Immer mehr Texte in der Erzdiözese werden in Leichte Sprache übertragen. Nicht nur für Menschen mit Behinderung werden Inhalte dadurch besser verständlich. Leichte Sprache birgt generell die Chance, Aussagen auf den Punkt zu bringen – auch Glaubensbotschaften. Wie ein Text in Leichter Sprache entsteht, erläutern Gemeindereferentin Sabine Leitl, die den gerade erschienenen Münchner Domführer in Leichter Sprache verfasst hat, und Verena Reinhard, die seit mehr als zehn Jahren eine Medienwerkstatt für Leichte Sprache betreibt.
Titel des neuen Domführers
Der Domführer in Leichter Sprache liegt gut in der Hand: ein stabiler Einband mit einem schönen Foto der Münchner Frauenkirche vorne, 38 bunte Seiten mit kurzen wichtigen Informationen und ein Plan mit Hinweisen auf die Sehenswürdigkeiten im Gotteshaus. Die Broschüre, die in Herausgeberschaft der Erzdiözese München und Freising im renommierten Verlag Schnell und Steiner erschienen ist, trägt den Titel „Ein Rund·gang durch den Dom von München. In Leichter Sprache“. Der Text darin stammt von Sabine Leitl. Die Gemeindereferentin aus Karlsfeld bei München arbeitet seit 2013 im Bereich der Seelsorge für Menschen mit Behinderung. Im Dekanat Dachau hält sie dabei den Kontakt zu verschiedenen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung: Caritas-Wohngruppen sind darunter, eine Werkstatt und auch die Johannes-Neuhäusler-Schule in Schönbrunn, die von Kindern und Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten (früher „geistig Behinderte“ genannt) besucht wird.
Sabine Leitl präsentiert den neuen Domführer in Leichter Sprache.
„Menschen mit Behinderung brauchen niederschwellige Informationen. Die Sätze müssen einfach und kurz sein. Es gibt nur Hauptsätze, denn Nebensätze verwirren vielleicht“, erklärt Sabine Leitl. Die meisten Menschen müssen lange dafür üben, um sich ganz einfach ausdrücken zu können. Doch ihr liegt diese Art zu schreiben und zu sprechen. 2015 hat die 55-Jährige an einer Fachtagung des Katholischen Bibelwerks in Stuttgart für Leichte Sprache teilgenommen. Seither hat sie bereits viele Texte in Leichter Sprache geschrieben: Besinnungstexte, Übertragungen biblischer Texte, zwei Hirtenworte von Kardinal Reinhard Marx und den Domführer.
Hirtenwort zur Advents- und Weihnachtszeit 2020Hirtenbrief zu Beginn der Fastenzeit 2021 „Ich höre, dass der Domführer bei Menschen mit Lernschwierigkeiten gut ankommt“, berichtet Sabine Leitl. Zudem könnten auch viele andere Menschen damit mehr anfangen als mit dem klassischen Domführer: „Nicht-Muttersprachler wie zum Beispiel Geflüchtete verstehen die Inhalte in Leichter Sprache viel besser“, erklärt die Gemeindereferentin. Sogar Menschen mit bestimmten Formen von dementiellen Erkrankungen könnten sich bis zu einem gewissen Grad damit orientieren.
Kann man historische und religiöse Informationen eigentlich ohne weiteres in Leichte Sprache übertragen? „Wir sind eine Wortreligion“, räumt Sabine Leitl ein und gibt gleichzeitig zu bedenken: „Wenn man sich aber eine Sprache angeeignet hat, die viele nicht mehr verstehen, dann sollte einem das zu denken geben. Die Leichte Sprache ist Prophetie für uns. Was ist der Kern? Was willst du sagen?“
Sabine Leitl war mit einer Gruppe von Menschen mit Lernschwierigkeiten im Dom, als sie eine erste Fassung des Domführers in Leichter Sprache abgeschlossen hatte. „Dabei habe ich gelernt, dass die meisten von ihnen nicht punktuell Sehenswürdigkeiten im Dom ansteuern wollten, sondern lieber einen Weg entlang gehen“, erinnert sie sich. Also hat sie den Text neu als Rundgang konzeptioniert. Die Sichtweise betroffener Menschen ist unverzichtbar, wenn ein längerer Text in Leichter Sprache entstehen soll.
Deshalb kooperiert Sabine Leitl schon seit Jahren mit „Einfach verstehen“, einer Medienwerkstatt für Leichte Sprache in München. Dort arbeiten auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, die die Texte prüfen. Denn nur, wenn eine solche Prüfung stattgefunden hat, darf ein Text mit dem geschützten Label „Leichte Sprache“ versehen werden. Verena Reinhard hat „Einfach verstehen“ vor mehr als zehn Jahren gegründet. Während es anfangs schwierig gewesen sei, Aufträge zu erhalten, habe sich die Leichte Sprache mittlerweile gut verbreitet. So würden nicht nur Texte von Behörden übertragen, sondern auch von Museen, politischen Parteien oder eben Kirchen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Verena Reinhard erklärt, wie das Team ihrer Medienwerkstatt arbeitet: „Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Lernschwierigkeiten kommen regelmäßig zu festen Terminen ins Büro. Dann schauen wir uns gemeinsam die Texte an, die wir prüfen. Wir sitzen zusammen am Tisch und unterhalten uns darüber, was welcher Satz bedeutet und ob wir ihn verstehen“, berichtet die Germanistin und Medienwissenschaftlerin. So nimmt das Team Korrekturen vor, wo sie für das Verständnis des Textes erforderlich sind, und ergänzt jeweils eine passende Bebilderung, da eine solche wesentlicher Bestandteil von Texten in Leichter Sprache ist. Für den Domführer war Letzteres allerdings nicht notwendig, da er ohnehin mit den Fotos der beschriebenen Sehenswürdigkeiten illustriert ist.
Bei diesem Austausch im Team benutzt Verena Reinhard keinen Computer, weil er eine Barriere zwischen ihr und den Mitarbeitenden darstellen würde. So wird ganz traditionell mit Papierausdrucken gearbeitet. Die Ergebnisse fügt Verena Reinhard später am Computer in die Datei ein. Es sei denn, sie prüfen Internettexte: Diese sichten sie zunächst auf dem Papier und testen am Computer dann auch die Navigation der Internetseiten. Ihre Kolleginnen und Kollegen haben alle zu Hause kein Internet.
Durch Corona sei es gerade etwas schwieriger, gemeinsam zu arbeiten. Seit fast einem Jahr bringt Verena Reinhard deshalb ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Textausdrucke vorbei. Dabei gibt es manchmal ein kurzes Übergabegespräch. Für die Arbeit telefoniert sie dann je einzeln mit ihren Team-Mitgliedern.
„Die Prüfung des Domführers hat aber schon 2019 stattgefunden. Da konnten wir noch ganz normal arbeiten. Und das hat uns allen viel Freude bereitet“, erinnert sich Verena Reinhard. Ihre Gruppe war auch einen Nachmittag lang vor Ort im Dom, um selbst zu sehen, was im Text beschrieben wurde. Für das Team sei es wunderbar gewesen, Belegexemplare des nun kürzlich gedruckten Domführers zu bekommen. „Meine Mitarbeitenden prüfen nicht so gerne Texte, die es nur im Internet gibt, da sie selbst kaum im Netz unterwegs sind“, erklärt Verena Reinhard, „für sie ist es wichtig, dass etwas gedruckt wird, damit man es in Händen halten kann.“ Den Druck einer Publikation sieht sie als ein Zeichen der Wertschätzung für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung an.
Verena Reinhard weiß, dass Leichte Sprache allgemein zu mehr Verständlichkeit im Leben beiträgt. „Es wäre generell gut, so einfach wie möglich für alle zu schreiben“, betont sie. Nach der Übertragung einer Wahlhilfebroschüre bekam sie beispielsweise die Rückmeldung von Menschen ohne Lernbehinderung, dass sie erst jetzt verstanden hätten, wie Wahlen funktionierten: „Leichte Sprache verstehen eben alle besser.“
Text: Gabriele Riffert, freie Redakteurin, Mai 2021
Hinweis:
Der Domführer „Ein Rund·gang durch den Dom von München. In Leichter Sprache“ ist zum Preis von 4 Euro im Shop der Frauenkirche sowie direkt beim Verlag Schnell und Steiner erhältlich. Gruppen von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung können Einzelexemplare auch kostenlos über die Abteilung Pastoral Menschen mit Behinderung bestellen:
behindertenseelsorge@eomuc.de