Hilfe für Frauen Wie Jadwiga nach Menschenhandel und Zwangsprostitution unterstützt

Nach traumatischen Erfahrungen finden viele Frauen bei der Fachberatungsstelle Jadwiga einen sicheren Rückhalt und neue Perspektiven. 
Frau vor einem Fenster
Eine junge Frau sitzt beim Kreisverwaltungsreferat. Sie will ihre Arbeit als Prostituierte anmelden. 23 Jahre ist sie alt. Die Mitarbeiterin wird hellhörig. Für solche Fälle sind die Angestellten speziell geschult und stellen daher spezifische Nachfragen. Daraufhin kommen bei der jungen Frau alle Emotionen hoch.  

Die Frau war Sophia.* Im Interview berichtet sie von der damaligen Situation, die für ihr weiteres Leben entscheidend war. Sophia ist in Bayern aufgewachsen, hat Abitur gemacht und studiert. In einer psychisch labilen Phase traf sie auf einen Mann, der ihre Situation ausgenutzt hat. Mit der sogenannten „Loverboy-Methode“ hat er sie emotional an sich gebunden – ihr die große Liebe vorgespielt. Im Laufe der Zeit werden bei der Methode Frauen unter Druck gesetzt und zur Prostitution gezwungen. Aus scheinbarer Liebe wurde Zwang.  Doch statt sich selbst zu prostituieren, wird ihr beim KVR der Kontakt zur Fachberatungsstelle Jadwiga vermittelt.
 
Sophia hat es sehr geholfen, im Gespräch mit Adina Schwartz, der Leiterin der Fachberatungsstelle Jadwiga, auf Verständnis für ihre Situation zu stoßen; „Dass da jemand ist, der die Situation versteht, mitfühlt, sich das anhört und sagt: ‚Hey, wir kriegen das alles wieder in den Griff.‘“ Konkret hat Adina Schwartz für Sophia dann die Kommunikation mit den Ämtern übernommen; Sophia selbst hatte dazu „keine Kraft“. Doch entscheidend war für sie die emotionale und mentale Unterstützung: „Ich glaube nicht, dass ich diese Zeit ohne diese Hilfe überhaupt überstanden hätte.“ Durch Jadwiga konnte sie auch innerhalb von zwei Wochen eine Psychotherapie beginnen.
 
Adina Schwartz
Adina Schwartz, Leiterin der Fachberatungsstelle Jadwiga
Hilfe bei Menschenhandel: Kreative Lösungen für jede Betroffene
 
Die Fachberatungsstelle Jadwiga in München und Nürnberg unterstützt Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsverheiratung geworden sind. Viele betroffene Frauen kommen aus osteuropäischen Ländern. Sophia ist da eine Ausnahme. Im Jahr werden bei Jadwiga 300 Frauen von zehn Mitarbeiterinnen betreut. Dazu kommen über 1.000 Erstberatungen und sieben verschiedene Projekte, an denen sie arbeiten. „Der Bedarf ist hoch“, so Adina Schwartz. Die Fachberatungsstelle in München und Nürnberg ist ein sicherer Zufluchtsort für Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsverheiratung geworden sind.

Die Arbeit basiert auf drei Säulen: die frühzeitige Identifizierung von Betroffenen, die individuelle Beratung und Betreuung sowie die Vermeidung einer sekundären Viktimisierung, also das erneute „Opfer werden“ durch unsensible Reaktionen und Verhaltensweisen Dritter. Dabei ist es Schwartz wichtig, „nicht mit Schablonen zu arbeiten“: Jede Frau wird ganz individuell begleitet. Es gehe darum, „das Ziel der Klientinnen zu erreichen“, das jede Frau für sich selbst definiert. Ob dies eine sichere Rückkehr in die Heimat ist oder eine neue Perspektive in Deutschland – die Mitarbeiterinnen begleiten die Frauen bei jedem Schritt. Dazu kann beispielsweise auch gehören, eine sichere Unterkunft zu finden. Bei allen Fragen würden die Mitarbeiterinnen auch nach „kreativen Lösungsansätzen“ suchen, so Sophia. Sie beschreibt die Mitarbeiterinnen als „herzensgut“, mit „sehr viel Verständnis, sehr viel Empathie und sehr viel Feingefühl“.
 
Woher kommt der Name Jadwiga?

Der Name geht zurück auf Hedwig (Jadwiga) von Polen. Sie wurde im Jahr 1374 in Ungarn geboren. Sie war die jüngste Tochter des Königs von Ungarn, Polen und Kroatien, Ludwig von Anjou. Nach dem Tod ihres Vaters wurde sie 1384 zur Königin von Polen gekrönt. Sie war besonders bedacht auf die Mission in Litauen, sie gründete Klöster, das Bistum Wilna/Vilnius und die theologische Fakultät der Universität in Krakau. Außerdem habe sie sich für die Rechte von Frauen eingesetzt, so die Leiterin von Jadwiga, Adina Schwartz. Die Königin habe versucht Betroffene von Zwangsheirat zu unterstützen und zu verhindern „in dem Ausmaß, in dem es damals möglich war“. 1997 wurde Hedwig von Polen von Johannes Paul II. heiliggesprochen.
 
Sophia ist auf Jadwiga aufmerksam geworden, weil eine KVR-Mitarbeiterin aufmerksam war. Das ist eine Möglichkeit, wie Betroffene in Kontakt mit der Beratungsstelle kommen. Daneben stellt die Organisation in Asylbewerberunterkünften Beratungen und Frauencafés auf die Beine: „Die Erstaufnahmestellen sind besonders wichtig, um frühzeitig Frauen zu identifizieren und Hilfe anzubieten“, so Adina Schwartz. Die dortige Arbeit von Jadwiga wird auch vom Erzbistum München und Freising unterstützt. 63.000 Euro erhält die Fachberatungsstelle, um in der Erstaufnahmeeinrichtung in Fürstenfeldbruck sowie im Transitzentrum Manching Frauen zu beraten und zu betreuen.
 
Mentoring-Programm durch finanzielle Unterstützung der Kirche

Viele Frauen treffen später die Entscheidung, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Doch dort besteht die Gefahr, dass sie zum Beispiel wegen religiöser Zugehörigkeit und sexueller Orientierung ausgeschlossen werden. Deshalb lässt Jadwiga die Frauen auch hier nicht allein. Vor Ort wird mit anderen Fachberatungsstellen zusammengearbeitet, um den Frauen eine sichere Rückkehr zu ermöglichen.
 
Entscheiden sich Frauen, nicht in ihre Heimatländer zurückzukehren, hilft Jadwiga bei der Integration in Deutschland. Auch durch die finanzielle Unterstützung der Kirche konnte dafür ein Mentoring-Programm eingerichtet werden. Ehrenamtliche Mentorinnen begleiten die Frauen dabei, das Leben in Deutschland zu meistern und wieder Fuß zu fassen – sei es durch Unterstützung bei Behördengängen, dem Erlernen der Sprache oder alltäglichen Herausforderungen wie dem Öffnen eines Bankkontos. Sie besuchen aber auch gemeinsam Museen und bringen den Frauen das Fahrradfahren bei, wenn sie es noch nicht können.
 
Stärkung der Betroffenen: Raus aus der Opferrolle

Die Arbeit der Beratungsstelle richtet sich nicht ausschließlich an betroffene Frauen. So klärt Jadwiga beispielweise auch mit dem „Loverboy-Projekt“ Jugendliche, Eltern und Fachpersonal in Schulen auf. Sie zeigen die Strategien der Loverboys auf und geben Informationen zum Umgang mit sozialen Medien und zeigen die Anzeichen von Gewalt in Beziehungen auf. Damit trägt Jadwiga dazu bei, dass weniger Menschen in diese Situationen geraten. Ein wichtiges Anliegen für Jadwiga ist es auch, die Frauen darin zu unterstützen, aus ihrer Opferrolle herauszutreten. Auch Sophia ist dabei, neue Stärke zurückzugewinnen. Sie baut sich ein neues Leben auf, sagt sie. Darin engagiert sich Sophia auch bei Jadwiga. Dort gründet sich derzeit ein Beirat aus sieben Frauen. Sie teilen ihre Erfahrungen und geben zum Beispiel bei der Polizei einen Einblick in die Vorgänge von Menschenhandel. Für die junge Frau ist die Arbeit ein „Akt der Befreiung“. Es helfe ihr, der Opferrolle zu entkommen: „Ich kann helfen, gegen die Täter vorzugehen.“
 
*Name von der Redaktion geändert

Text: Katharina Sichla, Redakteurin beim Sankt Michaelsbund, November 2024