Die Erzdiözese München und Freising unterstützt das Pilotprojekt „Neustart im Team“ (NesT). Dabei werden schutzbedürftige Geflüchtete nach Deutschland gebracht. Vor Ort steht ein Team ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer bereit, um beim Neustart in Deutschland zu helfen. Zum Beispiel der aus Syrien stammenden Familie A. in Kirchheim bei München.
NesT - Neustart im Team: Im Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge werden auch im Erzbistum Familien in ihrer neuen Heimat von Ehrenamtlichen begleitet und unterstützt.
Kirchheim. „Wir wohnen seit fünf Monaten hier und sind glücklich, dass wir nicht mehr im Zelt leben müssen“, nickt Mahmoud A. Der 45-Jährige sitzt zusammen mit seiner Frau Afaf (40) sowie den älteren Söhnen Abdulkalek (20), Bashar (19) und Ammar (17) im Wohnzimmer. Diese gemeinsamen Zeiten sind gar nicht so häufig, denn der Alltag der aus Syrien stammenden Familie ist eng getaktet. Gleich werden die größeren Jungs wieder online Deutsch lernen. Sohn Mohammad (15) und Tochter Bushra (14) sind gerade in der Schule. Nachzügler Abdullah (5) besucht die KiTa. Auch die Eltern sind beschäftigt, denn sie besuchen den Integrationskurs. Gerade ist Brigitte Hartmann vom Helferkreis Asyl Kirchheim bei München e.V. angekommen und fragt, wie sie die Familie heute unterstützen kann. Mahmoud A. zeigt der pensionierten Lehrerin eine Karte, die in der Post war. „Wir müssen nachher noch in den Keller gehen und den Zählerstand beim Stromzähler notieren“, erklärt sie.
Teile der Familie A. mit Brigitte Hartmann im Wohnzimmer der Familie in Kirchheim. Von links nach rechts: Bashar und Mahmoud A., Brigitte Hartmann, Afaf, Abdulkalek und Ammar A
Voller Begeisterung für die Ausbildung
Mahmoud A. spricht etwas Deutsch, aber das meiste kommt noch in arabischer Sprache. Zum Glück funktioniert das digitale Übersetzungsprogramm auf seinem Handy gut. Wenn deutschsprachige Besucher etwas sagen, dann hält er ihnen das Smartphone entgegen, das das Gesagte aufnimmt. Nach einer kurzen Pause ertönt die arabische Übersetzung. Andersherum funktioniert es genauso.
Abdulkalek, der älteste Sohn, spricht bereits erstaunlich gut Deutsch. „Ich möchte eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker machen“, erzählt der 20-Jährige. Er und seine jüngeren Brüder hoffen, dass sie nach dem Deutschkurs ins Berufsgrundschuljahr kommen. Dort sind auch Praktika vorgesehen und schließlich soll ein Ausbildungsplatz folgen. Bei der Begeisterung, den die jungen Männer für das Thema Ausbildung zeigen, ist das eine realistische Perspektive. Und so wird bereits klar, dass Familie A. für ihre neue Heimat Bayern eine Bereicherung ist.
Nach einiger Zeit und bei einer Tasse mit gutem arabischem Kaffee zeigt der Familienvater Fotos aus der Zeit vor der Ankunft in Deutschland. Zunächst sieht man das zerstörte Haus der Familie in Aleppo. „In Syrien hatten wir alles. Doch nichts ist geblieben“, berichtet er traurig. Die Familie floh mit wenig Gepäck in den Libanon. In der Nähe von Beirut lebten sie in einer Zeltstadt. „Im Winter war es schlimm. Es hat viel geschneit und wir mussten jede Stunde den Schnee vom Dach schütteln, damit das Zelt nicht zusammenbricht. Auch in der Nacht“, erzählt der älteste Sohn. Man mag sich kaum vorstellen, wie anstrengend der Alltag der Familie unter diesen Umständen war. Vater Mahmoud, der Dekorateur ist und auch Bus fahren kann, arbeitete. Auch die älteren Kinder suchten schon nach bezahlten Jobs. Die Schule durften sie als Geflüchtete im Libanon ohnehin nicht besuchen. Fast sieben Jahre lebten sie so, bis der Familienvater schließlich krank wurde.
Besonders schutzbedürftig
„Wir hatten unglaubliches Glück, dass wir ausgewählt wurden. Ich danke Gott dafür“, lächelt Mahmoud A. heute. Das Projekt NesT ermöglicht rund 500 besonders schutzbedürftigen Personen, nach Deutschland zu kommen. Die Geflüchteten werden noch im Ausland vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ausgewählt und dann vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als schutzbedürftig anerkannt. Bereits vor der Einreise nach Deutschland erhalten sie einen Aufenthaltstitel. Vor Ort kümmert sich ein fünfköpfiges Mentoren-Team um die ausgewählten Personen. Im Fall der Familie A. sind es fünf ehrenamtlich tätige Frauen, die alle dem Helferkreis Asyl Kirchheim angehören. Brigitte Hartmann ist eine von ihnen.
Drei der fünf Ehrenamtlichen haben per Zoom mit der Online-Redaktion der Erzdiözese gesprochen. Die Frage, weshalb sie sich für geflüchtete Menschen einsetzen, beantwortet Vorstandsmitglied Gerlinde Reichart mit dem Hinweis auf ihren Glauben: „Ich war auch im Pfarrgemeinderat aktiv. Ich kann doch nicht zusehen, wie Menschen anderswo verhungern und auf der anderen Seite sagen, dass ich Christin bin!“ Die Pflegewirtin kümmert sich hauptsächlich um die Kontakte zu Behörden und zur Krankenkasse. Mitstreiterin Sigrid Schnittke ist pensionierte Lehrerin. Sie bringt sich vor allem in der Begleitung von Schülerinnen und Schülern ein. Brigitte Hartmann wirkt als Nachbarin der Familie überall, wo es nötig ist.
Gerlinde Reichart vom Helferkreis Asyl Kirchheim
Wohnung gehört der Kirche
Alle NesT-Mentorinnen sind froh darüber, dass der ganze Helferkreis Asyl hinter ihnen steht. „Wenn wir nur fünf engagierte Privatpersonen wären, dann wäre das nicht ausreichend, weil wir noch immer zusätzlich andere Kompetenzen anfragen müssen“, betont Gerlinde Reichart. Klar ist, dass auch ohne die Unterstützung durch die Erzdiözese München und Freising das Projekt nicht umsetzbar wäre. „Heutzutage eine Wohnung für eine achtköpfige Familie auf dem freien Markt zu finden, ist so gut wie unmöglich. Dass die Erzdiözese eine Wohnung bereitstellen konnte, war für uns die Voraussetzung, dass wir uns engagieren können“, berichtet Brigitte Hartmann.
Die Mentorinnen vor Ort sammelten Möbel für die Wohnung sowie Geschirr für die Küche und konnten sie in einem Raum der Pfarrei zwischenlagern. Schließlich wurde Familie A. aus dem Lager Friedland, wo sie ihre Quarantänezeit verbringen musste, nach Kirchheim geholt. Auch das hatten die Mentorinnen selbst zu organisieren. Wegen der vorgeschriebenen Abstände zwischen den Menschen waren dafür zwei Kleinbusse nötig.
Kardinal Marx beim Kickern mit jungen Geflüchteten in einem Landshuter Jugendwohnheim
Zuschuss aus Notlagenfonds
In Kirchheim stellten die Helferinnen fest, dass die Einreise im Rahmen des Projekts NesT bei den Behörden noch weitgehend unbekannt war. „Die Familie hatte zwar ein Visum, damit kommt man aber weder im Einwohnermeldeamt noch bei der Krankenkasse weiter. Die Familie hatte erst einmal sechs Wochen lang gar nichts, keinen Cent. Da mussten wir einspringen“, erinnert sich Gerlinde Reichart.
Bis die größten bürokratischen Hürden genommen waren, half die Erzdiözese mit einem Zuschuss aus ihrem Notlagenfonds bei der Überbrückung. Die Ausweise für anerkannte Asylbewerber, die von der Bundesdruckerei aus Berlin kommen, sind immer noch nicht da. Also macht sich Gerlinde Reichart wieder auf ihre Behördentour und beantragt Verlängerungen, damit die Familie die Sozialleistungen erhält, auf die sie Anspruch hat. Doch diese Phase wird bald vorüber sein. Familie A. hat jedenfalls durch das Projekt NesT eine gute Perspektive für ihr Leben im neuen Land.
„Wir wurden unserer Heimat beraubt. Aber Gott hat uns hier mit wunderbaren Menschen zusammengeführt, denen wir zutiefst dankbar sind“, lächelt Mahmoud A. Brigitte Hartmann erwidert: „Wir sind sehr froh, dass ihr das gut annehmen könnt und dass die ganze Familie mit großem Einsatz alles tut, um hier wieder auf eigenen Füßen zu stehen.“
Text: Gabriele Riffert, Freie Autorin, Dezember 2021