Spuren der Vergangenheit Familienforschung mit dem Diözesanarchiv

Aus den digitalen Pfarrmatrikel des Archivs der Erzdiözese München und Freising lässt sich einiges über die eigenen Vorfahren herausfinden – auch was schon lange Vergessen schien. Ein Selbstversuch am heimischen Laptop
 
Pfarrkirche Sankt Georg, Ruhpolding im Chiemgau
Wie sich aus dem Taufbuch der Pfarrei Ruhpolding herauslesen lässt, wurden in der Kirche St. Georg die Vorfahren unserer Autorin Hannah Wastlhuber getauft.
Rupert, Karl, Johanna. Nach und nach füllt sich mein kariertes Blockblatt mit Namen. Zehn Geschwister hatte meine Urgroßmutter Walburga. Meine Mama kennt all ihre Namen – bis auf einen. Denn eines der ersten, unehelich geborenen Kinder muss sehr früh verstorben sein. Darüber gesprochen wurde allerdings nie, und so wissen wir auch keinen Namen. Den möchten wir aber zu gerne herausfinden.
 
Screenshot digitales Archiv der Erzdiözese
Über die Startseite des digitalen Diözesanarchivs gelangt man sowohl zu einer Anleitung für Familienforschung als auch direkt zu den Pfarrmatrikeln.
Eine Möglichkeit dafür sind Standesämter, die es seit 1876 gibt. Wir aber nutzen das digitale Archiv der Erzdiözese München und Freising für unsere Suche, unsere Vorfahren waren katholisch, haben hier gelebt und sollten in den Kirchenbüchern zu finden sein. Auf der Website des Diözesanarchivs sind rund sechs Millionen eingescannte Seiten einsehbar. Darunter auch die Pfarrmatrikeln, die Taufen, Hochzeiten und Sterbefällen jeder Pfarrei dokumentieren. „Und nachdem Altbayern ja bis um 1800 ausschließlich katholisch war, findet man in dieser Zeit eigentlich jeden und jede in den kirchlichen Büchern“, weiß der stellvertretende Direktor des Diözesanarchivs, Roland Götz.
 
Von der Gegenwart in die Vergangenheit forschen

Für unsere Familienforschung folgen wir seinem Hinweis: „Als allererstes sollte man daheim anfangen“, rät Götz. „Wer Großeltern und Urgroßeltern noch befragen kann, sollte das unbedingt tun.“ Und noch einen Hinweis hat der Kirchenhistoriker: Möglichst von der Gegenwart in die Vergangenheit forschen. Wir sammeln also, was wir schon wissen, in einem groben Stammbaum. Angefangen bei mir reicht er bis zu meinen Ururgroßeltern, Katharina und Lorenz. Eine Lücke aber bleibt: ihr unehelich geborenes und früh verstorbenes Kind, das uns zur Ahnenforschung überhaupt erst geführt hat. Aber wir haben eine Spur, der wir folgen können: Maria, die Großtante meiner Mutter, wurde – auch unehelich – im Dezember 1897 geboren.

Ich öffne den Laptop vor mir auf dem Wohnzimmertisch auf und rufe das digitale Archiv auf. Eine Anleitung zur Familienforschung bietet Hilfe für Einsteiger. Wir wählen den direkten Weg über den Button „Pfarrmatrikel“ und gelangen zu einem alphabetischen Verzeichnis alle Pfarreien des Erzbistums, von A wie Abens bis Z wie Zweikirchen. Pro Pfarrei sind die Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher aufgelistet. Pfarreiübergreifend nach einem Begriff zu suchen, ist nicht möglich, betont Götz. „Deswegen braucht man zunächst die Information: In welchem Ort haben die Vorfahren gelebt?“
 
Digitales Verzeichnis des Diözesanarchivs als Screenshot
Pro Pfarrei sind Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher einzeln aufgelistet.
In unserem Fall: Ruhpolding im Chiemgau. Seit 1640 werden die Taufbücher dort geführt, jedes Buch ist einzeln aufgelistet. Neben allen ist ein Augen-Symbol sichtbar, das bedeutet, dass die Schutzfristen abgelaufen und die Digitalisate einsehbar sind. Aber: „Das sind farbige, scharfe Fotos, auf denen man die Einträge so sieht, wie die Pfarrer sie vor Jahrhunderten niedergeschrieben haben“, erinnert Götz. Das Archiv bietet die Inhalte gut aufbereitet an – lesen und verstehen müssen wir die Sütterlin-Schrift und die oft lateinischen Einträge aber selbst.
 
Wir suchen also: meine Ururgroßmutter und ihre Tochter Maria. So hoffen wir, das Kind aus unserer Familie zu finden, von dem wir bisher nicht einmal den Namen kennen. Wir schlagen das unterste Taufbuch auf und klicken uns durch die vergilbten, mit blauem Füller beschriebenen Seiten. Namen von Täufling und Eltern, Geburtsdaten, Ortschaften, persönliche Bemerkungen des Pfarrers – zwischen all den Angaben müssen wir uns erst einmal orientieren. Im Gegensatz zu meiner Mama kann ich die Sütterlin-Schrift kaum entziffern. Hier empfiehlt Götz: Selbst in Sütterlin schreiben, beispielweise mithilfe von Übungsheften.
 
Ausschnitt aus einem Taufbuch der Pfarrkirche in Ruhpolding
Seite für Seite kann man sich durch die Digitalisate der Original-Dokumente klicken.
Wir klicken uns durch die Seiten bis ins Jahr 1897, wo wir auf den gesuchten Eintrag stoßen: Maria, illegitim, geboren am 14. Dezember. Die Mutter ist Katharina Berger. Und in der letzten Spalte, die für persönliche Bemerkungen des Pfarrers gedacht ist, steht geschrieben: „Der zweite Fall der 22-jährigen Mutter.“ Diese Wortwahl irritiert uns. Bis wir verstehen: Katharina Berger war 22 Jahre alt und unverheiratet, als sie ihr zweites Kind auf die Welt brachte. Es muss also auch einen „ersten Fall“ geben – das Kind ohne Namen!

Wir stöbern weiter durch die Seiten – und tatsächlich finden wir im Jahr 1896 unsere Vorfahrin: Maria, illegitim. Geboren am 24. Dezember – ein Christkindl und wir spüren einen kleinen Stich im Herzen. Ein Jahr später bekam meine Ururgroßmutter ihr nächstes Kind. Und nachdem beide Maria hießen, muss diese Maria das früh verstorbene Kind sein, schlussfolgert meine Mama. Um herauszufinden wie lange – oder kurz – sie gelebt hat, suchen wir im Sterbebuch weiter. Ein paar Minuten später wissen wir: Nur 10 Tage nach ihrer Geburt ist sie, so die Diagnose des Arztes, an „angeborener Lebensschwäche“ verstorben.
 
Sieben Generationen auf einem Block

Wir erschrecken, als wir uns die anderen Einträge auf der Seite des Sterbebuchs durchlesen. Ein Monat und zwei Tage. Zehneinhalb Monate. Eine Stunde. Mehr als die Hälfte sind früh verstorbenen Kindern. Das zu lesen, gibt uns ein mulmiges Gefühl. Unsere Vorfahren waren dem Leben viel hilfloser ausgesetzt als wir heute – und für viele hat dieses Leben nicht lange gedauert.

Ziel erreicht: Katharina Berger und ihre beiden ersten Töchter haben für uns eine Geschichte bekommen. Über 125 Jahre hinweg haben wir eine Beziehung zu Menschen gefunden, denen wir unser eigenes Leben verdanken. Denn es beginnt nicht erst mit uns selbst. Wir suchen weiter und finden in jedem Eintrag eine neue Spur, der wir folgen. Bis irgendwann sieben Generationen unserer Familie auf meinem Block stehen, zurückgehend bis ins Jahr 1789. Ich weiß jetzt, wie meine Urururururgroßeltern hießen, wo in Ruhpolding sie wohnten und welchen Beruf sie ausübten. Durch den Ort werde ich in Zukunft mit einem anderen Blick fahren – und mit dem Wissen, wo meine Wurzeln liegen.

Text: Hannah Wastlhuber, Volontärin beim Sankt Michaelsbund, März 2022
 
 
 

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