„Wichtig ist es, Menschen zu mögen“ "Hilfe zur Selbsthilfe" lautet das Motto der Mitarbeitenden der Telefonseelsorge, die auch immer häufiger via Mail und Chat beraten

13 neue ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärken die Telefonseelsorge im Erzbistum. Der Auswahlprozess ist streng, die Ausbildung umfangreich und profilieren kann man sich mit diesem Ehrenamt kaum. Trotzdem ist es für die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein echter Traumjob.
 
Auf dem Foto ist ein Frau von der Telefonseelsorge zu sehen, die gerade am Telefon spricht.
Dort, wo die Pfarreien die Menschen nicht mehr erreichen, schließt die Telefonberatung die seelsorgliche Lücke
Wenn man nicht mehr weiterweiß, sind sie nur einen Anruf entfernt: Die Telefonseelsorgerinnen und Telefonseelsorger. Im Erzbistum München und Freising sind hier 131 Ehren- und Hauptamtliche aktiv, 13 von ihnen haben gerade ihre Ausbildung abgeschlossen. Sie verstärken ab sofort die drei Dienststellen in München, Bad Reichenhall und den vor fünf Jahren in Betrieb genommenen Standort in Mühldorf am Inn.

Paula ist eine von Ihnen. Im echten Leben heißt sie anders, doch bei der Telefonseelsorge wird Anonymität großgeschrieben. Ein geschützter Rahmen für Mitarbeitende und Anrufer. Die Anliegen, mit denen sich Menschen bei Paula melden, sind „unbeschreiblich vielfältig“. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Im Schutz der Anonymität sprechen die Anruferinnen und Anrufer von ihrer Einsamkeit, Beziehungsproblemen, psychischen Erkrankungen, Trauer bis hin zu Suizidgedanken. Kein Thema ist tabu. „Wenn wir nicht die richtigen Ansprechpartner sind, vermitteln wir weiter“, erklärt Tobias Lehner, hauptamtlicher Mitarbeiter der Telefonseelsorge. „Zuallererst sorgen wir aber dafür, dass die Menschen mit ihren Problemen nicht mehr allein sind.“
 
Immer mehr Kontakte über Chat und Mail

Die Telefonseelsorge ist ein bundesweites, ökumenisches Angebot, das zwischen psychosozialer Beratung und der klassischen territorialen Seelsorge liegt. Dort, wo die Pfarreien die Menschen nicht mehr erreichen, versucht die Telefonberatung die seelsorgliche Lücke zu schließen. Außerdem ist hier die Schwelle für die Ratsuchenden deutlich niedriger als bei psychotherapeutischen Angeboten. „Das ist unser großes Plus“, sagt Lehner. Und das zeigt sich auch in der Nachfrage: Rund 35.000 Telefonkontakte verzeichnete die Telefonseelsorge im letzten Jahr. Hinzu kommen etwa 5.000 Chat- und Mailkontakte, worüber sich vor allem jüngere Hilfesuchende melden. Gerade hier sei der Bedarf während Corona enorm gestiegen, so Lehner.


Mitarbeitende müssen mit großer Belastung umgehen können

Einsamkeit ist das dominanteste Thema. „Mich hat erstaunt, wie viele Menschen anrufen, weil sie einfach einmal am Tag mit einem anderen Menschen sprechen wollen“, sagt Paula. Wie das Gespräch startet, liegt bei den Anrufern. Nach der Begrüßung wartet man in der Regel erst. Auch minutenlanges Weinen gehört dazu. Damit die Telefonseelsorger, die dann am anderen Ende der Leitung sitzen, mit diesen herausfordernden Situationen umgehen können, gibt es einen strengen Auswahlprozess, in dessen Rahmen geklärt wird, wer überhaupt für die Ausbildung geeignet ist.

„Diese Arbeit macht etwas mit einem“, weiß Lehner, „da braucht man eine gewisse psychische Stabilität und Belastbarkeit.“ Das hauptamtliche Team übernimmt dabei sowohl die Verantwortung dafür, dass die Ehrenamtlichen ihrer Aufgabe gewachsen sind, als auch für die Mitarbeitenden selbst. Die Interessenten und die Telefonseelsorge müssen deshalb von Anfang an gut zusammenpassen.
 
Auf dem Foto ist die Hand eines Telefonseelsorgers zu sehen, der gerade den Telefonhörer abhebt.
Rund 35.000 Telefonkontakte jährlich
Wer die Ausbildung beginnt, bleibt meist dabei

Interessierte können die Telefonseelsorge regelmäßig bei Infoabenden kennenlernen. Danach erhalten sie ausführliche Fragebögen. Später wird man zu einem Kennenlernen eingeladen. Erst danach beginnt die einjährige Ausbildung. Wer es bis hierher geschafft hat, bleibt meist auch dabei. Abbrecher gebe es kaum, sagt Lehner. „Das zeigt, wie wichtig der Auswahlprozess ist.“

Das Knowhow für den Einsatz am Telefon wird den Auszubildenden bei neun Wochenendblockseminaren vermittelt. Bei den ersten zwei Terminen sollen die angehenden Telefonseelsorger vor allem sich selbst kennen lernen. Danach widmen sie sich Fragetechniken und Regeln zur Gesprächsführung. Außerdem werden die Auszubildenden im Umgang mit Problembildern geschult, die ihnen in ihrer Arbeit mit großer Wahrscheinlichkeit begegnen werden.

Telefonseelsorge ist Teamarbeit

Der wichtigste Teil der Ausbildung kommt erst nach den Wochenendseminaren: begleitete erste Schichten in einer Dienststelle, die sogenannten „Hospitationen“. Dabei führen die Neuseelsorger bereits selbst die Telefonate, werden dabei aber die ganze Zeit von einer erfahrenen Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter unterstützt. „Wir werfen hier niemanden ins kalte Wasser“, ist Lehner wichtig.

Aber auch grundlegend Überraschendes lernt man in der Ausbildung. Zum Beispiel, dass man Anrufern – auch wenn es eine Beratungsstelle ist – keinen Rat geben sollte. „Das kommt auch für viele unserer Klienten unerwartet“, gesteht Lehner, „aber allen Beteiligten muss klar sein, dass die Seelsorger keine Lösung für jedes Problem in der Schublade haben.“ Stattdessen bieten die Telefonseelsorger an, mit den Anrufern gemeinsam nach einer Lösung zu suchen und herauszufinden, welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Hilfe zur Selbsthilfe.
 
Seelsorge für Seelsorger

„Wichtig ist es, Menschen zu mögen“, sind sich Paula und Lehner einig. Deshalb sollten die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge selbst Lebenserfahrung und Empathie mitbringen. Ein Großteil der neuen Seelsorgerinnen und Seelsorger, die nun ihren Dienst angetreten haben, ist daher älter als 50 Jahre. Insgesamt reicht das Mitarbeiterspektrum von 30- bis zu 85-Jährigen.

Damit die Belastungen, die die Anrufer bei den Seelsorgern abladen, dort nicht bleiben und schlimmstenfalls Schäden hinterlassen, finden monatlich Supervisionstermine statt. Außerdem gibt es eine rund um die Uhr erreichbare Rufbereitschaft, an die sich die Ehrenamtlichen wenden können. Tobias Lehner betont: „Auch unseren Mitarbeitern gegenüber haben wir einen Seelsorgsanspruch.“

Ein echtes Ehrenamt

Die Ehrenamtlichen stellen dabei mit rund 90 Prozent der Mitarbeitenden das Rückgrat der Telefonseelsorge dar. Sie sorgen dafür, dass 24 Stunden am Tag über das ganze Jahr kompetente Gesprächspartner auf die Menschen warten, die die 0800-1110111 wählen. Als Helfer profilieren will sich hier keiner, weiß Paula, denn sie und ihre Kollegen arbeiten im Verborgenen. „Aber Menschen zu begleiten und dabei auch selbst begleitet zu werden, ist genau das, wonach ich gesucht habe.“

Text: Korbinian Bauer, Radioredakteur beim Sankt Michaelsbund, Juni 2022
 

Beratungsangebot

Die Telefonseelsorge ist an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr erreichbar - am Telefon, per Chat und Mail. Das Angebot ist kostenlos und richtet sich an alle Menschen, die jemanden zum Zuhören brauchen und ihre Empfindungen oder ihre Lebenssituation mitteilen wollen. Alle Kontakte sind vertraulich. Sie erreichen die Telefonseelsorge unter:
Tel.: 0800 / 111 0 222 oder via Chat und Mail
 

 

Hilfe, nur einen Anruf entfernt

Wie die Ausbildung zum Telefonseelsorger abläuft und warum die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft unter Pseudoym arbeiten, erfahren Sie in der begleitenden  Podcast-Folge.
Hier geht's zum Radiobeitrag von "Total Sozial".
 

Telefonseelsorge München
Telefon: 0800-111 0 222
https://www.erzbistum-muenchen.de/telefonseelsorge
Leiter: Alexander Fischhold

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