Stimmen für Inklusion Wie eine Band Barrieren überwindet

Musik verbindet – auch über Barrieren hinweg. Das will die RolliGang zeigen. Sechs Freunde singen gemeinsam auf Bühnen in ganz Bayern. Mit verschiedenen körperlichen Behinderungen haben sie einige Hürden zu meistern.
 
V. l. n. r.: Oracio Greco, Sarah Hadyk, Jörg Schiener und Marco Eller; unten: Johannes Mayer und Benjamin Dannecker
V. l. n. r.: Oracio Greco, Sarah Hadyk, Jörg Schiener und Marco Eller. Vorne: Johannes Mayer und Benjamin Dannecker
„Ein Tag an dem ich nicht singe, da muss ich schon krank sein“. So eine Begeisterung für die Musik ist erstmal nicht ungewöhnlich. Die meisten Menschen singen aber nur unter der Dusche oder im Auto. Für Benjamin Dannecker, Oratio Greco, Sarah Hadyk, Marco Eller, Jörg Schiener und Johannes Mayer ist das keine Option – sie musizieren lieber gemeinsam in einer Band. Als RolliGang sind sie auf Bühnen in ganz Bayern aktiv. Eins macht die Truppe im Vergleich zu vielen anderen besonders: Alle Mitglieder haben eine körperliche Behinderung.
 
Aus der Schule auf die Bühne

Aus einem Schulprojekt entstanden, gibt es die RolliGang mittlerweile seit über 20 Jahren. Religionslehrer René Vollmer gründete das Projekt im Jahr 2001. Er begleitet die Band bis heute gemeinsam mit dem Musikproduzenten Werner Dasch. Zweimal in der Woche wird für Auftritte geprobt. Die Gruppe trifft sich in einem kleinen Raum am Bürgerpark Unterföhring. Er ist rustikal eingerichtet, in der Mitte steht ein Tisch, darum herum einige Stühle – und das Wichtigste: Am Eingang gibt es eine Rampe. Trotzdem ist beim Reinfahren manchmal Hilfe nötig, denn zwei der Sänger nutzen einen Rollstuhl.

Dasch packt an und koordiniert. Es dauert ein paar Minuten, bis alle im Raum sind und die Probe beginnen kann. Es wird nicht nur gesungen, sondern auch gelacht und getanzt. Die meisten Mitglieder der RolliGang kennen sich noch aus der Schulzeit. Dannecker hat bereits die Gründung der Band miterlebt, Mayer und Hadyk kamen kurze Zeit später dazu. Ganz neu sind Eller und Schiener. Berührungsängste gibt es unter den Bandmitgliedern keine, beim Singen reichen sie sich gegenseitig die Hände. Eller und Schiener sind blind – sie müssen sich ein wenig vortasten, bis auch sie die Hände ihrer Partner gefunden haben. Über die Jahre haben sich bestimmte Rollen innerhalb der Gruppe gebildet: Greco führt die Gruppe an – vor allem beim Singen. Dannecker ist der Humorvolle.
 
Mikrofon einer Band
Vorurteile abbauen

„Was sollen wir singen?“ fragt Dasch in die Runde. „Du bist okay“, platzt es aus Greco heraus. Der Song ist ein Klassiker der Band. So wie „Du bist okay“ haben viele der Songs im Repertoire einen motivierenden Inhalt. „Mit ihren Auftritten will die Band Vorurteilen entgegenwirken“, erklärt Mayer. Die Gesellschaft soll sehen, was Menschen mit Behinderungen leisten können. Dannecker wünscht sich Teilhabe auf Augenhöhe und keine Trennung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. „Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen, ‚normal‘ gibt es nicht. Das ist eine Wunschvorstellung von den Leuten, aber nicht die Realität“. Dabei gehe es immer darum, den Wert der Gemeinschaft zu betonen.

Eines fällt bei der Probe besonders auf: Weil Eller und Schiener nicht sehen können, liegen vor keinen der Bandmitglieder Texte oder Noten. Hier zeigt sich die Routine. Alle können die Texte und Melodien auswendig – sogar die Weihnachtslieder sitzen einwandfrei. Musikproduzent Dasch lacht und gibt zu, er könne sich nie alle Worte merken. Doch die Sänger sind aufeinander eingespielt. Texte, Töne und Einsätze – sie haben ihre Songs verinnerlicht.

Auch andere Barrieren überwindet die Band, erzählt Dasch. Zwar gebe es in den meisten Locations eine Rampe, die Band lehne aber keinen Auftritt ab, wenn die Bühne nicht barrierefrei zugänglich sei. Dann sei Teamwork gefragt: Die Rollstuhlfahrer könnten auf die Bühne gehoben werden oder vor der Bühne sitzen.
 
Corona als Prüfung

Trotz ihres Zusammenhalts musste die Gruppe auch schon schwere Zeiten durchstehen. Die Corona-Krise traf sie besonders hart. Als Risikogruppe konnten sich die Sänger lange nicht treffen. Von den rund 60 Auftritten pro Jahr konnten in dieser Zeit nur wenige stattfinden. Das habe sie eindeutig zurückgeworfen, meint Dasch. Jetzt arbeitet die Gruppe daran, wieder ihr altes Niveau zu erreichen.

Das fällt nicht leicht, denn ein Mitglied fehlt. Der langjährige Leadsänger Alexander Eberle starb im Jahr 2022 unvermittelt. Auch zwei Jahre später denken die Musiker noch oft an ihren Freund zurück. Bestimmte Songs und Situationen erinnern besonders an ihn, meint Dannecker. „Das hat uns schon nochmal zusammengeschweißt“. Vor allem das gemeinsame Trauern habe geholfen: „Dadurch, dass wir schon so lange beieinander sind, kennen wir uns gegenseitig sehr gut und wissen, wie wir uns auffangen können“, erzählt Dannecker.

Nach der Probe geht es für die meisten Musiker zurück in die Stadt – mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kann das kompliziert werden. Im Bus überlegt Hadyk nochmal: „War in der U-Bahn-Station nicht der Fahrstuhl kaputt?“ An diesem Abend geht es dann doch mit der Tram nach Hause. Auch wenn es manchmal schwierig ist, diesen Weg nehmen die Mitglieder der RolliGang immer wieder gerne auf sich – für die Musik und die Gemeinschaft.

Text: Lilly Krka, Volontärin beim Sankt Michaelsbund, Januar 2025