Anfang November 2021 hat der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für die Katholische Polizeiseelsorge, Weihbischof Wolfgang Bischof, in Neumünster mit einem Festgottesdienst in der Pfarrkirche St. Maria-St. Vicelin Pfarrer Gerard Rzaniecki in sein Amt als Bundespolizeipfarrer und mit einem weiteren Festgottesdienst in der Pfarrkirche St. Joseph in Hannover Christian Stenz in sein Amt als Bundespolizeipfarrer eingeführt. Zu diesem Anlass werfen wir einen näheren Blick auf die Aufgaben der Polizeiseelsorge.
Erfahrungen im Einsatz können Ohnmacht und Hilflosigkeit auslösen - hier hilft die Polizeiseelsorge.
Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre der junge Polizist zusammen mit dem Selbstmörder von der Brücke gestürzt. Erst im letzten Moment bekam er ihn zu fassen und konnte ihn retten. Diese Situation hatte bei dem Beamten Spuren hinterlassen. Immer wieder geriet er in ein Gedankenkarussell, glaubte, dass er nicht am richtigen Platz gestanden hätte, mit seinen Worten nicht so einwirken konnte, wie es vielleicht nötig gewesen wäre. Das machte ihm so sehr zu schaffen, dass er die Polizeiseelsorgerin Monika Winkler um ein Gespräch bat. Monika Winkler ist dieses Gespräch bis heute in lebhafter Erinnerung geblieben: "Da kommen Fragen auf wie: Wo ist die Grenze dessen, worauf ich Einfluss habe, wie kann ich die Situation kontrollieren. Oder die Erkenntnis: Das kann ich eben nicht."
Die Polizeiseelsorgerin im Präsidium Oberbayern Süd steht seit elf Jahren den Beamtinnen und Beamten zur Seite, die Erlebnisse solcher Art verarbeiten müssen. In der Erzdiözese München und Freising gehören insgesamt zwei Männer und zwei Frauen zum Team, die auf ihrem Gebiet vielfältig im Einsatz sind. Neben dem Angebot von Exerzitien und Einkehrtagen schulen sie Polizeianwärterinnen und -anwärter im Fach Ethik, sie begleiten sie bei schwierigen Einsätzen und beim Überbringen einer Todesnachricht.
Andreas Müller-Cyran, Leiter der Polizeiseelsorge in der Erzdiözese, möchte den Beamten durch die Unterstützung seiner Mitarbeitenden den Rücken stärken – mithilfe von Gesprächen und der Begleitung vor, während und nach belastenden Einsätzen. Dafür wird das seelsorgliche Angebot für Polizistinnen und Polizisten stetig weiter ausgebaut. So rücken beispielsweise verschiedene Bildungsangebote wie Seminare und Vorträge gesellschaftsrelevante Themen ins Bewusstsein und sensibilisieren für mögliche Angriffsflächen. Denn Bürgerinnen und Bürger auf Recht und Gesetz hinzuweisen, komme beim Gegenüber nicht immer gut an und löse oft unangemessenes Verhalten gegenüber den Beamten aus. Häufig schlage ihnen eine infame Art der Kränkung und sprachliche Gewalt entgegen, erklärt Müller-Cyran. „Und dann ist es der Polizist, der ganz vorne steht, um das umzusetzen, was die Politik beschließt."
Ob im persönlichen Gespräch oder am Telefon - die Seelsorger begleiten Polizisten und deren Familienangehörige.
Verschwörungstheorien, Gewalt und schwierige Konflikte sind aktuelle Herausforderungen, mit denen sich Polizistinnen und Polizisten immer häufiger auseinandersetzen müssen. Seelsorgerin Monika Winkler stellt darum in einem Seminar die Frage: „Wie formt mich das als Mensch? Ich muss ja eine Grenze ziehen zwischen mir und dem Anderen, um mich gesund zu erhalten. Nur - wann ist diese Grenze nicht mehr gut?" Indem sie Beamtinnen und Beamten, befähigen zu reflektieren, wie sich ihre tägliche Arbeit auf die eigene Person auswirkt, unterstützen die Seelsorger dabei, die eigenen Grenzen anzunehmen und zu bewahren. Es stärke sie, da ist sich Monika Winkler sicher, für ihren Beruf, aber auch für ihr privates Leben.
Um auch dort präventiv zu wirken, steht das Angebot der Polizeiseelsorge seitens der katholischen und der evangelischen Kirche neben allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bayerischen Polizei auch deren Familienangehörigen offen. Ein wichtiges Signal, denn häufig sind es private Geschicke und alltägliche Belastungen, die zu einem Anruf bei der Polizeiseelsorge führen. „Schichtarbeit, nicht ausgeschlafen sein - das klingt banal. Aber wenn ich körperlich in Ordnung bin und privat weniger Stress habe, kann ich auch mit dramatischen Ereignissen besser zurechtkommen“, weiß Monika Winkler.
Routinemäßig finden nach Einsätzen zunächst Gespräche mit Sozialarbeitern statt. Sollte danach noch Gesprächsbedarf sein, klingelt oft Monika Winklers Handy. Und das ist nicht selten der Fall – können doch unvorhergesehen und täglich neu Situationen im beruflichen Alltag der Polizisten auftreten, die sie an die Grenze des Belastbaren führen. Musste ein Beamter eben noch einen Falschparker notieren, kann es passieren, dass er von jetzt auf gleich zu einem schwierigen und gefährlichen Einsatz gerufen wird.
Plötzlich an die Grenze des Belastbaren zu kommen, mit eigenen Ängsten konfrontiert zu werden, das erlebten Polizistinnen und Polizisten beispielsweise im Juli 2016 bei einem Amoklauf im und am Einkaufszentrum des Münchner Olympiaparks. „Angst ist etwas zutiefst Menschliches und es muss möglich sein, das aussprechen zu können", sagt Andreas Müller-Cyran. Die Seelsorge habe da eine ganz klare Rolle: Dinge ernst nehmen, auffangen, Angebote machen und unterstützen, menschliches Verhalten einzuordnen. Als Seelsorger nehme man in intensivem Maße Anteil an dem, was ein Polizist erlebt hat, in welcher Situation er sich befand. Die belastenden Themen versuchen die Seelsorger dann im Gespräch aufzugreifen. „Denn“, sagt Müller-Cyran, „das macht etwas mit mir, wenn ich sehe, wozu Menschen in der Lage sind. Und dann ist da jemand, der zuhört, der mich ernst nimmt, ohne zu werten." Dafür brauche es einen Rahmen und einen Raum. Sonst werden dienstliche Erfahrungen immer auch ins private Umfeld mit hineingenommen. Oft mache sich auch eine Hilflosigkeit breit, zum Beispiel nichts gegen den Missbrauch der demokratischen Grundwerte tun zu können. Andreas Müller-Cyran sieht die Seelsorge an dieser Stelle als ein Ventil: „Diese Ohnmacht und Hilflosigkeit zu teilen, auch darum geht es oft in der Seelsorge. Sie zuzulassen und so besser erträglich zu machen."
2020 feierte die Polizeiseelsorge Bayern ihr 100-jähriges Bestehen.
Dass Polizeibeamte heute Unterstützung durch Seelsorger bekommen, geht auf die Initiative von Ellen Ammann zurück. Die gebürtige Schwedin, Frauenrechtlerin, Gründerin der katholischen Mädchenfürsorge und der Bahnhofsmission war 1920 eine der ersten Frauen, die in Bayern Politik machen durften. Von 1919 bis 1932 gehörte sie für die Bayerische Volkspartei dem Landtag an und sorgte dafür, dass Polizeibeamte seelsorglich begleitet wurden.
Was klein begann, steht aktuell auf solidem Fundament - darüber freut sich Weihbischof Bernhard Haßlberger, seit 25 Jahren Beauftragter der Bayerischen Bischofskonferenz für die bayerische Polizeiseelsorge. „Die Polizeiseelsorge hat durchaus eine bewegte Geschichte, doch sie steht inzwischen institutionell wirklich auf guten Füßen. Das ist ein großes Pfund, mit dem wir wuchern können", so der Weihbischof. Denn die Polizeiseelsorger der jeweiligen Länderpolizeien unterstehen ihren Bischöfen und sind bei ihren seelsorglichen Tätigkeiten von staatlichen und polizeilichen Weisungen unabhängig. Sie unterliegen der Schweigepflicht, können vom sogenannten Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und müssen nach einem vertraulichen Gespräch keine Auskunft über dessen Inhalt geben.
Das verschafft viel Unabhängigkeit und ist eine gute Basis für das Vertrauensverhältnis zu den Beamtinnen und Beamten. Kommt beispielsweise ein Polizeibeamter in die Situation, von seiner Schusswaffe Gebrauch machen zu müssen, ermittelt zwar automatisch die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Hat dieser durch das Erlebte jedoch Redebedarf, kann er sich zunächst an einen Seelsorger wenden. Denn besonders der Umstand, die eigene Waffe betätigen zu müssen, belaste Beamte oft schwer, so sei die Polizeiseelsorge eine immens wichtige Anlaufstelle für den Einzelnen, erklärt Weihbischof Haßlberger weiter. Gerade in diesen Ausnahmesituationen zeige sich, wie sehr die Polizeiseelsorge Betroffene stützen und stärken könne.
Text: Judith Bornemann, freie Redakteurin, Feb. 2021
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