Manche Menschen, die schwer oder gar final erkrankt sind, haben den Wunsch, ihrem Leiden frühzeitig mithilfe des assistierten Suizids ein Ende zu setzen. Seelsorger versuchen, die Ängste dieser Menschen in Gesprächen aufzufangen.
„Die Menschen können erzählen, was sie bewegt, und ich gehe dazu in Resonanz"
Wer schwer, vielleicht so gar final erkrankt ist, sehnt sich oft nach einem Menschen, mit dem er über seine Sorgen und Ängste sprechen kann. Jemand, dem er sich öffnen kann, ohne Rücksicht nehmen zu müssen, weil es sich um ein Familienmitglied oder die beste Freundin handelt, die sowieso schon Anteil am Schicksal des Patienten nehmen und sich Sorgen machen.
Dr. Wolfgang Lingl ist Seelsorger an der Palliativstation des Klinikums Großhadern und Leiter des Fachbereichs Seelsorge und Palliativ des Erzbistums München und Freising. Auf einer Palliativstation werden Menschen mit einer schweren, voranschreitenden Erkrankung behandelt. Doch es ist keine Sterbestation: „Die Palliativbetreuung kann Jahre dauern“, betont Lingl. Anders ist das in stationären Hospizen: Hier wird den Patienten ein Sterben in einem ganzheitlichen, geschützten Umfeld ermöglicht, in dem sie gut umsorgt werden.
Seelsorger machen Gesprächsangebote, das heißt, sie kommen auf die Patienten zu. Die Themen, über die die Menschen sprechen wollen, sind ganz unterschiedlich: „Das kann die Freude darüber sein, dass das Enkelkind zu Besuch kommt, aber auch die Nöte der Erkrankung oder die Sorge um die Angehörigen.“
Manchmal äußern die Patienten in den Gesprächen den Wunsch nach assistiertem Suizid, also den Wunsch, dem eigenen Leben mit der Hilfe eines Dritten ein Ende zu setzen. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2020 ein Recht auf einen solchen assistierten Suizid einräumt, bleibt die katholische Kirche bei ihrer restriktiven Haltung und setzt sich für den Schutz des Lebens ein.
Gespräch nicht verweigern
Das heiße jedoch nicht, dass Seelsorger Menschen mit diesem Wunsch ein Gespräch verweigern, sagt Lingl. Im Gegenteil. Gerade wenn ein Mensch den Wunsch nach assistiertem Suizid äußert, schauen sie sich gemeinsam seine Ängste an. „Schließlich sind Todeswünsche in einer so akuten Situation nichts Unübliches“, sagt Lingl. Schon die Aussicht auf eine gute Behandlung der Schmerzen relativiere häufig den Wunsch nach assistiertem Suizid. Auch die psychische, soziale und spirituelle Belastung kann mit dem Seelsorger besprochen werden, ebenso der Angst vor Autonomieverlust.
Diese Erfahrung macht auch Dr. Thomas Hagen, Leiter der Hauptabteilung „Seelsorge in Lebensumständen und Lebenswelten“ im Erzbistum München und Freising und in der Krankenpastoral tätig. Oft haben die Patienten Angst vor dem Sterben, weil sie einen Angehörigen qualvoll haben sterben sehen. Umso wichtiger, wenn sie im Seelsorgegespräch Raum bekommen, das zu thematisieren. „Ihnen tut es gut, wenn wir sagen, dass man helfen kann, wenn jemand keine Luft bekommt.“
Plakat des 13. Diözesanen Ärztetags
Auch er betont: „Jedes Leben, egal in welcher Phase oder Ausgestaltung, ist lebenswert.“ Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen sei für jeden Seelsorger zentral, so Hagen. Deshalb sei er dankbar, wenn er in ein Krankenzimmer hineinkomme und jemand ihm seine Sorgen und Nöte anvertraue: „Denn das müssen die Menschen nicht.“
Wichtig ist sowohl für ihn als auch für seinen Kollegen Lingl, in solchen Gesprächen keine festgelegte Agenda zu haben: „Die Menschen können erzählen, was sie bewegt, und ich gehe dazu in Resonanz.“ Lingl sieht es als seine Aufgabe, mit Distanz auf die Sorgen der Patienten zu schauen. Die häufigste Frage ist wohl: „Warum ich? Warum lässt Gott dieses Leid zu?“ Manchmal erzähle er dann von seinem Glauben, sagt der Seelsorger, doch meistens gehe es für die Patienten darum, diese existenzielle Erfahrung zu verarbeiten. Das Motto der Seelsorger lautet: „Was soll ich Dir tun?“ Man gibt das, wonach man gefragt wird.
"Ich habe das nicht zu bewerten"
Trotz intensiver Gespräche halten manche Menschen an ihrem Wunsch nach assistiertem Suizid fest. Wie geht ein Seelsorger damit um? „Ich habe das nicht zu bewerten“, meint Lingl. Er steht weiterhin als Gesprächspartner zur Verfügung, entziehe sich dem Leid der Patienten nicht. Das Gegenüber müsse seinen Weg selbst bestimmen, da helfe es nicht, ihn zu „dirigieren“. Optionen aufzeigen wolle er aber schon. Auch für Hagen gilt, den Suizid „als eine Option zu sehen, die nicht sinnvoll ist und die ein Mensch nicht wählen sollte.“ Trotzdem dürfe die Kirche Menschen nicht verurteilen, die diesen Schritt gehen.
Beim 13. Diözesanen Ärztetag in München geht es am Mittwoch, den 20. September, um den Wunsch nach assistiertem Suizid als Herausforderung für Ärzte, Pflegepersonal und Seelsorger. Lingl weiß aus eigener Erfahrung, dass dieses Thema alle herausfordert. „Ärzte und Pfleger wollen heilen oder zumindest Leiden lindern. Wenn jemand den Wunsch nach assistiertem Suizid äußert, bringt sie das in einen Gewissenskonflikt, weil der Suizid ein autoaggressiver Akt ist“, meint Lingl.
Neben Vorträgen soll deshalb vor allem der Austausch im Vordergrund stehen: Wie verhalte ich mich, wenn ein Patient diesen Wunsch äußert? Schließlich äußern immer mehr Menschen den Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod. „Es kann ein Pfund sein, dass die Kirche für das Leben ist“, meint Seelsorger Lingl. Auch wenn sie ihr vielleicht nicht zustimmten, wüssten die Menschen doch: „Bei der Kirche steht eine Haltung dahinter.“
Text: Maximilian Lemli, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, September 2023