flüchtlinge hier angekommen sind. Aus diesen Erfahrungen entwickeln wir das Stück. In vielen Gemeinden hat sich die Einwohnerzahl damals fast verdoppelt. Mit Blick auf heute interessiert uns auch: Was können wir aus den Erfahrungen von damals lernen?

Wer führt die Interviews und wie viele Zeitzeugen wurden bereits befragt?


Werner Hofmann
: Ich wurde als Seelsorger in der Theaterpastoral vom Erzbischöflichen Ordinariat München für dieses Projekt beauftragt und führe die Interviews. Kevin Sargant von der neuapostolischen Kirche filmt die Gespräche, falls Zeitzeugen das wünschen. Bisher habe ich mit zehn Zeitzeugen gesprochen, mit manchen tausche ich mich auch zweimal aus.

Herr Wackerbarth, welche Geschichte eines Zeitzeugen hat Sie besonders berührt?


Karl-Friedrich Wackerbarth:
Wir wussten nicht, dass auch Vertriebene Armbinden mit einem "N" für "Němec" (Deutscher) tragen mussten. Eine Frau hat erzählt, wie sie und etwa 60 weitere Menschen mit nur einem Blecheimer für die Notdurft in Viehwaggons eingesperrt und ungewiss über ihr Ziel waren. Es hätte auch nach Sibirien gehen können. Als sie gemerkt haben, dass sie nach Bayern gebracht wurden, rissen sie erleichtert die Armbinden ab und warfen sie aus den Wagons. Der Abhang neben dem Wagon war gelb von den Armbinden.
 
Geflüchtete
Vertriebene vor einem Güterzug
Frau Sandig, wie viele Personen arbeiten an dem Stück?

Rita Sandig
: Aktuell arbeitet eine kleine Gruppe an unserem WEG-Projekt. Unser Team besteht aus einem Komponisten, einem Regisseur, einem Kameramann sowie einigen Unterstützern im Organisationsteam und Marketing.

Brauchen Sie noch Unterstützung?


Rita Sandig
: Ja, für Bühnenbau und -technik, das Requisitenmanagement und die Maske sowie das Kostüm. Außerdem suchen wir Schauspieler, Sänger und Musiker. Wir freuen uns generell über jeden, der bei unserem Theaterprojekt mitmachen will, es lebt von Gemeinschaft. Jemand, der Kuchen für Proben backt, ist genauso willkommen wie ein Sänger oder Schauspieler. Gemäß 1. Petrus 4,10 gilt bei uns: "Jeder soll dem anderen mit der Begabung dienen, die ihm Gott gegeben hat."

Herr Hofmann, wo wird das Stück aufgeführt?

Werner Hofmann: Die Premiere findet auf jeden Fall im Landkreis Rosenheim statt. Es kann sein, dass es einen einzigen Spielort gibt, vielleicht treten wir aber auch an mehreren Orten auf. Genaue Pläne es noch nicht. Sie hängen davon ab, ob wir Unterstützung vom Landkreis oder den Kommunen bekommen. Und natürlich davon, wie viele Menschen sich an unserem Theaterprojekt beteiligen wollen.

*Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen