In der Fastenzeit laden wir ein, dem eigenen Leben mit mehr Achtsamkeit zu begegnen. Jede Woche neu folgt ein Impuls, der Sie begleitet - ganz ohne Verzicht, sondern mit mehr Zuwendung zu sich selbst.
Karfreitag, Osternacht und Ostern: Das Taufversprechen
In jeder Osternacht erneuern Christen ihr Taufversprechen und bekennen sich zu ihrer Identität, ihrer Würde und ihrer Berufung. Jeder getaufte Christ und jede getaufte Christin ist durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus Priester:in und König:in und Prophet:in. Erfahren und erleben wir es? Ist diese Tatsache im Alltag präsent? Das Zweite Vatikanum hat die Zusage der Gleichheit, der Würde und des Priestertums aller Getauften in Rückbindung an die Bibel wieder ins Bewusstsein gerückt. „Sie blieb aber theologisch und in der Verkündigung eher wenig beachtet, ja sogar nicht selten gefürchtet“ (Elmar Mitterstieler SJ). Was, wenn alle Getauften aus diesem Bewusstsein der Würde und der Gleichheit lebten und der Osterbotschaft Hand und Fuß und Herz leihen würden?
Christen feiern mit ihrer Taufe kein magisches Ritual, sondern einen unverlierbaren Freundschaftsbund mit Jesus Christus, der uns in die Gemeinschaft mit anderen ruft. Getaufte Christen sind Freunde und Freundinnen Jesu, Gefährten und Gefährtinnen, compañeros, Menschen, die den Weg Jesu mitgehen, neu gehen, ihn und sein lebendiges Wirken mit Osteraugen (Klaus Hemmerle) in dieser Welt bezeugen und dafür einstehen, auch wenn es schwierig wird. Mit der Taufe verabschieden wir uns von Starre und Unbeweglichkeit und setzen ganz realistisch auf die Dynamik und Elastizität des Heiligen Geistes.
Viele Erwachsene wurden bereits als kleine Kinder getauft und können sich nicht an die eigene Taufe erinnern. Wenn Erwachsene sich taufen lassen, empfangen sie in einem Gottesdienst die österlichen Sakramente: Taufe, Firmung, Kommunion. Sie sprechen ihr freies Ja zu Gott und zu unserer Gemeinschaft. Ein Glücksfall für die Kirche. Wie wertvoll die Taufe ist, darauf hat uns die große geistliche Frau, Madeleine Delbrêl (1904-1964), aufmerksam gemacht: „Lasst uns erst einmal die Berufung der Taufe leben, dann haben wir schon mehr als ein Leben lang genug zu tun.“ Das ist Berufung, in der Freundschaft mit Jesus Christus zu wachsen und nicht eine Kopie zu sein, sondern ein Original.
6. Woche in der Fastenzeit: Die Liebe Gottes
„Auf was kommt es an, was ist wichtig?" Der Alltag bietet nicht so viel Gelegenheit, das zu bedenken. Wir Christen sind da privilegiert. Die Fastenzeit durchbricht unseren Alltagstrott und konfrontiert uns mit dieser Frage. Ihre Zuspitzung erleben wir in der Karwoche, die vor uns liegt. Jesus macht es uns vor: Brot teilen und Füße waschen. Die Fußwaschung im Johannesevangelium (Joh 13) steht genau an der Stelle, wo die anderen Evangelien von der Eucharistie berichten.
Darauf kommt es an: der Macht der Liebe und ihrer verwandelnden Kraft zu trauen. Jesus stellt in einer für ihn und für uns entscheidenden Stunde genau diese Frage: „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ – „Habt ihr verstanden, auf was es ankommt, wenn ein Leben gelingen soll, wenn Menschlichkeit und Barmherzigkeit die Welt prägen sollen?“
Jesus bricht das Brot und wäscht die Füße – als Ausdruck seiner Liebe, die bis zum Letzten geht. Es ist die Liebe Gottes, die in ihm sichtbar und wirksam wird. Die Liebe, die dient und nicht von oben herab fordert. Sie sagt "Ja" zu uns, wie wir sind. Sie beugt sich herab, stützt das Schwache und befreit von der Enge und Angst, die meint, nicht genügen zu können und alles im Griff haben zu müssen. Es ist die herausfordernde Liebe, die ein Leben verwandelt und die alle „bevollmächtigt“, die sich darauf einlassen, ebenso zu handeln und mitzuwirken an der Erlösung der Welt.
Darauf kommt es an! Die Karwoche bietet die Chance, das neu zu begreifen: „Mut ist zu geben, wenn andere nur nehmen.“ Das ist die Lebensart Jesu – ihm sollen wir ähnlicher werden und uns anstecken lassen von der Kraft, die uns und unsere Welt wirklich zu verwandeln vermag. Ich wünsche uns allen ein mutiges Zugehen auf Ostern, dessen Licht alles Dunkle durchbrechen kann.
5. Woche in der Fastenzeit: Mitleid
Gibt es eine Haltung, die Jesus besonders wichtig ist? Spontan fällt mir dazu ein: mitempfinden! Ist Mitleid eine christliche Tugend? Oder gehört „Mitleid“ zu den vielfach missbrauchten Worten, abgenutzt und verdächtig? Im Hebräischen fällt die Nähe von „Mitleid“ und „Barmherzigkeit“ (rhm-rachamim, raechaem: auch „Mutterschoß“, „Gottes barmherziges Handeln“) auf.
Barmherzigkeit im ursprünglich biblischen Sinne meint Gottes mitfühlende Zuneigung zu Menschen und Tieren. Mitleid hat mit Urverbundenheit zu tun. In vielen biblischen Erzählungen wird eindrücklich geschildert, wie Jesus kranken, einsamen und an Leib und Seele verletzten Menschen begegnet. Er schenkt ihnen Mitgefühl, Respekt und Würde.
Wer unberührt vom Leid der anderen lebt, kann sich nicht Christ nennen.
In dieser Woche gedenken wir des Todestages von Oscar Romero, Erzbischof von San Salvador (1917-1980). Er wurde am 24. März 1980 während der Eucharistiefeier am Altar erschossen. Oscar Romero war ein Mann mit einem mitfühlenden Herzen und mit klarem Verstand. Er hat sich lautstark für die armen und entrechteten Menschen in seinem Land eingesetzt. Er hat jeder Form von Ausbeutung und Menschenverachtung die Stirn geboten und sich eindeutig auf die Seite der Opfer gestellt. Er ist auch heute ein Vorbild für eine leidempfindliche, menschenfreundliche Kirche.
4. Woche in der Fastenzeit: Einfach leben! Zögere nicht!
„Wenn wir eines Tages gefragt werden, was wir aus unserer Zeit gemacht haben, dann wäre es gut, sagen zu können, wir hätten sie ausgefüllt. Nicht nur sie verrinnen lassen und abgewartet, sondern ihr Leben gegeben, sie eingetauscht gegen Erlebnisse und Erfahrungen, Lachen und Weinen, Staunen und Bewundern; genützt für uns und andere – sie erfüllt.“
Helmut Walch
Zögere nicht!
Zögere nicht
leidenschaftlich zu leben
alles zu lassen
was dem leben nicht dient
spar dich nicht auf
und misstrau deinen ängsten
fang wieder an
jeden augenblick
neu
Katja Süss
3. Woche in der Fastenzeit: Listening is loving (Zef 3,17)
Gott spricht menschlich mit dem Menschen, nicht nur in biblischer Zeit, auch heute noch. Er spricht nicht in Sondersprachen, die wir zu lernen hätten, um ihn zu verstehen. Gott spricht allgegenwärtig. Das ist immer wieder in den vielen Gesprächen und geistlichen Begleitungen zu erleben. An uns liegt es, uns auf Gottes Frequenzen einzustellen. Das geht nicht ohne intensives, langes Zuhören, Nachlesen, Nachfragen, Hinschauen und Suchen (Wilhelm Bruners) und Finden. Mit der wachen Aufmerksamkeit beginnt eine vitale Beziehung zwischen Finden und Verlieren, zwischen Verstehen und Nichtverstehen, zwischen Hören und Nicht-Hören, zwischen Schweigen und Reden. Es ist ein Gespräch wie mit einem Freund oder einer Freundin (Ignatius). Listening is loving. Hören geschieht, wo es Offenheit für neue Erfahrungsräume gibt. Gottes Schweigen ist nicht leer, wir können es erlauschen.
Gott kann schweigen aus Liebe und in Liebe (Zef 3,17) und wird oftmals nach langem Schweigen „hörbar“, und zwar so individuell, so spezifisch, wie es Menschen gibt. Gott kann im Schweigen sprechen, sanft und freundlich. Um Gottes Stimme von den eigenen Projektionen zu unterscheiden, braucht es Zeit, Übung und Geduld. Es ist wie ein inneres Erspüren einer Stimmigkeit, einem Zusammenspiel von Gefühlen, Gedanken und Reflexion. Wir können Gottes Stimme hören in dem Schrei der Unterdrückten und Armen dieser Erde, in dem Seufzen der Traurigen, in dem Lachen der Kinder.
2. Woche in der Fastenzeit: Hören - "So sei du dein, so werde ich dein sein!"
«Du hörst mir gar nicht zu.» Wie schnell kann das passieren. Eine WhatsApp ist angezeigt, etwas anderes, das unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, und dann ist es vorbei mit dem aufmerksamen Hören. Dann gehen die Worte des Gegenübers an uns vorbei ins Leere. Vielleicht sind wir auch einfach bei einem losen Faden des Gesprächs hängen geblieben, haben ihn für uns weitergesponnen und darüber den Anschluss verloren. Das passiert ganz ohne böse Absicht.
Wer hören will, in welcher „Sprache“ Gott spricht, der benötigt Stille und Schweigen und ein hörendes Herz. Der Alltagslärm überfordert. Wir können uns schlecht schützen vor dem, was zu laut, zu viel oder einfach unangenehm, unbequem zu hören ist. Wir haben Augenlider, aber keine Ohrenlider (Fulbert Steffensky).
Nach biblischem Verständnis ist das Herz das Organ des Intellekts, wo alle Sinneswahrnehmungen zusammenlaufen, gespeichert und verarbeitet werden: All unser Denken, Fühlen, Spüren, Sehen, Hören. Gott kommt uns durch die Sinne in den Sinn. Das erlebt man immer wieder in Exerzitienbegleitungen. Ein hörendes, fühlendes, sehendes, denkendes Herz, will ersehnt, erbetet sein. Ob wir uns im Alltag oder in Exerzitien zum Gebet sammeln, immer geht es darum, die Sinne zu öffnen und zu entschlacken von den Bildern und Vorstellungen, die wir uns von uns selbst und von Gott machen.
Nikolaus von Kues hat Gottes Stimme so erfahren: „Und wie ich im Schweigen der Betrachtung ruhe, antwortest du mir, Herr in der Tiefe meines Herzens. Und du sagst: So sei du dein, so werde ich dein sein!“
1. Woche in der Fastenzeit: „Achtsam mitgehen mit deinem Gott“ (Micha 6,8)
Die Fastenzeit lädt dazu ein, den seelischen Kompass auf Gott neu auszurichten: wach, aufmerksam, achtsam. Achtsamkeit beginnt im Kleinen.
Ein paar Anregungen:
- Den Morgen bewusst beginnen. Bei einer Tasse Kaffee oder Tee (Handy ausschalten), eine Kerze entzünden und drei Minuten oder mehr in Stille da sein.
- Einem Menschen mit Aufmerksamkeit zuhören (Handy auf lautlos stellen).
- Einmal täglich auf mein Herz hören.
- Den Abend ausklingen lassen mit einem kurzen Rückblick auf den Tag: Worüber habe ich mich gefreut? Wofür bin ich dankbar?
Achtsam leben heißt auch, sich nicht gefangen nehmen lassen von Ärger, Pessimismus und Resignation.
Niemand braucht den Weg allein zu gehen. Gott geht mit und sucht mitgehende Menschen. „Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit deinem Gott.“
Micha 6,8
Spiritualität
Schrammerstraße 3
80333 München
Abteilungsleiterin:
Dr. Gabriela Grunden