Die Erde schöpferisch mitgestalten Erstmals können sich Lehrkräfte in der Fachrichtung „Schöpfungspädagogik“ weiterbilden

Die Landschaftsökologin Lucia Jochner-Freitag hat das interdisziplinäre Konzept der „Schöpfungspädagogik“ entwickelt, das naturwissenschaftliche sowie christlich-spirituelle Inhalte verbindet. Erstmals können sich Lehrkräfte der Erzbischöflichen Schulen in der Erzdiözese in diesem Bereich weiterbilden. Isabel Otterbach (Abteilung Umwelt) und Johanna Tyllack (Lehrerin am Edith Stein Gymnasium in München und Ressort Bildung) aus dem Erzbischöflichen Ordinariat bilden mit ihr zusammen das Leitungsteam, zu dem außerdem Wolfgang Dinglreiter (Direktor Campus St. Michael in Traunstein) und Schwester Karolina Schweihofer (Missionarinnen Christi) gehören. Im Interview sprechen sie über das Konzept der Schöpfungspädagogik und die Erfahrungen aus den ersten beiden Weiterbildungs-Modulen.
 
Auf dem Foto ist eine Gruppe Jugendlicher auf einem Berg zu sehen. Die Sonne geht gerade unter.
Zur Vertiefung der eigenen Naturbeziehung finden im Rahmen der dreijährigen Weiterbildung auch Naturexerzitien statt
Frau Jochner-Freitag, Sie haben die Schöpfungspädagogik entwickelt. Woraus setzt sich diese Fachrichtung zusammen?
Lucia Jochner-Freitag: Als promovierte Landschaftsökologin- und Bildungsreferentin habe ich vor drei Jahren aus der Zusammenschau meiner 30-jährigen beruflichen Erfahrungen und meines eigenen spirituellen Weges die Schöpfungspädagogik entwickelt. Es handelt sich um eine interdisziplinäre pädagogische Fachrichtung, die naturwissenschaftliche Inhalte mit moderner, christlicher Schöpfungsspiritualität verbindet. Sie greift die Forderungen und Lösungsansätze, die in der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus angelegt sind, auf.
 
Wozu braucht es eine neue pädagogische Fachrichtung?
Lucia Jochner-Freitag: Zum Ausgangspunkt zählen eigentlich zwei Prozesse. Das eine ist die massive Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Zum anderen nehmen wir in unserer Arbeit zunehmend wahr, dass durch die Entfremdung des Menschen von der Natur viele psychische und auch physische Problemstellungen auftreten. Zu beiden Problemfeldern möchte die Schöpfungspädagogik einen zukunftsweisenden Weg anbieten. Also für uns Menschen und für unsere Mitwelt.
 
Welches Anliegen hat die Weiterbildung?
Lucia Jochner-Freitag: Zahlreiche Untersuchungen in Deutschland belegen, dass wir ein sehr hohes Umweltwissen und ein gut verankertes Umweltbewusstsein haben. Doch dann kommt diese sehr große Lücke bis zum Umwelthandeln. Diese Lücke zu schließen ist ein Anliegen dieses pädagogischen Ansatzes und damit auch der Weiterbildung.
 
Auf dem Foto ist Lucia Jochner-Freitag zu sehen.
Dr. Lucia Jochner-Freitag
Welches Anliegen hat die Weiterbildung?
Lucia Jochner-Freitag: Zahlreiche Untersuchungen in Deutschland belegen, dass wir ein sehr hohes Umweltwissen und ein gut verankertes Umweltbewusstsein haben. Doch dann kommt diese sehr große Lücke bis zum Umwelthandeln. Diese Lücke zu schließen ist ein Anliegen dieses pädagogischen Ansatzes und damit auch der Weiterbildung.
 
Johanna Tyllack: Viele sagen: „Es ist sowieso alles ganz schlimm, Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben… Da kann man eigentlich eh nichts mehr machen.“ Uns jedoch ist es wichtig, dass man trotzdem einen Weg sucht und versucht, etwas zu gestalten. Man darf nicht resignieren. Vor allem in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen ist das besonders wichtig, denn deren Zukunft liegt noch vor ihnen. Es sollte jedem Lehrenden bewusst sein, dass sie Jugendlichen eine Perspektive eröffnen müssen: „Ja ich weiß, wie schlimm es ist, aber deshalb resigniere ich nicht, sondern schaue, was wir trotzdem schaffen können.“ Auch da bietet die Schöpfungspädagogik die Möglichkeit für einen Perspektivwechsel.

Isabel Otterbach: Von der Abteilung Umwelt des Erzbischöflichen Ordinariats besteht schon eine längere Kooperation mit den erzbischöflichen Schulen. Dort ist der Begriff „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ gerade in aller Munde und das ist auch gut und wichtig. Dennoch stand für mich immer die Frage im Raum: Wie kann eine christliche „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aussehen? Welchen Mehrwert bringt die christliche Perspektive? Im Rahmen der Schöpfungspädagogik können wir auf diese Fragen eingehen. Es geht darum, mithilfe des christlichen Welt- und Menschenbildes an unseren Schulen ein Angebot zu machen, das über reine Umweltbildung oder „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hinausgeht. Wir sind überzeugt, dass dieser christliche Blick auf die gesamte Thematik besondere Handlungsmöglichkeiten eröffnet.

Wie ist der Ablauf der Weiterbildung?
Lucia Jochner-Freitag: Nach den Grundlagenmodulen, mit der interdisziplinären Betrachtung von Mensch und Mitwelt, werden wir zwei große Problemfelder vertiefen: die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen und den Rückgang der Biodiversität. Beide Bereiche werden vor dem Hintergrund der Naturwissenschaften und der christlichen Spiritualität betrachtet. Dann beginnt die Umsetzungsphase, in der die Lehrerinnen und Lehrer aus diesen beiden Themen für ihre Schulen ein Projekt konzipieren und durchführen.
Wir arbeiten immer sehr erfahrungsorientiert. Es gibt stets eine personale Ebene, auf der die Lehrerinnen und Lehrer selbst bestimmte Erfahrungsmomente durchleben. So finden zur Vertiefung der eigenen Naturbeziehung im kommenden Jahr auch Naturexerzitien statt. Schließlich schauen wir auf einer übergeordneten Ebene, wie die Lehrkräfte ihre Erfahrungen mit ihrer Zielgruppe, also den Schülerinnen und Schülern, authentisch umsetzen können. Dabei geht es in den Modulen von der Schöpfungsgeschichte, also vom Ursprung unseres Glaubens, über das Verständnis, wie ich mich in der Welt überhaupt wahrnehme bis hin zu ganz praktischen Fragen: Wie können wir Solardächer auf die Schulen kriegen?
 
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Wir wollen den Teilnehmenden Räume schaffen und sie darin begleiten, für sich selbst eine kleine Vision für die Zukunft zu entwickeln.
Lucia Jochner-Freitag
Wie versuchen Sie in den Modulen die Ansätze der Schöpfungspädagogik den Lehrkräften näher zu bringen?
Lucia Jochner-Freitag: Im vergangenen Modul waren wir zum Beispiel einen ganzen Nachmittag in der Natur und haben verschiedene Wahrnehmungsübungen gemacht. In unserer digitalisierten Welt ist das ein sehr wichtiger Aspekt, denn wenn wir nur vor dem Computer sitzen, dann verarmen unsere Sinne. Diese wieder zu schärfen ist etwas Grundlegendes in unserer schöpfungspädagogischen Arbeit. Gleichzeitig wollen wir den Teilnehmenden Räume schaffen und sie darin begleiten, für sich selbst eine kleine Vision für die Zukunft zu entwickeln.
Isabel Otterbach: Es ist ganz wichtig, dass die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer erst einmal als Menschen da sind, unabhängig von ihrer Funktion. Und dass sie persönlich diese Erfahrung in der Natur machen. Idealerweise wird dadurch auch der Wunsch bei den Teilnehmenden geweckt, in der Schule öfter nach diesem Ansatz zu wirken: in die Natur gehen, spüren, eine Vision von einer klimafreundlichen und enkeltauglichen Welt entwickeln und daraus in die Schule wirken.
 
Was meinen Sie an dieser Stelle mit „Vision“?
Lucia Jochner-Freitag: Das Wort „Vision“ ist schwierig. Damit ist nicht gemeint, dass jeder oder jede eine göttliche Himmelsschau im Sinne von Hildegard von Bingen hat. Es ist vielmehr die Ahnung einer lebensvollen Zukunft gemeint. Eine Ahnung, die uns trägt und Kraft gibt. Eine Vision hilft mir, eine konkrete Vorstellung zu schaffen. Im Laufe der Weiterbildung entwickeln die Teilnehmenden aus diesen Visionen konkrete Umsetzungsprojekte.
 
Auf dem Foto ist Johanna Tyllack zu sehen.
Johanna Tyllack
Was für eine Art von Spiritualität wollen Sie auf diese Weise in der Weiterbildung vermitteln?
Isabel Otterbach: Die Spiritualität, die wir zu vermitteln versuchen und die dem Ganzen zu Grunde liegt, bezieht sich auf eine innere Haltung. Papst Franziskus spricht von einer ökologischen Spiritualität, die dem betrachtenden Staunen über die Schöpfung und die Geschöpfe entspringt. Es macht meines Erachtens einen Unterschied, mit welcher Haltung man konkrete Projekte angeht. Bis zum Beispiel eine Photovoltaik-Anlage an einer Schule umgesetzt ist, braucht es viel Energie. Durch die Weiterbildung sollen die Teilnehmenden möglichst so viel intrinsische Motivation erlangen, um zu wissen, wie und warum sie solche Projekte angehen. Wichtig ist dabei auch die Vernetzung, dass niemand diesen Weg allein gehen muss.
Johanna Tyllack: Deshalb war auch ein Anliegen, dass man erstmal den Lehrerenden etwas bietet, indem man ihnen einen Raum gibt und dass man sie wertschätzt. Das ist sonst oft vom Konzept her anders bei Lehrerfortbildungen. Oft sind diese an einen festen Ablaufplan gekoppelt, man soll etwas lernen und es dann so anwenden. Aber hier bekommt man erst einmal etwas geschenkt und kann davon etwas weitergeben. Das wird auch bei den Teilnehmenden spürbar, die sich über die Angebote der Weiterbildung auch für sie persönlich freuen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus unterschiedlichen Fachbereichen. Wie können sie die Ansätze der Schöpfungspädagogik konkret im Unterricht einsetzen?
Isabel Otterbach: Normalerweise würde man in der Schule bestimmte Themen wie Schöpfung vielleicht nur gesondert im Religionsunterricht oder im Biologieunterricht behandeln. Unser Anliegen ist es, dass solche Themen fächerübergreifend aufgegriffen werden. Schöpfungsverantwortung ist als zentrales Element im Bildungsauftrag der Erzbischöflichen Schulen verankert, deshalb wird im Rahmen der Weiterbildung der Anreiz gesetzt, diese Themen in die gesamte Institution Schule einzubeziehen.
Lucia Jochner-Freitag: Was für die Einzelnen wichtig ist, ist ganz unterschiedlich. Durch unsere unterschiedlichen Qualifikationen im Leitungsteam können wir vielfältige Impulse setzen. Und natürlich kommt die Frage: Was kann ich davon in meinen Englischunterricht mitnehmen? Oder was mache ich jetzt damit im Kunstunterricht? Wir haben uns zum Beispiel mit vorurteilsfreier Wahrnehmung beschäftigt. Wenn ich heutzutage eine Nachricht auf mein Handy bekomme, werde ich dazu verleitet, sofort zu reagieren und schnell eine Wertung zu treffen. Dadurch wird eine vertiefte Betrachtung von Zusammenhängen erschwert. Komplexe Problemstellungen lassen, sich jedoch meist nicht so knapp beantworten. Durch eine vorurteilsfreie Wahrnehmung lasse ich mich erst einmal unvoreingenommen auf ein Thema oder eine Problemstellung ein. Eine Teilnehmerin, die Kunstlehrerin ist, hat zum Beispiel für sich entdeckt, dass sie mit ihren Schülerinnen und Schülern in der abstrakten Kunst auf diese Weise arbeiten kann. Abstrakte Kunst lädt ein, das Werk unvoreingenommen zu betrachten, denn es hat keine konkreten Darstellungen und Inhalte, die sich auf Anhieb einordnen ließen.
Johanna Tyllack: Das Ziel sollte auch sein, den Schülerinnen und Schülern mit dieser Unvoreingenommenheit zu begegnen. Ich denke, wenn man dies selbst einmal erfahren hat, kann man es auch leichter weitergeben.
 
Auf dem Foto ist eine Gruppe Lehrer zu sehen, die an der Weiterbildung Schöpfungspädagogik teilnimmt.
20 Lehrerinnen und Lehrer haben Ende 2021 am ersten Modul der Weiterbildung im Bildungshaus St. Rupert in Traunstein teilgenommen
Auf dem Foto ist Isabel Otterbach zu sehen
Isabel Otterbach
Die Weiterbildung ist im Herbst 2021 gestartet und die Teilnehmenden haben bislang zwei Module absolviert. Wie blicken Sie auf den weiteren Verlauf?
Isabel Otterbach: Diese Weiterbildung ist auch ein Experiment, denn wir haben nicht den Anspruch, jetzt schon zu wissen, was sich in der Zeit bei den Teilnehmenden entwickelt. Es besteht somit die Chance, dass vielleicht wirklich etwas ganz Neues daraus entstehen kann. Dafür braucht es auch den Zeitrahmen von insgesamt 2,5 Jahren, da sich wirklich nachhaltige Veränderungsprozesse oft erst über einen längeren Zeitraum entwickeln. Es kann dabei natürlich auch etwas misslingen, es muss nicht auf Anhieb alles funktionieren.
 
Und wie sind bislang die Reaktionen der Teilnehmenden?
Johanna Tyllack: Beispielsweise gab es beim letzten Modul Aussagen der Teilnehmenden, dass sie hier ganz neue Aspekte an den altbekannten Schöpfungsgeschichten erfahren hätten.  Auch die Erfahrungen draußen in der Natur, die Lucia mit Impulsen angeleitet hat, empfanden viele als sehr inspirierend. Außerdem wird sehr geschätzt, sich offen und konstruktiv austauschen zu können. Es wurden dadurch bereits einige konkrete Ideen für den Schul- und Unterrichtsalltag entwickelt.
 
Das Gespräch führte Eileen Kelpe, Volontärin Sankt Michaelsbund, Mai 2022
 

Weiterbildung „Schöpfungspädagogik“


Die erstmalig stattfindende zertifizierte Weiterbildung war in sieben Module aufgeteilt, welche im Zeitraum vom Herbst 2021 bis zum Sommer 2024 stattgefunden haben. Die Module vermittelten einerseits fachspezifische Inhalte aus den Bereichen der Naturwissenschaften und der christlichen Theologie. Andererseits fanden praktische Einheiten in der Natur statt, die die persönliche Wahrnehmung und das spirituelle Erleben der Natur in den Fokus nahmen, wodurch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel ermöglicht wurde. Naturexerzitien und die Umsetzung eines schöpfungspädagogischen Projektes waren ebenfalls Bestandteil der Weiterbildung.

Die teilnehmenden Lehrkräfte wurden qualifiziert, schöpfungspädagogische Ansätze in ihre Arbeit zu integrieren. Die Weiterbildung wurde in Trägerschaft des Campus St. Michael in Kooperation mit dem Erzbischöflichen Ordinariat München (Ressort 5 Bildung und Abteilung Umwelt im Ressort 1) durchgeführt. An der gerade abgeschlossenen Weiterbildung nahmen 20 Lehrerinnen und Lehrer der Erzbischöflichen Schulen in der Erzdiözese München und Freising teil.

Campus Traunstein
Direktor Wolfgang Dinglreiter
Kardinal-Faulhaber-Straße 6
83278 Traunstein

info(at)seminar-traunstein.de
https://www.campus-stmichael.de
Ressort 5 - Bildung
Kapellenstr. 4
80333 München
Telefon: 089 2137-1368
Fax: 089 2137-271368
Ressort-Bildung(at)eomuc.de
Ressortleiterin, Ordinariatsdirektorin:
Dr. Sandra Krump
Vorsitzende der Diözesankommission für
Katholische Tageseinrichtungen für Kinder
 
Umwelt
Kapellenstr. 4
80333 München
Telefon: 089 2137-1251, 089 2137-1602
nachhaltig(at)eomuc.de
http://www.erzbistum-muenchen.de/umwelt
Abteilungsleiter und Diözesaner Umweltbeauftragter:
Mattias Kiefer
umweltbeauftragter(at)eomuc.de
Telefon: 089 2137-1514

Umweltmanagementbeauftragter des
Erzbischöflichen Ordinariats München:
Hermann Hofstetter
HHofstetter(at)eomuc.de
Telefon: 089 2137-1601