Im Übergangswohnheim in Bad Reichenhall helfen Ehrenamtliche mit Fluchthintergrund Kindern bei ihren Hausaufgaben. Dank der Unterstützung wächst die Hoffnung auf eine gute Zukunft.
Nachhilfelehrer Amier Alrifai wischt die Tafel
Die Nachhilfe beginnt eigentlich erst um 17:30 Uhr. Doch schon um 15:30 Uhr fragt Gulbahar, ob man jetzt anfangen könne, weil sie den Lehrer gerade gesehen hat. Das neunjährige Mädchen ist sehr wissbegierig. Und die Chance auf mehr Unterricht will sie unbedingt nutzen. Nach und nach schauen auch andere vorbei. Die Geschwister Rahf und Rafef, zehn und acht Jahre alt, aber auch Maria, die mit 15 Jahren die Älteste ist, schaut nach. Tatsächlich ist ein früherer Beginn möglich, denn Nachhilfelehrer Amier Alrifai ist bereits vor Ort. Alrifai war früher Professor in Damaskus, bis er beim Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2015 zusammen mit seinen beiden Schwestern Rehab und Sabah flüchtete.
„Wir wurden damals gut im Berchtesgadener Land aufgenommen. Deshalb möchte ich als Ehrenamtlicher etwas zurückgeben und erteile nun den Kindern hier Nachhilfeunterricht. Ich tue das auf Arabisch, denn so verstehen mich alle“, erklärt Amier Alrifai.
Nachhilfe auf Arabisch
Im Übergangswohnheim in Bad Reichenhall des Bezirks Oberbayern leben so genannte UN-Kontingentflüchtlinge, die ihren deutschen Asylantrag bereits in der Türkei stellen konnten und der vorab aus humanitären Gründen bewilligt wurde. Das war etwa bei kinderreichen Familien der Fall oder bei Menschen mit einer schweren chronischen Erkrankung, die in den türkischen Camps nicht behandelt werden konnte. Sie alle müssen nicht um ihren Aufenthaltsstatus bangen. Allerdings bleiben genügend andere Probleme, die sie zu bewältigen haben: Die Sprache und oft auch die Schrift erlernen, eine Arbeit und irgendwann eine Wohnung finden.
Die Menschen im Übergangswohnheim, das vom Caritas Zentrum Berchtesgadener Land betreut wird, stammen überwiegend aus Syrien. Sechs Elternpaare mit insgesamt 28 Kindern wohnen hier. Fast alle sprechen perfekt Arabisch. Somit kann Amier Alrifai den Kindern tatsächlich Nachhilfe auf Arabisch erteilen. Wenn ein Kind zum Beispiel beim Rechnen Probleme hat, hilft es ihm, wenn eine Lehrkraft langsam und in der Muttersprache erklärt. Außerdem bringt der Nachhilfelehrer ihnen etwas Englisch bei. Seine beiden Schwestern unterstützen ihn beim Unterrichten. „Die Kinder in dieser Gruppe sind zwischen sieben und 15 Jahre alt. Einige bleiben nur ein paar Wochen, andere wohnen jahrelang hier, weil sie so schnell keine andere Bleibe finden“, erklärt Amier Alrafai die pädagogische Herausforderung, dieser bunten Mischung gerecht zu werden.
Doch der 68-Jährige engagiert sich gerne als Nachhilfelehrer. Für seinen Einsatz bekommt er eine Aufwandsentschädigung, die das Caritas Zentrum Berchtesgadener Land beim Fachbereich Flucht, Asyl, Migration, Integration (FAMI) der Erzdiözese München und Freising für ihn beantragt hat.
Unterstützung durch die Erzdiözese München und Freising
„Wir sind dankbar, dass wir uns an den Fachbereich FAMI wenden können“, sagt Verena Seel, Fachdienstleitung Soziale Dienste beim Caritas Zentrum Berchtesgadener Land. Sie war bis vor eineinhalb Jahren selbst in diesem Übergangswohnheim in Bad Reichenhall eingesetzt und kennt von daher die Situation noch sehr gut. „FAMI unterstützt uns auch mit Zuschüssen, wenn zum Beispiel ein Bewohner oder eine Bewohnerin eine Prüfung ablegt und dafür Gebühren fällig werden. Das Geld hätten sie selbst nicht. Auch Freizeitaktivitäten werden bezuschusst. So konnten zum Beispiel einige unserer Kinder mit ihren Klassenkameraden in den Zirkus gehen. Sie waren hinterher total begeistert“, schmunzelt die Sozialpädagogin.
Ihre Kollegin Juliana Straßer, die heute als pädagogische Fachkraft des Caritas Zentrums Berchtesgadener Land im Übergangswohnheim arbeitet, freut sich über die Entwicklung vieler Bewohnerinnen und Bewohner. „Gerade ist wieder eine große Familie ausgezogen und nach Erfurt übersiedelt, wo sie eine Wohnung finden konnten und der Vater auch eine Arbeitsstelle. So etwas geschieht immer wieder, auch innerhalb des Landkreises, obwohl der Wohnungsmarkt hier nicht einfach ist. Manche stehen schon bald auf eigenen Füßen“, berichtet Juliana Straßer.
Andere Familien brauchen länger, bis es soweit ist. Das Warten auf einen Platz im Deutsch- und im Integrationskurs kann dauern. Für die Kinder der Bewohner gibt es kaum Kita-Plätze, so lernen sie auch erst einmal kaum Deutsch. Sobald dann Schulpflicht besteht, werden die Kinder ihrer Altersgruppe entsprechend den Klassenstufen zugewiesen. Wenn zum Beispiel eine Achtjährige zuvor noch nie in der Schule war, kommt sie trotzdem erst einmal in die dritte Jahrgangsstufe. „Gut, dass wir dann Nachhilfeunterricht im Haus anbieten und Herr Alrifai und seine Schwestern viel erklären können“, weiß Juliana Straßer.
Dann klopft es an der Tür. Hasseeb Otaiba Salih Suliman will nachsehen, ob der Nachhilfeunterricht wirklich ausnahmsweise schon früher begonnen hat. Seine Töchter Rahf und Rafef haben ihm dies gesagt, als sie das Zimmer verlassen haben. „Nicht nur die Mütter, auch Väter im Haus kümmern sich sehr um ihre Familien. Es ist richtig schön, das zu sehen. Wenn sie später wieder eine Arbeit haben, haben sie dafür dann leider auch wieder weniger Zeit“, ergänzt Juliana Straßer.
Eine gute Zukunft für die Kinder
Hasseeb Otaiba Salih Suliman und seine Familie kommen aus dem Sudan. Er ist froh darüber, dass es für die Kinder jeden Tag in der Woche Angebote gibt – nicht nur auf Arabisch, sondern bei anderen Ehrenamtlichen auch auf Deutsch. Auch für die Begleitung durch die Mitarbeitenden des Caritas Zentrums Berchtesgadener Land ist er dankbar. „Es gibt viele Termine: Ich muss zum Job-Center. Meine älteste Tochter muss zum Arzt, und dafür reicht der Google-Translator nicht aus. Da ist es gut, dass wir nicht allein sind“, erklärt der Familienvater.
Wenn die Kinder eifrig lernen, sind die Eltern stolz. Ibrahim Alshikho aus Syrien strahlt, als er sieht, wie seine Tochter Gulbahar gleich als Erste herbeigerannt kommt, weil sie mehr lernen will. Ihr Lieblingsfach ist Mathematik. Aber sie mag auch gerne Zeichnen, Handarbeiten und Sport. Deutsch spricht sie schon so passabel, dass sie sich über vieles unterhalten kann. Das ist ein gutes Zeichen. Ibrahim Alshikho legt den Arm um seine Tochter und lächelt: „Ich will für meine Kinder, dass sie hier eine gute Zukunft haben.“ Das wollen alle hier, vor allem der ehrenamtlich tätige Nachhilfelehrer Amier Alrafai, der Gulbahar und die anderen nun mit einem Lächeln ins Klassenzimmer einlädt.
Text: Gabriele Riffert, freie Redakteurin, Dezember 2024