Hier schildern zwei Frauen und ein Mann mit Fluchthintergrund, wie das Jugendwohn- und Gästehaus München-Süd des Katholischen Jugendsozialwerks München ihnen bei der Integration geholfen hat.
Zahnarzt Dr. Wolfgang Schmid (rechts) mit seiner früheren Auszubildenden Elahe Damani (2. von links), deren Tochter und seiner aktuellen Auszubildenden Elisabeth (links).
„Ich war noch nicht einmal 15 Jahre alt, als mich meine Eltern an einen Mann aus Afghanistan verheiratet haben. Da wusste ich: Ich habe meine Freiheit und meine Sicherheit verloren, und ich werde nicht arbeiten können, weil allein der Mann der Chef ist.“ Diese bitteren Sätze stammen von Elahe Damani, die im Iran geboren wurde und dort ihre Jugend verbracht hat. Die religiös geschlossene Ehe war für sie alles andere als eine Liebesheirat, auch weil ihr Mann ihr gegenüber immer wieder gewalttätig war. Als sie Mutter wird, darf sie die Wohnung nicht mehr verlassen. Doch als ihr Mann davon hört, dass sich Europa im Jahr 2015 die Grenzen vorübergehend öffnet, zwingt er seine kleine Familie zu einer weiten und gefährlichen Reise. „Meine Tochter war erst zehn Monate alt. Wir haben viele gefährliche Situationen bis hierher durchlebt“, berichtet die 26-Jährige, die ausgezeichnet deutsch spricht.
Ganna Gorban stammt aus der Ukraine. Die 54-jährige Kinderärztin
und Klinikmanagerin arbeitet lieber im Housekeeping des
Jugendwohnheims München-Süd, um besser deutsch zu lernen
als nur vor dem PC einen Sprachfachkurs zur belegen.
Das tut sie natürlich in Freizeit auch.
Im Jahr 2016 trennt sie sich von ihrem Mann. „Ich war wieder frei und neugierig, was ich aus mir machen kann“, schildert sie ihren Einstieg in die hiesige Gesellschaft. In der Münchner U-Bahn sah sie die Werbung für einen Zahnarzt. „Ich habe einfach dort angerufen und gefragt, ob ich ein Praktikum machen kann“, beschreibt Elahe Damani ihren Tatendrang. Sie durfte sich vorstellen, ein Praktikum machen und schließlich bekam sie eine Lehrstelle. Da die junge Frau mit ihrer heute zehnjährigen Tochter in einer weit entfernt liegenden Unterkunft lebte, meldete sich Zahnarzt Dr. Wolfgang Schmid beim nahegelegenen Jugendwohn- und Gästehaus München-Süd des Katholischen Jugendsozialwerks München (KJSW). Dessen Leiter Thomas Frank vermietete ein kleines Apartment an die junge Mutter und ihre Tochter. Fünf Jahre lang werden sie dort leben.
Für ein anderes Problem fand sich allerdings auf Dauer keine Lösung: Da die Zahnarztpraxis an einigen Tagen bis 18 und 19 Uhr geöffnet ist, die junge Mutter aber ihre Tochter spätestens um 17 Uhr aus der Kita abholen musste, entschied sie sich nach zwei Jahren dazu, ihre Ausbildung abzubrechen und sich zur Kinderpflegerin ausbilden zu lassen. Die Arbeitszeiten im neuen Beruf passten zu den Kita-Zeiten. „Ich arbeite total gerne mit Kindern und fühle mich im Traumjob angekommen“, schmunzelt Elahe Damani. Mit Zahnarzt Dr. Wolfgang Schmid ist sie heute noch im freundschaftlichen Kontakt.
Den Einstieg ins Berufsleben ermöglicht Dr. Schmid Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung öfter. Gerade ist Elisabeth, die aus Ghana stammt, bei ihm Auszubildende im ersten Lehrjahr. Der 71-Jährige, der die Zahnarztpraxis mittlerweile mit seiner Tochter gemeinsam betreibt, hat gute Erfahrungen bei Azubis mit Fluchterfahrung gemacht. „Sie sind sehr interessiert, engagiert und freundlich. Das ist gut für unsere Patienten“, erklärt er und man merkt, dass er seine eigene Rolle bei der Integration Geflüchteter nicht hervorheben will.
Auch für Ganna Gorban ist das Jugendwohn- und Gästehaus München-Süd wichtig. Die 54-jährige Kinderärztin und Klinikmanagerin stammt aus Butscha in der Ukraine und lebt seit Herbst 2023 in München. Beim Überfall auf ihren Wohnort durch die russische Armee setzte sie ihre krebskranke Mutter und deren über 90-jährige Cousine samt Rollatoren ins Auto und fuhr in Richtung Westen. Bei der Flucht wurde der Wagen hinter ihr von einem Panzer plattgewalzt. Die Insassen waren alle tot. „Wir hatten großes Glück, dass wir gerade noch durchgekommen sind“, erinnert sie sich. Schließlich erreicht sie Polen, nimmt eine Stelle als Ärztin an und kümmert sich in der Freizeit um Mutter und Tante. Über ein Jahr arbeitet sie ohne einen freien Tag durch. Als ihre Mutter und deren Cousine gestorben sind, macht sie sich auf den Weg nach München.
Der Sozialpädagoge Thomas Frank leitet das Jugendwohn- und
Gästehaus München-Süd des KJSW. Er sagt: „120 Millionen
Menschen sind mittlerweile weltweit auf der Flucht. Es ist ein
Gebot der Humanität, Menschen mit Fluchthintergrund
eine Perspektive zu ermöglichen.“
„München war schon immer mein Traumort. Ich bin glücklich, dass ich hier sein kann“, erklärt die tiefreligiöse Frau, die jeden Tag um Frieden und um das Überleben lieber Menschen betet. Da ihre Deutschkenntnisse noch nicht gut genug sind, um hier als Ärztin arbeiten zu dürfen, sucht sie sich eine Arbeit, bei der sie viel sprechen muss. Auf Anraten einer Sozialpädagogin fragt sie bei Thomas Frank nach, ob sie bei ihm ein Praktikum machen dürfe. Der Leiter des Jugendwohn- und Gästehauses München-Süd ist beeindruckt von der Geschichte Ganna Gorbans. „Bei uns leben junge Leute, die ukrainisch oder russisch sprechen und die von einer reiferen Person als Gegenüber profitieren können. Also habe ich das Praktikum für Frau Gorban sofort ermöglicht“, berichtet der Sozialpädagoge.
Seit Dezember 2024 arbeitet Ganna Gorban in einem regulären Beschäftigungsverhältnis, das sich aus einigen Stunden sozialer Betreuung von Bewohner:innen und noch mehr Stunden Housekeeping zusammensetzt. Eine Ärztin im Housekeeping? „Ich wollte das selbst so, denn ich brauche den Kontakt zu Menschen, auch wenn andere sagen: du spinnst, dass du das hier machst. Aber bis ich in Deutschland meine Approbation bekomme, will ich hier arbeiten, denn ich will auch der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben“, betont sie. Ganna Gorban lebt in München-Trudering, was nicht gerade der nächste Weg nach München-Forstenried ist. Aber die lange Anfahrt stört sie nicht. „Ich habe früher auch eine Stunde von Butscha zu meiner Klinik nach Kiew gebraucht. Das ist doch gut machbar“, schmunzelt sie.
„Das Kochen ist meine große Liebe“, sagt Hassan Hussein aus
Somalia. Er arbeitet als Küchenhelfer im Jugendwohn-
und Gästehaus München-Süd. Ab 2026 wird er dort
mit einer Ausbildung zum Koch beginnen.
Einen ganz anderen Hintergrund bringt Hassan Hussein mit. Der 26-Jährige wurde in Qoryooley im Süden Somalias geboren. Die Region wird von Al-Shabab-Milizen kontrolliert, die männliche Jugendliche zwingen, mit ihnen zu kommen und zu kämpfen. Hassan Hussein wollte lieber die Schule besuchen und viel lernen. „Ich habe gesehen, das geht nicht. Also bin ich mit 15 Jahren geflohen“, erzählt der junge Mann, der heute die weiße Arbeitskleidung eines Kochs trägt. Seine Flucht dauerte lange und führte durch Äthiopien, Ägypten und Libyen. „Ich habe immer wieder gearbeitet, damit ich Geld spare und weiterkomme“, berichtet der junge Mann mit dem freundlichen Lächeln. Im Alter von 17 Jahren war er schließlich in Deutschland angekommen. Er besucht Sprach- und Integrationskurse, erhält einen regulären Aufenthaltstitel und arbeitet vier Jahre lang bei einem großen Logistikunternehmen als Lagerhelfer. Wirklich angekommen fühlt er sich allerdings dort nicht.
Als Hassan Hussein aus privaten Gründen nach München umzieht, wohnt auch er zunächst im Jugendwohn- und Gästehaus München-Süd. Ihm gefällt das internationale Umfeld dort und das freundliche Klima. Als ihm eine Stelle als Küchenhelfer angeboten wird, sagt er zu und freut sich, dass er dort ab 2026 eine Lehre zum Koch beginnen darf. „Das Kochen ist meine große Liebe“, lächelt er verschmitzt. „Und in Deutschland ist es gut, wenn man eine Bescheinigung hat, dass man etwas wirklich richtig gelernt hat.“
Text: Gabriele Riffert, freie Redakteurin, April 2025