Seit April 2020 gibt es das Projekt „Lavendel“. Mitten im ersten Corona-Lockdown eröffnete die Bahnhofsmission in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs einen Raum, in dem bis zu vier Frauen geschützt übernachten können.
„Danke, dass Sie uns helfen“, strahlt Monika L. (Name geändert). Die unauffällige Mittvierzigerin ist erleichtert, dass sie und ihre Kinder beim Projekt „Lavendel“ der Bahnhofsmission München untergekommen sind. Gerade hat ihr eine Mitarbeiterin einen Kulturbeutel mit allem gebracht, was eine Frau mit Kindern braucht, denn Monika L. und ihre Kinder haben nichts bei sich außer der Kleidung, die sie tragen. „Zuhause haben wir natürlich alles“, erklärt sie und man sieht, wie ihre Augen sich mit Tränen füllen.
Zuhause ist auch ihr Mann, der die Familie schlägt und vor dem sie und die Kinder in großer Not geflohen sind. Wohin können sie in dieser Situation gehen? Die Frauenhäuser in der Region sind überfüllt; keines hat mehr Platz für eine mehrköpfige Familie. Die Polizei vermittelt schließlich den Kontakt zur Bahnhofsmission, weil die Beamten wissen, dass Frauen dort übernachten dürfen. Die meisten von ihnen schlafen mit einer dicken Isomatte und einer Decke im Aufenthaltsraum auf dem Boden. Immerhin sind sie in diesem „Schutzraum“ sicher.
Seit April 2020 gibt es nun auch das Projekt „Lavendel“. Es wurde mitten im ersten Corona-Lockdown eröffnet. Dafür hat die Bahnhofsmission in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs einen Raum angemietet, in dem bis zu vier Frauen übernachten können. Die Erzdiözese München und Freising ermöglicht „Lavendel“ mit der Kostenübernahme.
Der Name des Projekts kommt von der Farbe, mit der die Zimmerwände gestrichen sind. „Lavendel klingt beschwingt und erinnert zugleich an eine gut duftende, heilende Pflanze. Genauso soll sich der Aufenthalt hier anfühlen“, erklärt Bettina Spahn, die katholische Leiterin der ökumenisch getragenen Bahnhofsmission München. „Die Frauen, die hier vorübergehend unterkommen, brauchen dringend einen Raum, in dem sie zur Ruhe kommen und durchatmen können“, ergänzt Spahn. 38 Frauen haben von April bis Ende November „im Lavendel“ geschlafen. Insgesamt wurden 313 Übernachtungen gezählt. Im Durchschnitt ist jede Frau acht Nächte geblieben.
Monika L. hat hier nicht nur einen vorübergehenden Schlafplatz gefunden, sondern sie wird auch von Sozialpädagoginnen der Bahnhofsmission beraten, die jeden Tag zweimal nach ihr und ihren Kindern schauen. Sie erörtern mit ihr die möglichen nächsten Schritte und begleiten sie bei Bedarf dabei. Auch hier engagiert sich die Erzdiözese, weil sie die Kosten von insgesamt 20 Wochenstunden der Mitarbeiterinnen der Einrichtung trägt. Zielgruppen sind sowohl Frauen, die Schutz brauchen, als auch psychisch auffällige Frauen.
Monika L. hat für sich und ihre Kinder mittlerweile eine hoffnungsvolle Perspektive: Sie können voraussichtlich schon bald wieder in die eigene Wohnung zurückkehren, sobald ihr Mann dort polizeilich begleitet ausgezogen ist. Die nötigen Vorgespräche dazu mit den Behörden haben bereits stattgefunden.
„Das Lavendel soll nicht zu ‚heimelig‘ sein. Sonst würden manche Frauen hier gar nicht mehr wegwollen“, betont Bettina Spahn. Denn Ziel sei es, den Frauen weiterführende Chancen zu eröffnen und sie an Beratungsstellen zu vermitteln, die dabei helfen können. Natürlich geht es dann auch um die Frage des Wohnens: ob beispielsweise für die Frauen ein Pensionszimmer, ein Wohnheimplatz oder eine Bleibemöglichkeit in einem der Frauenhäuser gefunden werden kann.
„Wir von der Bahnhofsmission arbeiten absolut niederschwellig“, wie Bettina Spahn es ausdrückt. Die Menschen, die kommen, werden vorbehaltlos so angenommen, wie sie sind. Frauen, die in der Bahnhofsmission oder „im Lavendel“ übernachten, fallen durch die Raster der sonstigen Hilfsangebote in München, etwa weil sie keinen Wohnsitz in der Landeshauptstadt haben oder weil sie sich psychisch auffällig verhalten und deshalb von anderen Einrichtungen schon abgewiesen wurden.
„Auch diese Frauen haben einen vorübergehenden Platz bei uns, wenn möglich. Wir wissen schließlich, dass sie sonst auf der Straße landen würden“, erklärt Bettina Spahn. „Es ist unser Ansatz, alle offen anzunehmen und zu schauen, wo wir ansetzen können, damit es für die Frauen weitergeht.“
Die katholische Leiterin der Bahnhofsmission, Bettina Spahn, im Zimmer des Projekts „Lavendel“. Gut sichtbar auf dem Bild sind zwei der insgesamt vier Betten. Sie sind jeweils mit hohen Trennwänden versehen. Das hilft bei der Einhaltung von Hygienekonzepten und schafft etwas Privatsphäre.
Die Bahnhofsmission München war im Frühjahr während des ersten Lockdowns lange die einzige Anlaufstelle in München, die für Hilfesuchende weiterhin geöffnet war – wenn auch mit Hygienekonzept. Die Pandemie sorgt nach wie vor für großen Andrang an „Gleis 11“, so die Adresse der Bahnhofsmission am Münchner Hauptbahnhof. „Die Not ist in diesem Jahr deutlich größer geworden“, berichtet Bettina Spahn und ergänzt: „Leider sind heuer mehr Frauen Gewalterfahrungen ausgesetzt, auch zu Hause. Außerdem verstärkt und verschlimmert die Pandemie psychische Instabilität. Das merken wir ganz deutlich.“
Deshalb ist das Team der Bahnhofsmission froh, dass die Erzdiözese München und Freising ausgerechnet im Jahr 2020 ein Projekt wie „Lavendel“ ermöglicht. Wie wichtig diese Hilfe ist, weiß Bettina Spahn: „Mich berührt immer wieder stark, wie dankbar Frauen reagieren, wenn man ihnen ein Bett anbietet statt einer Isomatte auf dem Boden. Damit gibt man ihnen ein Stück Würde zurück und vermittelt Hoffnung, dass es auch für sie weitergehen kann.“
Text: Gabriele Riffert, freie Redakteurin, Dezember 2020
Bahnhofsmission München
Hauptbahnhof Gleis 11
Bayerstr. 10a
80335 München
bettina.spahn(at)bahnhofsmission-muenchen.de
Ansprechpartnerin:
Bettina Spahn, Leiterin