Tress, Seelsorger mit und für Senioren im Dekanat Mühldorf, erzählt von einer Begebenheit im Supermarkt, die etwa eineinhalb Jahre zurückliegt: Er stand an der Kasse, vor ihm ein Mann mit drei Tomaten, die nicht abgewogen waren. Die Kassiererin unterhielt sich kurz mit ihm. Dann kam Michael Tress an die Reihe und die Kassiererin meinte, der Mann würde jeden Tag erscheinen und immer nur drei Tomaten kaufen. Offenbar wiegt besagter Kunde sein Gemüse extra nicht ab, denn so kommt er mit der Kassenkraft ein bisschen ins Gespräch. Diese Schilderung bereitete dem Senioren-Seelsorger Kopfzerbrechen. Dass gerade bei älteren Menschen, die oftmals unter Kontaktarmut leiden, Redebedürfnis besteht, ist dem Mühldorfer aufgrund seiner Tätigkeit natürlich klar. Aber wie könnten einsame Menschen im Alltag erreicht werden?
Der Gedanke, hier eine passende Lösung zu finden, ließ Michael Tress nicht mehr los. Gemeinsam mit Adelheid Widmann, Abteilungsleiterin der
Seniorenseelsorge im Erzbischöflichen Ordinariat entstand daher einige Zeit später die erfrischende Idee, im Globus-Warenhaus eine ganz besondere Aktion zu starten: Seelsorge an besonderen Orten. Es ist eines von weiteren geplanten Seelsorgeformaten für Senior*innen, die innerhalb des Projekts "neongrün statt beige" entstanden sind und entwickelt werden. Ein Motto für die Mühldorfer Maßnahme wurde schnell gefunden. Es lautet: „offenes Ohr – offenes Herz“. Dahinter steckt das Vorhaben, Menschen eine überraschende und unkomplizierte Kommunikationsmöglichkeit anzubieten. In lockerer Atmosphäre ratschen, erzählen oder sich etwas von der Seele reden – alles ist erlaubt.
Lediglich mit einer Tasse Kaffee ausgerüstet, sitzt Michael Tress seit 9. November 2017 nun jeden Donnerstag zwischen 10 und 11 Uhr am Eingang der Cafeteria und wartet auf Gesprächspartner. „Bisher bin ich noch kein einziges Mal alleine da gesessen“, freut sich der Seelsorger. Das so einfache wie wirkungsvolle Konzept findet bei den älteren Herrschaften durchaus Anklang. Michael Tress beobachtet die Kunden, die das Foyer des Warenmarktes betreten. Häufig seien ein Blickkontakt und ein Lächeln Aufforderung genug, sich an den Tisch des Seelsorgers zu setzen.
Bei den Gesprächen, die selbstverständlich vertraulich behandelt werden, geht es um ganz Alltägliches, aber auch um Tiefgründiges, um Krankheiten oder um den Tod. Schmunzelnd berichtet der Senioren-Seelsorger von einem etwas anderem Erlebnis während einer seiner „Redestunden“ bei Globus: „Neulich sagte eine Frau zu mir, sie will sich eigentlich gar nicht groß unterhalten, aber sie möchte mir nach dem Rundgang im Supermarkt ihren Einkauf zeigen“. Auch das ist für Michael Tress in Ordnung. Jeder so wie er will und kann.
Text: Ursula Huckemeyer