Neben der Arbeit am Krankenhaus bleibt für die Seelsorge oft wenig Zeit: Thomas Brei bei einem Gottesdienst
Was war Ihre Motivation, nach Tansania zu gehen?
Schon von Jugend an hat Tansania meinen Begriff von Afrika geprägt: Natürlich, es ist das Land der Serengeti, des Kilimanjaro, des Ngorongoro-Kraters und der Insel Sansibar. Gleichzeitig ist es ein armes aber auch stabiles und friedliches afrikanisches Entwicklungsland, wo man erwarten darf, dass nachhaltiges Arbeiten möglich ist. Für mich hatte es immer einen starken Bezug zu meiner Heimat –wegen der Missionsbenediktiner von St. Ottilien, die den Grundstein für das Christentum besonders im weiten Süden des Landes gelegt haben, und leider natürlich auch durch die deutsche Kolonialvergangenheit.
Was machen Sie dort konkret?
Ich baue ein neues Krankenhaus auf; es heißt St. Clare Hospital. Wir wollen in erster Linie für die arme Bevölkerungsmehrheit, die ohne Krankenversicherung und ohne ausreichende finanzielle Mittel für eine höherwertige medizinische Versorgung sind, da sein. 2011/12 habe ich in einem großen Krankenhaus gearbeitet, um das tansanische Gesundheitssystem besser kennen zu lernen und in der harten Realität des Medizinwesens in Tansania Erfahrungen zu sammeln.
2013 bis 2017 arbeitete ich als stellvertretende ärztliche Leitung hauptsächlich für ein Krankenhaus im entlegenen Ngorongoro-Distrikt, das von einem österreichischen Missionspriester und Arzt, Herbert Watschinger, 1964 gegründet worden war. Daneben begannen wir bereits 2014 mit dem Projekt St. Clare in Mwanza – es befindet sich auf dem Gelände der Armen Klarissinnen.
Was macht die Härte des Medizinwesens aus?
Die Härte besteht darin, dass man oft nicht machen kann, was man aus medizinischer Sicht in den unterschiedlichen Fällen eigentlich machen müsste: Das heißt, in Deutschland obligatorische Untersuchungen und Behandlungs-Schemata unterbleiben in Tansania oft aufgrund der Ressourcen-Knappheit: Beispielsweise wird im Fall von Brustkrebs oft keine frühzeitige diagnostische Sicherheit erreicht – Mammografie ist weitgehend nicht verfügbar, es gibt nur sehr wenige Pathologen für die Auswertung von Biopsien. Häufig wird dann nur in – aufgrund großer Verzögerungen in der Diagnosestellung – schon weit fortgeschrittenen Fällen die Brust amputiert, aber meist ohne ausreichende Lymphknoten-Entnahme und -Untersuchung. Begleitende Chemo-Therapie, antihormonelle Therapie und Nachbestrahlung unterbleiben, so dass die Heilungsrate im Vergleich zu Deutschland sehr gering ist.
Wie sieht Ihr Alltag aus – haben Sie auch Zeit zur Seelsorge?
Der Hauptteil meiner Zeit geht in den Aufbau des Krankenhauses und in die Beschäftigung mit den Nöten der Kranken und Angestellten. Als Beichtvater bin ich für die Klarissen-Schwestern da und halte im Kloster auch Gottesdienst; Donnerstagabends feiern wir regelmäßig zum Andenken an das Letzte Abendmahl eine eucharistische Anbetung im Anschluss an den Abendgottesdienst. Ansonsten helfe ich seelsorglich nur hier und da aus.
Haben Sie sich das Leben dort anders vorgestellt?
Ja, sicher, die Realität ist oft anders und facettenreicher als die Fantasie … Ich hatte vor allem keinen Begriff davon, wie anders die Menschen und ihre Kultur hier geprägt sind als ich.
Inwiefern sind die Menschen anders geprägt?
Trotz aller (oberflächlichen?) Fröhlichkeit und Leichtigkeit sind die Menschen in Tansania innerlich härter und mitleidloser, als ich das aus Deutschland gewohnt war. Ganz bedrängend finde ich auch den oft spürbaren Neid und die Missgunst gegenüber dem Erfolg des Nächsten. Ich erkläre mir das aus dem evolutionären Prinzip des „Survival of the fittest“, das hier die Menschen stärker bedrängt: Viele junge Menschen trachten nach Erfolg und nach Überleben; vielleicht braucht man in diesem Umfeld einfach viel mehr Egoismus und spitzere Ellenbogen.
Was überraschte Sie positiv? Was negativ?
Positiv: Wie wenig die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten zum Leben braucht – und trotzdem nicht mehr oder weniger glücklich ist als die Menschen im doch sehr gut versorgten Deutschland. Negativ: Wie Betrügerei, Lüge und „Sich-selbst-der-Nächste-sein“ im Umfeld der Armut um sich greifen und das Leben hart machen.
Was schätzen Sie besonders an dem Land und den Einheimischen?
Ihre Gelassenheit und ihren Optimismus. Die Hoffnung ist hier nicht umzubringen. Selbst wenn ein Mensch ein Dutzend Mal abgewiesen wird, werden die meisten nicht müde zu bitten und weiterzusuchen. Zu scheitern oder abgewiesen zu werden frustriert die meisten Menschen in Tansania nicht so tiefgehend, reaktiver Depressivität in den Ausprägungen Mitteleuropas begegne ich selten, so scheint es mir.
Was aus der Heimat vermissen Sie am meisten?
Offenheit – Direktheit, um nicht zu sagen „Wahrheitsliebe“. Ordnung, Ruhe und Zuverlässigkeit.
Werden Sie irgendwann wieder heimkehren?
Wenn mich Gott das priesterliche Ruhestandsalter von 70 Jahren erreichen lässt, vielleicht.
Das Interview führte Sandra Tjong, freie Redakteurin