Seit über 60 Jahren besteht die Partnerschaft zwischen der Erzdiözese München und Freising und der katholischen Kirche in Ecuador. Das Land ist aktuell im Ausnahmezustand. Das Team Weltkirche im Erzbischöflichen Ordinariat und KBW digital – eine Anbietergemeinschaft für digitale Bildungsangebote katholischer Bildungswerke – lud am 7. März 2024 zur Veranstaltung „Ecuador – ein Land im Kampf gegen Drogengewalt … und was Europa damit zu tun hat“ ein.
Ecuadorianer protestieren in Madrid für Frieden in ihrer Heimat
„Während früher etwa ein Drittel der Drogen aus Kolumbien durch Ecuador ans Meer transportiert wurde, sind es mittlerweile 40 bis 50 Prozent“, erklärt Dr. Philipp Schauer. Der Diplomat ist seit 2019 deutscher Botschafter in Ecuador und erklärt den knapp 80 Teilnehmern der digitalen Veranstaltung die Situation im Land: Mittlerweile konkurrieren 22 verschiedene Drogenbanden um die Vorherrschaft in den verschiedenen Regionen. Die Polizei zeigt sich geschwächt, die Justiz eingeschüchtert oder korrupt. Die Situation im Land ist durch Schutzgeld-Erpressungen, Entführungen und „allgemeine Kriminalität“ wie Raub und Diebstähle geprägt.
Am 8. Januar 2024 verursachen einige der „Narco“-Organisationen im ganzen Land Explosionen, außerdem wird ein Fernsehsender vor laufenden Kameras besetzt. Daraufhin bricht Panik in der Bevölkerung aus, die Regierung erklärt einen 60-tägigen Ausnahmezustand und das Militär patrouilliert gemeinsam mit der Polizei.
Polizei stellt konfiszierte Drogen in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito aus
Das Leben ist für die meisten Ecuadorianer viel beschwerlicher als noch vor einigen Jahren. Das wird durch die Schilderung von Pastoralreferentin Teresita Moncada deutlich, die seit 2008 Direktorin des Kinderdorfs Hogar de Jesús in Santo Domingo de los Tsáchilas ist. „Wir erhalten kaum noch staatliche Unterstützung. Ohne die Hilfe unserer deutschen Partnerorganisationen hätten wir Probleme damit, den Kindern drei Mahlzeiten pro Tag zu kochen.“ Im Kinderheim leben Kinder und Jugendliche zwischen einem und 17 Jahren, die nicht mehr bei ihren Familien bleiben konnten oder auf der Straße gelebt haben. Kinder sind zugleich eine beliebte „Beute“ für Drogenbanden, da man sie als Kuriere einsetzen kann und sie dafür nicht ins Gefängnis kommen können.
Laut einer Umfrage zu den vertrauenswürdigsten Organisationen in Ecuador erreicht die katholische Kirche den ersten Platz im Ranking, gefolgt von Militär und Polizei. Das stimmt mit den Beobachtungen von Mike Zipf überein, der seit 1997 als Entwicklungshelfer in Ecuador arbeitet. Er lebt in Esmeraldas, von wo aus viele Drogen zum Weitertransport auf internationale Schiffe gebracht werden. Das hat Auswirkungen auf das Umfeld: Rund ein Drittel der Geschäfte hat wegen der Schutzgelderpressungen mittlerweile dauerhaft geschlossen. Der Tourismus ist zum Erliegen gekommen.
Katholische Kirche vertrauenswürdigste Organisation
Doch das Vikariat Esmeraldas kann weitgehend wie bisher arbeiten. „Wir bewegen uns mehr oder weniger normal, nur Fahrten in der Nacht meiden wir“, berichtet Mike Zipf. Dass kirchliche Mitarbeiter kaum behelligt werden, liegt nach seiner Erfahrung daran, dass die Kirche von den meisten Ecuadorianern sehr wertgeschätzt wird. Die Kirche sei immer präsent, wenn es brenne, so Zipf.
Mike Zipf (3.v.l.) mit Gemeindemitgliedern in Esmeraldas
„Wir arbeiten auch mit Randgruppen, zu denen die Banden Kontakte pflegen. Und wir geben Essenspakete an alle Bedürftigen aus. Das spricht sich herum“, berichtet der Entwicklungshelfer. Auch um die zahlreichen Geflüchteten aus Venezuela kümmert sich die katholische Kirche. Das Vikariat Esmeraldas unterhält 36 Schulen mit bisher über 30.000 Schülerinnen und Schülern, zwei Krankenhäuser, mehrere Apotheken sowie ein Seniorenheim. Hinzu kommen zahlreiche soziale Aktivitäten der Kirche, etwa das Programm „Frontera Norte“ (Nordgrenze – zu Kolumbien). Hier erlernen Jugendliche, die Berührpunkte zu Drogenbanden hatten, handwerkliche Fähigkeiten, was ihre spätere berufliche Zukunft sichert.
Erdbeben, Pandemie, Drogenbanden, El Niño
Allerdings ist seit kurzem die Zahl der Schülerinnen und Schüler um etwa zehn Prozent abgesunken, da die Eltern erpresst wurden und aus Gründen der Sicherheit mit ihren Familien weggezogen sind. Auch Lehrkräfte wurden bereits bedroht. „Ecuador hat harte Jahre hinter sich: Zunächst das große Erdbeben von 2016, das die Region Esmeraldas hart getroffen hat. Dann die Pandemie und seit April 2022 ein Ausnahmezustand nach dem anderen. Gerade plagen uns die Auswirkungen der Überschwemmungen infolge von El Niño, die auch Opfer gefordert haben.“ Mike Zipf verliert trotz allem weder seine Gelassenheit noch sein Grundvertrauen, sondern er hält an seinem Motto als Entwicklungshelfer fest: „Für das Leben einstehen und dem Tod eine Absage erteilen.“
In der anschließenden Diskussionsrunde, die Katharina Vogt, Mitglied des Vorstands und der Partnerschaftsgruppe Ecuador des Diözesanrats der Katholiken sowie des Partnerschaftsrats der Erzdiözese, leitet, geht es auch um die Frage, was man hier in Europa gegen die Macht der Drogenbanden tun könne. Dabei werden pragmatische Maßnahmen genannt, wie etwa der Abgrenzung des Hamburger Hafens durch Zäune, damit die Drogenhändler hier zu Lande nicht so leicht an den Stoff kommen. Aber auch auf die Verfolgung der Hintermänner des Drogenhandels sollte mehr geachtet werden und nicht nur auf das Abfangen der Lieferungen. Die Kooperationen zwischen deutschen Ministerien sowie zwischen Deutschland und der EU seien ebenfalls optimierbar.
Mit der digitalen Veranstaltung lernten die Teilnehmenden die Nachrichten aus der Presse besser einzuordnen und teilweise auch zu relativieren. Die Partnerschaft lebt durch den Informationsaustausch, die konkrete Begegnung und den Internationalen Freiwilligendienst Incoming und Outgoing. Die Erzdiözese engagiert sich mit rund 1,8 Millionen Euro jährlich in Ecuador in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales.
Text: Gabriele Riffert, Freie Redakteurin, März 2024
Weltkirche
Schrammerstraße 3
80333 München
Abteilungsleiter:
Sebastian Bugl