Wer in einer Phase der Weltgeschichte, die von einer Zunahme längst überwunden geglaubter Nationalismen im Stil von „America first“ geprägt ist, mit einer globalen Perspektive auf das Weltgeschehen schaut, die noch dazu weltweite Gerechtigkeit und Solidarität einfordert, wird schnell als Nischendenker oder träumender Aktivist abgestempelt werden.
Solange aber jeder siebte Erdbewohner hungert oder mangelernährt ist, mindestens 20 Millionen Menschen in ihrer Lebensgestaltung schon jetzt negativ vom Klimawandel betroffen sind und versuchen, ihr Leben in Sicherheit zu bringen, solange kann der privilegierte Teil der Menschheit nicht ruhig bleiben und sein Leben genießen – zumindest nicht, wenn er die Botschaft der Bibel ernst nimmt. Darauf weist nicht zuletzt Papst Franziskus immer wieder hin, wenn er vor einer Globalisierung der Gleichgültigkeit warnt und stattdessen eine Globalisierung der Solidarität einfordert, durch die der Schrei der Armen und Marginalisierten hörbar wird. Denn gerade die am meisten Erschöpften haben keine Worte, weil ihre Lebenskraft vielleicht gerade bis zum nächsten Wasserloch reicht und ihr tägliches Leid alternativlos erscheint. In einer von Konsum und Wachstum dominierten Welt kommen sie nicht vor, sind sie irrelevant, haben sie kein Zuhause. Sie brauchen Menschen, die ihr Leid für sie in Sprache bringen können und anwaltschaftlich für sie eintreten.
Die Rede Jesu von der wahren Gerechtigkeit ist die Rede der Seligpreisungen: Gott stellt alle Armen, Trauernden, Gewalt Ausgesetzten, Hungernden, Dürstenden, Barmherzigen, Frieden Stiftenden, Verfolgten, Beschimpften und Verleumdeten unter seinen besonderen Schutz. Er gibt ihnen durch diese Wahrnehmung und dieses In-die-Mitte-des-Lebens gerücktwerden die uns Menschen zugesprochene Würde und Gottes Ebenbildlichkeit zurück. Gerechtigkeit hat also Vorrang: „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“(Mt 6,33) In seinem Reich ist Platz für alle Ausgegrenzten und ein Leben in Würde. Solidarität und der Einsatz für weltweite Gerechtigkeit erscheinen so als Geschwister.
iStock-655886800_stock_colors
Solidarität hat viele Gesichter: sich an die Seite der Armen stellen, Menschen dabei unterstützen, sich selbst zu helfen, investieren in Recht und Gerechtigkeit, Geld und Güter teilen und umkehren durch einen nachhaltigen Lebensstil. Es bedarf der konzeptionellen Vision und einer Grundhaltung der Empathie, die in solidarisches Handeln mündet. Mercedes Sosa bittet in einem ihrer Lieder eindringlich: „Nur darum bitte ich Gott, dass mir der Schmerz nicht gleichgültig sei.“ Jedes Engagement, jeder Beitrag zu weltweiter Gerechtigkeit und Solidarität lässt sich somit daran messen und überprüfen, ob er Leben verteidigt und Leben in Fülle ermöglicht.
Zu guter Letzt: Jedes entsprechende Engagement – und sei es noch so klein – schenkt Lebenssinn und Lebensfreude zurück und eröffnet Zukunftschancen hier und jetzt und für die nachfolgenden Generationen.