Es ist Freitagnachmittag, 15 Uhr. Der große Besprechungsraum im Obergeschoss des Hauses ist einladend vorbereitet: Geschmückte Tische, eine „Schatzkiste“ und in der Mitte die Osterkerze. Die Seelsorgerin Mechthild Ferber-Holzbauer hat sie extra aus der Kapelle mitgebracht. Die „Herzensstunde“ ist ein offenes Angebot der Seelsorge im Einrichtungsverbund Steinhöring. Einmal im Vierteljahr bietet Mechthild Ferber-Holzbauer sie an. Diesmal sind elf Frauen und Männer gekommen. Sie freuen sich, bekannte Gesichter wiederzusehen oder zu neuen Teilnehmern „Hallo“ zu sagen. Das Klima ist voller Vorfreude auf das, was kommt. Die Anwesenden leben in einer der Wohngruppen, die zum Einrichtungsverbund gehören und sie benötigen für ihren Lebensalltag individuelle Unterstützung. Mechthild Ferber-Holzbauer bevorzugt die Formulierung, dass sie besondere Fähigkeiten und Bedürfnisse haben. Auch einige Betreuerinnen sind gekommen.
Als die Seelsorgerin mit Hilfe von Bewohner Manfred die Kerze anzündet, ruft Angelika: „Aber Ostern ist doch noch gar nicht!“ Für die Gemeindereferentin, die seit 16 Jahren im Einrichtungsverbund Steinhöring arbeitet, ist das eine willkommene Gelegenheit, die Osterkerze in der Mitte zu erklären: „Wenn wir die Kerze anzünden, dann wissen wir, dass wir nicht alleine sind und dass Jesus immer bei uns ist.“ Dann spielt sie ein Musikstück, dessen Refrain lautet „Ich mach mein Herz auf“. Manche singen mit, andere genießen einfach die Melodie. Die Menschen im Raum werden ruhig und meditativ. Das ist gut für die Arbeit mit dem, was die „Schatzkiste“ heute bietet: Rohlinge für kleine Papierlaternen, Scheren, Filzstücke, Nadeln, Buntstifte und einiges mehr. „Heute wollen wir unsere eigenen Laternen gestalten“, erklärt Mechthild Ferber-Holzbauer und zeigt, wie es geht.
Während man beschäftigt ist, können Gedanken und Ideen aufsteigen.
Die kreative und doch gleichförmige Arbeit mit den Händen gehört zum Grundkonzept der „Herzensstunde“. Während man beschäftigt ist, können Gedanken und Ideen aufsteigen, die sonst womöglich nicht geäußert würden, „weil der Kopf dazwischenfunkt“, wie Mechthild Ferber-Holzbauer beschreibt. Der Seelsorgerin war das in einer privaten Runde aufgefallen, als sie sich mit Frauen traf, um Pralinen selbst herzustellen. Dazu gehörte, dass man die Pralinenmasse mit den Händen zu Kugeln formte. „Wir haben uns dabei über Themen unterhalten, die wir sonst wahrscheinlich gar nicht ausgesprochen hätten. Da hat das Herz gesprochen“, erinnert sich Mechthild Ferber-Holzbauer. Der Seelsorgerin kam die Idee, daraus ein Angebot im Einrichtungsverbund Steinhöring zu gestalten. Die Hand-Arbeit ist jedes Mal ruhig und kreativ, aber verschieden von den vorherigen Tätigkeiten und der Jahreszeit angepasst. Mittlerweile gibt es die „Herzensstunde“ schon im dritten Jahr.
Dass die Arbeit mit den Händen auch hier das Gespräch erleichtert, wird im Verlauf des Nachmittags deutlich. Franz ist traurig, weil eine Freundin von ihm kürzlich gestorben ist. Während er den Laternenrohling mit einem symmetrischen Muster verziert, durch das später Lichtstrahlen scheinen werden, stellt sich die Seelsorgerin an seine Seite. Sie fragt, was ihm gerade durch den Kopf geht und er kann über seine Trauer sprechen. Alexander stellt mit großem Geschick eine wunderschöne Papierlaterne her. Dabei erzählt er, wie sehr er sich auf den Frühling freut, wenn wieder Blumen blühen. Das inspiriert andere spontan dazu, ihre Laternen mit Tulpen zu verzieren. Im meditativ-kreativen Miteinander wird eine wohlwollende Gemeinschaft spürbar. Weshalb das Angebot „Herzensstunde“ heißt, ist nun selbsterklärend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessieren sich füreinander und wirken auch nach über einer Stunde noch sehr konzentriert.
Schließlich stehen die Laternen auf den Tischen und leuchten. Am Schluss gibt es ein kleines Segnungsritual: Mechthild Ferber-Holzbauer hat eine Schale mit Weihwasser mitgebracht. Damit geben die Anwesenden einander das Kreuzzeichen. Der Segen Gottes bleibt, auch wenn die „Herzensstunde“ zu ihrem Ende gekommen ist. Und als sichtbares Zeichen nimmt jeder seine selbst gestaltete Papierlaterne mit heim.
Text: Gabriele Riffert
Seelsorge für Menschen mit Behinderung Mechthild Ferber-Holzbauer ist Angestellte der Erzdiözese München und Freising. Die 52-Jährige ist Gemeindereferentin mit einer Zusatzausbildung „Seelsorge mit Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung“. Sie gehört zu den Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die im Auftrag der Erzdiözese in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung tätig sind. Außerdem gibt es Dekanatsbeauftragte für die Seelsorge mit behinderten Menschen. Durch das Engagement der Kirche in diesem Bereich wird deutlich, dass Kirche ausnahmslos für alle Menschen da ist.
Weitere Informationen:
Behindertenseelsorge im Erzbistum München und Freising Einrichtungsverbund Steinhöring Der Einrichtungsverbund ist nicht nur in Steinhöring präsent, sondern auch in den Orten Fendsbach, Eglharting, Ebersberg und Erding. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich in den Bereichen „spielen und entwickeln“ (Frühförderstätten, Kinderhäuser, integrierter Montessori-Kindergarten), „lernen und fördern“ (u.a. Schulen und heilpädagogische Tagesstätten), „arbeiten und fördern“ (Werkstätten für behinderte Menschen und Förderstätten) sowie „wohnen und Freizeit“ (Wohnheime und verschiedene Wohngruppen sowie ambulant betreutes Einzelwohnen). Träger des Einrichtungsverbunds ist die Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München. Weitere Infos:
www.evs-steinhoering.de