"Nicht von einem Podest herab, sondern auf Augenhöhe" Obdachlosenseelsorge feiert Gottesdienste mit wohnungslosen Menschen

Auch wohnungslose Menschen haben in der Kirche einen Platz. Das bezeugte auch eine Heilige Messe in der Obermenzinger Pfarrkirche. Ein besonderer Chor gestaltete diese mit.
 
Straßenchor im Gottesdienst
Seelsorger Norbert Trischler (r.) mit seinem Chor in Gröbenzell
Wenn Thomas singt, dann erinnert ihn das an seine Kindheit. An die Zeit in seiner Pfarrei, an Gemeinschaft und an Spaß. Kirchenlieder tun ihm gut und sie haben ihn begleitet – auch durch schwere Zeiten. Vor gut einem Jahr wurde der alleinerziehende Vater aus dem Gefängnis entlassen. Eineinhalb Jahre saß er dort wegen Betrugs ein. Auf das Wiedersehen mit seinen Kindern hatte er sich lange gefreut, doch dann drohte die Obdachlosigkeit.
 
Pastoralreferent Norbert Trischler, Ansprechpartner für Seelsorgliche Anliegen von Geflüchteten
Norbert Trischler
Nach der Haftentlassung sei es sehr schwierig gewesen, eine Wohnung zu finden. „Ich habe dann mit meiner Familie auf dem Campingplatz gelebt“, erzählt Thomas. Im Sommer war das möglich, im Winter allerdings keine Option. Von den Behörden bekam er keine Unterkunft – alle angebotenen Lösungen hätten zur erneuten Trennung der Familie geführt.

Ex-Häftlinge engagieren sich für Obdachlose

Haftentlassung und Obdachlosigkeit liegen häufig nah beieinander. Deshalb engagiert sich der ehemalige Gefängnisseelsorger Norbert Trischler seit rund 30 Jahren beim Verein Tabor. Seitdem lebt er in Moosach gemeinsam mit Ex-Häftlingen in einer Wohngemeinschaft. Auch Thomas fand hier Hilfe und eine Unterkunft. 2019 wechselte Trischler in die Obdachlosenseelsorge. Auch die Ex-Sträflinge aus seiner Wohngemeinschaft motiviert er immer wieder zum Engagement für Obdachlose. So fahren sie gemeinsam Tee aus – oder singen.
 
Chor der Wohungslosen
„Als ich Obdachlosenseelsorger geworden bin, habe ich versucht, einen Münchner Straßenchor aufzubauen“, erinnert sich Trischler. „Das war aber gar nicht so einfach, weil man die Menschen von der Straße schwierig zu regelmäßigen Proben zusammen bekommt.“ Geklappt hat es trotzdem: Aktuell besteht der Chor aus elf Sängerinnen und Sängern. Akut wohnungslos ist momentan keiner von ihnen, doch viele haben Obdachlosigkeit in der Vergangenheit bereits erlebt.

Gottesdienst soll für die Lage Obdachlose sensibilisieren

Einmal in der Woche treffen sich Trischler, Thomas und die anderen Sänger zum Proben in Giesing. Mehrfach im Jahr gestaltet der Chor Gottesdienste. Die letzte Messe am 8. Oktober 2023 in Leiden Christi richtete sich aber nicht nur an Wohnungslose. „Wir wollten auch die Gemeinde auf die Situation von Obdachlosen in München aufmerksam machen.“ Gemeinsam vermittele man einen Einblick, wie das Leben für obdachlose Menschen in München aussehe.

In seiner Predigt erzählte Trischler von seiner Arbeit als Obdachlosenseelsorger. „Mir ist es wichtig, den Kontakt zu Obdachlosen als Mitmenschen zu suchen und ihnen nicht von einem Podest herab, sondern auf Augenhöhe zu begegnen.“
 
Auch Sänger Thomas will das Gute weitergeben, das er trotz seiner Haftvergangenheit und der drohenden Wohnungslosigkeit erlebt hat. „Ich will Obdachlosen zeigen, dass ich bereit bin, auf sie zuzugehen und ihnen etwas Gutes zu tun.“
 
Text: Korbinian Bauer, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, Oktober 2023