„Das Thema von klein auf nicht tabuisieren“ Warum Rituale zum Abschiednehmen wichtig sind

Den Tod eines nahe stehenden Menschen verarbeitet jede und jeder sehr individuell. Ein Ritual kann helfen, Abschied zu nehmen und einen Abschluss zu finden. Warum es wichtig ist, sich schon vor dem ersten Trauerfall mit dem Tod auseinander zu setzen, weiß Dr. Maria Kotulek von der Fachstelle Demenz des Erzbistums.
 
Friedhof mit Grablichtern zu Allerheiligen
"Man kann ein Bild oder am Gedenktag eine Kerze aufstellen, beim Spaziergang an die Person denken"
Der Abschied von einem geliebten Menschen ist vermutlich eines der prägendsten Erlebnisse im Leben. Wie damit umgehen? Wie Abschied nehmen? Wie weiterleben? Dr. Maria Kotulek ist Fachreferentin für Demenz beim Erzbistum und versucht, in Form von Ritualen Hilfestellung zu geben. Zu dem Thema „Seelsorge für Demenzangehörige“ promovierte sie. Wie Angehörige mit der Situation umgehen können, erklärt sie in Workshops, die sie beim Erzbistum anbietet.

„Es ist noch schlimm genug, wenn ein Angehöriger verstirbt, und damit umzugehen, ist eine große Herausforderung – wenn ich dann schon mit einem Ritual vertraut bin, dann kann es mich stärken und stützen.“ Wichtig sei ein Ritual, um abschließen zu können – damit Angehörige sich verabschieden und dem eigenen Leben wieder neu zuwenden können.

Wie Rituale gestaltet werden, erklärte die Fachreferentin zuletzt beim Fachtag für „Palliative Pflege bei Menschen mit Demenz“ im September. Dort richtete sie sich vorrangig an Pflegekräfte aus dem stationären und ambulanten Bereich, aus Altenheimen und Hospizen. In Kleingruppen erarbeiteten sie unter Kotuleks Anleitung ein für ihren Alltag passendes Ritual. Im Fokus stand hierbei, wie Angehörige, Pflegende und auch Mitbewohner einbezogen werden können.

Wie ein Ritual genau aussieht, ist ganz individuell. Jeder Mensch müsse sich bewusst machen, wie er oder sie Abschied nehmen kann, erklärt Kotulek. Feste Elemente sollten ein bewusster Anfang und ein bewusstes Ende sein sowie eine bestimmte Person, die das Ritual durchführt. Außerdem empfiehlt sie bei einem Abschiedsritual eine Symbolhandlung – egal ob religiös oder nicht-religiös. Beispielsweise eine Blume, die mit einem letzten Wunsch für die verstorbene Person in eine Vase gesteckt wird.
 
Passfoto Maria Kotulek
Maria Kotulek
Auch im Alltag lassen sich solche Rituale integrieren: „Es gibt Menschen, die fahren jeden Tag ans Grab – es gibt Menschen, die fahren gar nicht ans Grab, weil sie es nicht aushalten. Man kann ein Bild oder am Gedenktag eine Kerze aufstellen, beim Spaziergang an die Person denken. Man muss für sich schauen: Was passt für mich?“

Auch die Sterbenden selbst können dabei einbezogen werden, wenn sie dazu in der Lage sind. Es ließe sich beispielsweise fragen: Was ist ihnen noch wichtig, was möchten sie ihren Angehörigen noch mitteilen oder mit auf den Weg geben? „Ich denke, da kann man noch viel Wertvolles erfahren.“

Die Auseinandersetzung mit dem Tod, ist Kotulek überzeugt, dürfe aber nicht erst bei dem ersten Todesfall im nächsten Umfeld geschehen. „Man darf das Thema von klein auf nicht tabuisieren.“ Als Ministrantin oder Ministrant schon einmal auf einer Beerdigung messegedient zu haben oder als Kind schon bei einer Beerdigung dabei gewesen zu sein, bringt Kindern das Ritual des Abschiednehmens näher. „Wenn ich das kenne, hat das Ritual etwas Stützendes – und wenn ich das nicht kenne, fällt das weg“, erklärt Kotulek. „Es verstört oder verwundert vielleicht – warum läuft das jetzt so ab? Plus die Trauer, das ist dann schier zu viel.“

Bei Menschen mit Demenz sieht Kotulek eine besondere Herausforderung für die Angehörigen: Jede Woche müssten sie von Dingen Abschied nehmen, die der oder die Betroffene dann nicht mehr kann. „Das ist wie eine Spirale: Die Trauerphasen wiederholen sich immer, weil sie sich ständig von irgendetwas verabschieden.“ Am schwierigsten sei dabei Unverständnis vom eigenen Umfeld, weil die Angehörigen trauern, obwohl der Erkrankte noch lebt.
 
Text: Michelle Mink, Volontärin beim Sankt Michaelsbund, November 2023

Demenz
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Fachreferentin:
Dr. Maria Kotulek