Papst Franziskus hat sich in seinem Apostolischen Mahnschreiben "Laudate Deum" mit deutlichen Worten gegen Klimaleugner und für einen stärkeren Einsatz gegen die Klimakatastrophe zu Wort gemeldet. Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter der Erzdiözese München und Freising, ordnet das Dokument im Interview ein.
Online-Redaktion: Herr Kiefer, Kardinal Marx hat sich über das Apostolische Schreiben des Papstes „
sehr gefreut“. Teilen Sie diese Freude?
Mattias Kiefer: Ja, absolut. „Laudate Deum“ ist für mich ein Zeichen der Ermutigung und eine Bestärkung für alle, die sich in diesen schwierigen Zeiten für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. Was ich mit schwierigen Zeiten meine, haben die letzten Wochen im bayerischen Landtagswahlkampf deutlich gemacht: Wissenschaft wird inzwischen gerne als Ideologie und Ordnungspolitik als Bevormundung geschmäht. Vor diesem Hintergrund ist das Papst-Dokument, das am Tag des Heiligen Franziskus veröffentlicht worden ist, ein echtes Zeichen der Unterstützung.
Online-Redaktion: Es richtet sich recht deutlich gegen die so genannten Klimaleugner…
Mattias Kiefer: Es wendet sich gegen jegliche Versuche der Komplexitätsreduktion. Der Papst hält an seinem bekannten Diktum fest, dass alles miteinander verbunden ist. Wenn aber alles mit allem zusammenhängt, kann es gar nicht anders als komplex sein.
Online-Redaktion: Hatte die 2015 erschienene Enzyklika „Laudato si“, an die nun „Laudate Deum“ anknüpft, neben Ermutigung auch spürbare Auswirkungen für Ihre Arbeit im Erzbistum?
Mattias Kiefer: Auf jeden Fall. Ich habe es in meiner eigenen Arbeit gespürt, dass „Laudato si“ stark von der Zivilgesellschaft rezipiert worden ist, natürlich von den Umwelt- und Naturschutzverbänden, politischen Mandatsträger:innen, der öffentlichen Verwaltung, aber auch von etlichen anderen, die mit Kirche ansonsten wenig bis gar nichts zu tun haben. Diese hatten das Dokument gelesen und waren beeindruckt. Die Kolleg:innen aus dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz sagen immer, die deutsche Fassung von „Laudato si“ sei das erfolgreichste Printprodukt, das die DBK je verlegt habe.
Ganz unmittelbar hatte die Enzyklika damals Auswirkungen auf die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf der UN-Vollversammlung im September 2015 und dann zwei Monate darauf für das Zustandekommen des Weltklimaabkommens in Paris, wie es Verhandlungsteilnehmer damals öffentlich bestätigt haben.
Online-Redaktion: Wie erklären Sie sich diese breite Rezeption des Dokuments?
Mattias Kiefer: „Laudato si“ war das erste Dokument eines Religionsführers überhaupt, das es zu Editorials – und dazu auch noch zustimmenden – in den beiden weltweit bedeutsamsten naturwissenschaftlichen Fachjournals „Nature“ und „Science“ brachte. „Nature“ titelte damals „Hope from the Pope“. Das signalisierte ein wirkliches, neues Zusammengehen von Wissenschaft und Religion. Christoph Bals, der politische Geschäftsführer von Germanwatch, hat das damals zurückgeführt auf die in seinen Worten „durchgängig doppelte Codierung“ der Enzyklika – immer naturwissenschaftlich und religiös-theologisch zugleich.
Die Enzyklika hat durch das klare Vorziehen von Genesis 2,15 („Gott, der HERR, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte.“) vor Genesis 1,28 („Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“) einen theologischen Pflock eingerammt: Der Hege- und Pflegeauftrag aus 2,15 gibt die Lesart für den so genannten Herrschaftsauftrag aus 1,28 vor.
Und schließlich war für die kirchliche Praxis bedeutsam, dass die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2018 zehn so genannte Handlungsempfehlungen zu Ökologie und nachhaltiger Entwicklung für die deutschen Bistümer verabschiedete. Diese formulierten eine ganz klare Road Map für die Umsetzung in der Praxis.
Online-Redaktion: Enthält „Laudate Deum“ neue Botschaften oder handelt es sich im Wesentlichen um eine andere Akzentuierung im Tonfall?
Mattias Kiefer: Das Mahnschreiben bringt eine Zuspitzung auf mehreren Ebenen, vor allem in Bezug auf die Dringlichkeit zu handeln: Die Zeit läuft uns davon, wir sehen die Opfer der Klimaerhitzung heute schon, und wir haben eine Verantwortung, hier sehr rasch und sehr umfassend tätig zu werden. Der Papst greift dabei die Diskurse der letzten Jahre auf, die seit „Laudato si“ in der Welt, aber auch in seiner eigenen Kirche stattgefunden haben, und bezieht ganz klar Stellung gegen die Klimawandelleugner.
In meiner Lesart ist dieses neue Schreiben des Papstes eine eindeutige Positionierung gegen den Versuch, Klima als Identitätsmarker in den Kulturkämpfen der frühindustrialisierten Länder zu instrumentalisieren. Das bezieht sich auf Debatten, wie wir sie aus den USA kennen, die ich aber leider auch immer mehr hierzulande wahrnehme. In den Augen des Papstes ist Klima dagegen ein Querschnittsthema, das alle Menschen guten Willens angeht – und zwar völlig unabhängig davon, wo sie sich ansonsten politisch verorten.
Online-Redaktion: Welche Folgerungen ergeben sich nun aber für den Einzelnen aus den Mahnungen des Papstes?
Mattias Kiefer: Franziskus schärft, erstens,das Begriffspaar des „technokratischen Paradigmas“, das er bereits in „Laudato si“ versucht hat grundzulegen. Ich lese das als deutliche Ermutigung, wirklich noch einmal über die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und unserem Wirtschaftssystem nachzudenken. Der Papst sieht diese systemische Komponente, die in den hiesigen Diskursen gerne ausgeblendet wird bis hin dazu, dass Menschen, die diese Verbindungen ziehen, in den Verdacht geraten, „Systemfeinde“ zu sein. Der Papst ermutigt uns hier zu etwas Anderem.
Das Zweite ist nichts Neues, aber ebenfalls normalerweise eher vernachlässigt: Die klare Inbezugnahme von Ökologie und Sozialem. Das war auch in „Laudato si“ schon ein Thema und ist es nun verschärft in „Laudate Deum“. Der Deutsche Caritasverband hat diese Verbindung kürzlich bei der Mitinitiierung des Klimaappells „Wir sind bereit!“ sehr klar herausgearbeitet.
Für ganz praktische Folgerungen bedeutet dies: Nach wie vor geht es darum, dass sich Kirche in die gesellschaftlichen Diskurse einbringt, und dass bei kirchlichen Bildungsträgern die so genannte Bildung für nachhaltige Entwicklung weiter eine wichtige Rolle spielt. Nicht zuletzt und in ganz praktischer Hinsicht mit am wichtigsten: Je glaubwürdiger wir als Kirche, egal ob als Pfarrei auf der Ortsebene oder als Diözese, im eigenen Bereich handeln, desto besser funktioniert das nach außen gerichtet. Da geht es um die Reduktion unserer kirchlichen Emissionen mit den klassischen Handlungsfeldern Gebäude, Mobilität und Beschaffung.
Und schließlich – und das zeichnet uns dann auch als Religionsgemeinschaft aus – geht es auch darum, Schöpfungsverantwortung in unserer Liturgie, beim Feiern der Gottesdienste, beim gemeinsamen Beten und Singen ins Wort zu bringen. Also das zu tun, was der Papst in „Laudato si“ das Pflegen einer ökologischen – im Sinne von „ganzheitlichen“ – Spiritualität genannt hat.
Online-Redaktion: Ende November beginnt in Dubai die nächste Klimakonferenz. Was erwarten Sie von den dortigen Verhandlungen?
Mattias Kiefer: Angesichts dessen, was gerade in der Welt los ist, muss man leider eher von Hoffnungen als von Erwartungen sprechen. Die Hoffnung ist, dass die Klimapolitik nicht von den sonstigen geopolitischen Zerwürfnissen zerrieben wird, sondern die Welt eine multilaterale, wissenschaftsbasierte Klimapolitik fortsetzen kann.
Online-Redaktion: Wie nehmen Sie die mitunter emotionalen Diskussionen der letzten Jahre persönlich wahr?
Mattias Kiefer: Umweltarbeit ist das Bohren dicker Bretter – da braucht es eine gewisse Frustrationstoleranz. Bis vor etwa zwei Jahren konnte man ein zunehmendes Verstehen dessen wahrnehmen, auf was die Welt da zurast, und auch eine wachsende Bereitschaft, an den systemischen Stellschrauben zu drehen: Das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Frühjahr 2021, das novellierte Klimaschutzgesetz mit dem Einstieg in die CO2-Bepreisung, das EU „Fit for 55“-Paket und die deutlichen Initiativen der Industrie hin Richtung Treibhausgasneutralität – das waren alles Signale, die Mut gemacht haben.
Seitdem nehme ich allerdings eine Diskursverschiebung auch in der politischen Mitte wahr, so dass man auf Wahlplakaten „Vernunft statt Verbote“ und „Nein zu Ideologie und Bevormundung“ lesen musste. Das war vielleicht nicht allein auf das Thema Klimapolitik bezogen, aber zwischen den Zeilen auf jeden Fall zu lesen. Das ist eine deutliche Abkehr von dem bis dahin herrschenden gesellschaftlichen Konsens. Und das macht mir wirklich Sorge. Denn das noch einmal einzufangen, wird schwierig.
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