Von der Verwaltung zur Geschichte Im Diözesanarchiv findet man in alten Akten unerwartete Geschichten

Über vier Millionen Seiten aus dem Bestand des Diözesanarchivs des Erzbistums München und Freising sind seit Juli 2019 online einsehbar – und täglich werden es laut Archivar Dr. Roland Götz mehr. Derzeit arbeitet das Team daran, die Pfarrakten aus dem Bestand zu digitalisieren. Dies ist besonders für Heimatforscher, Historiker und Chronisten spannend, aber auch Schüler und Studierende fragen oft für Abschlussarbeiten nach Material. Denn darin finden sich neben behördlichen Vorgängen auch zahlreiche Streitfälle und sogar Liebesbriefe.
Dr. Götz im Archiv des Erzbistums München und Freising
Archivar Dr. Roland Götz zeigt das Originaldokument der Urkunde aus Ampermoching, die nun auch digital verfügbar ist.
„Sie kriegen jetzt ein Stück zusehen, das ich Ihnen aufgrund seines Zustands nicht mehr in die Hand geben würde“, sagt Archivar Dr. Roland Götz, während er mit weißen Handschuhen vorsichtig das Pergamentpapier von 1670 auseinander faltet. Ganz behutsam breitet er das große Schriftstück auf dem Tisch vor sich aus, beschwert die Ecken mit Gewichten, die in braunem Samt verpackt sind. Verständlich, dass dieses zerbrechliche Stück aus den Pfarrakten der Pfarrei Ampermoching (Landkreis Dachau) nicht jeder anfassen darf. Dabei interessierten sich zahlreiche Menschen für den Inhalt alten Schriftguts. Und die Zahlen geben Götz Recht: Rund 300 Zugriffe aus aller Welt verzeichnet das Online-Archiv täglich. Das ist etwa die gleiche Zahl an Menschen, die früher innerhalb eines Monats in den Lesesaal kamen, erinnert sich der Kirchenhistoriker.

Von jedem Computer mit Internetzugang, sogar mit jedem Smartphone, kann man die Online-Archivalien des Diözesanarchivs einsehen. Viele Archivstücke sind bereits online verzeichnet, einige auch schon als Unterlagen hinterlegt. Dazu zählen zum Beispiel die stark nachgefragten Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher, sowie seit kurzem die ersten Teile der Pfarrakten. Zu letzter Kategorie gehört auch die von Götz auf dem Tisch ausgebreitete Urkunde, in der die Stiftung einer Kapelle dokumentiert ist.

„Das Online-Archiv kann jeder nutzen, der es will“, sagt er mit ein wenig Stolz in der Stimme. Mit wenigen Klicks öffnet der Archivar einen Scan des Dokuments. Der Nutzer kann das Bild nun beliebig vergrößern, verkleinern, drehen und wenden wie gewünscht. Sogar die Rückseite des Papiers ist gescannt. Doch es gibt ein Problem: „Jetzt können Sie das so wunderbar anschauen, aber nicht lesen“, fasst Götz mit einem Schmunzeln zusammen. Die Urkunde ist zwar in deutscher Sprache verfasst, die damalige Handschrift heutigen Lesegewohnheiten allerdings fremd. Schon das Datum zu entziffern, kann herausfordernd sein. Für ein grundlegendes Verständnis ist daher im Online-Archiv zu jedem digitalisierten Schriftstück eine ausführliche Inhaltsangabe verfügbar.

Menschliche Beziehungen liefern spannende Geschichten

Einige der spannendsten Geschichten – wenn man sie einmal zu lesen gelernt hat – finden sich für Götz in den Pfarrakten der Pfarrei Traunwalchen. Hier sind Unterlagen kirchlicher Eheprozesse erhalten. 1664 beispielsweise klagte eine Frau gegen einen Schlossverwalter. Der Sachverhalt war damals gängig: Der Schlossverhalter hatte der Frau angeblich die Ehe versprochen. „Und dann ist es, wie es immer ist: Wenn sie es behauptet und er es nicht zugibt, muss sie es beweisen“, erzählt Götz. So gelangten die Liebesbriefe des Verwalters – zumindest die elf, die die Frau vorlegen konnte – in die Akten des Gerichts und sorgten dafür, dass der Mann schuldig gesprochen wurde. Aus den privaten Briefen wurden demnach zunächst Beweisstücke und heute Quellen für historische Forschung. Gerade diese Ehegerichtsunterlagen haben Historiker in den letzten Jahren zunehmend für sich entdeckt, da dort etwas in Akten gelangt ist, das sonst nie in Akten vorkommt: Beziehungen.
Durch Stöbern in den Akten findet man laut Götz zahlreiche persönliche Anliegen, da gerade Streitangelegenheiten oft an das Erzbischöfliche Ordinariat herangetragen wurden. „Ich komme letztendlich immer über Verwaltung zur Geschichte.“ Durch leichtere Zugänglichkeit der Unterlagen tun sich nun neue Themenwelten auf. Denn die archivierten Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher etwa können oft mehr als nur Namen, Ort und Datum verraten. Manchmal findet man beim Stöbern Ausschnitte aus Lebens- oder Liebesgeschichten.
 
Die derzeit online einsehbaren Pfarrakten stammen aus der Zeit zwischen 16. Jahrhundert und etwa 1880. Danach hat der Archivbestand ein „Bombenloch“, da die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs noch als laufende Registratur geltenden Akten im Bombenfeuer verbrannt sind. Ein herber Verlust: „Akten über die Pfarreien sind sehr wichtige Unterlagen, wenn es um die Geschichte einer Pfarrei, aber auch eines Ortes überhaupt geht. Man kann keine Ortschronik schreiben, ohne bei uns gewesen zu sein“, erklärt Kirchenhistoriker Götz.

In den sogenannten Pfarrakten seien Angelegenheiten dokumentiert, in denen sich das Ordinariat mit einer Pfarrei befasst hat. Laut Götz sind das vor allem die höherrangigen Fälle, also wann immer es um Recht, Personal oder Finanzen ging. „In so einer Zentralbehörde haben Sie in der Regel eine qualitätsvollere und konzentriertere Überlieferung als im Pfarrarchiv. Denn dort ist natürlich jede kleine Rechnung von Reparaturarbeiten dokumentiert.“ Daher sollte in Götz' Augen jeder gute Dorfchronist die Pfarrakten nutzen, weil das kirchliche Leben, um das es darin geht, damals ein wichtiger Teil des Dorflebens war. Zudem gehen die Informationen in den Pfarrakten weit über kirchliche Themen hinaus und betreffen zum Beispiel auch die Siedlungsstruktur und die Bevölkerungszahl.

Die neueren Pfarrakten, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, sollen online folgen, sobald sie nach den Richtlinien des Datenschutzes und Persönlichkeitsrechts öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen. Wer stöbert, findet darin sicher noch viele spannende Geschichten.

Text: Victoria Förster

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