Ein Jahrestag wie der des schrecklichen Reaktorunfalls im japanischen Fukushima oder Anlässe, wie die vom 20.-22. Juni 2012 stattfindende UN-Konferenz Rio + 20, die aufbaut auf den wegweisenden UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung 1992 im
brasilianischen Rio de Janeiro, können Anlass sein für eine Reflexion über christliche Verantwortung in der Welt von heute.
Nach wie vor gültig sind hierfür die Aussagen der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils. Bereits in deren Vorwort bekunden die Konzilsväter die engste Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie und sie bekennen den Auftrag der Kirche zum Dienst am Menschen. In den Worten der Konstitution selbst: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten alle Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden. (Nr. 1) (...) Es geht um die Rettung der menschlichen Person, es geht um den rechten Aufbau der menschlichen Gesellschaft" (Nr. 3).
Das Konzil scheut nicht davor zurück, dieser inhaltlichen Zielvorgabe eine sehr konkrete Methodik zu deren Umsetzung an die Seite zu stellen: "Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben" (Nr. 4).
Diese Aussagen verdeutlichen, dass, wenn Kirche sich zu drängenden Herausforderungen unserer Zeit äußert, sie nicht in Gebieten wildert, die ihr als vermeintlich exklusiv auf das Jenseits ausgerichtete Institution gar nicht zustehen, und es sich auch nicht um das moralinsaure Bepredigen der Spaßgesellschaft durch dauerunzufriedene Gutmenschen handelt. Nein, Christinnen und Christen handeln gemäß ihrer Pflicht, sie sind ausgerichtet auf das Reich Gottes, aber verwurzelt im Hier und Heute. (Nebenbei bieten diese Passagen aus "Gaudium et spes" auch eine Interpretationshilfe zum rechten Verständnis des inzwischen berühmt gewordenen Diktums Papst Benedikts XVI. von der zu fordernden Entweltlichung der Kirche ...). Damit müssen Christinnen und Christen in den gesellschaftlichen und politischen Debatten unserer Zeit stehen, dürfen sich in ihren Positionen aber nicht darin erschöpfen, rein innerweltliche Kalküle zu bedienen. Es geht um die Botschaft vom kommenden Reich Gottes, an dessen anfanghafter Verwirklichung in dieser Welt sie aufgerufen sind mitzuwirken. Dieser Auftrag nimmt in die Pflicht, aber er befreit gleichzeitig von der Last, alles selbst bewerkstelligen zu müssen, denn: Christinnen und Christen leben in der Hoffnung, dass da einer ist, der ihnen gut will, der sie trägt in seiner bergenden Hand im Lauf durch die Zeit, und der uns und unsere Welt einmal der Vollendung zuführen wird, ein Zustand, den die englische Mystikerin Juliana von Norwich beschreibt als: all shall be well and all shall be well. Noch aber ist es nicht soweit, noch gibt es zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit auf dieser Welt, noch leben wir auf Kosten unserer Mitmenschen, noch leben wir auf Kosten der nichtmenschlichen natürlichen Um- und Mitwelt, noch leben wir auf Kosten kommender Generationen.
Sich diesen Aufgaben zu stellen, bedeutet häufig genug das Bohren dicker Bretter. Umso wichtiger ist die Gemeinschaft Gleichgläubiger, und umso wichtiger ist ein regelmäßiges Sich-Vergegenwärtigen der Botschaft, die wir verkünden, und der
Konsequenzen, die daraus abzuleiten sind. Anlässe hierfür gibt es im Kirchenjahr bzw. liturgischen Kalender genügend, und wem der Brückenschlag vom Erntedankfest oder dem Franziskustag zum Klimaschutz oder einem neuen Umgang mit den Ressourcen dieser Welt zu weit ist, der kann ja trotzdem den Fukushima-
Jahrestag oder eine UN-Konferenz zum Anlass nehmen, darüber nachzusinnen, was das mit uns als Christinnen und Christen in der Welt von heute zu tun haben könnte.
Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter der Erzdiözese München
und Freising