In seinem seinerzeit vielbeachteten Standardwerk „Die Kirche“ setzt sich Hans Küng auch mit dem Begriff des „allgemeinen Priestertums aller Gläubigen“ auseinander – eine Darlegung, der man sich immer wieder erinnern sollte und die hier, leicht gekürzt, wiedergegeben wird.
Kirche ist Gottesvolk, und wir sahen, dass deshalb nie nur eine bestimmte Klasse oder Kaste innerhalb der Glaubensgemeinschaft Kirche ist. Sondern alle Glaubenden, in einer grundlegenden Gleichheit, sind die Kirche, sind Glieder des Gottesvolkes. Sie alle sind „Erwählte“, „Heilige“. „Jünger“, „Brüder“. Und gerade so sind sie die königliche Priesterschaft. … Für die Heilzeit verheißen es die Propheten, dass ganz Israel ein Priestervolk sein werde. … (Es) sind dies Verheißungen, die die junge Kirche in Ihrer Wirklichkeit erfüllt sieht, doch in ganz neuer Weise: statt nur des einen Volkes Israel sind es nun die Menschen aus allen Heidenvölkern, die zum heiligen und priesterlichen Eigentumsvolk berufen sind.
Kirche ist Christusleib, und wir sahen auch da, dass nicht nur ein paar besonders vornehme Glieder, sondern alle Glieder im Leib Christi wichtig und mitbestimmend sind. Sie alle haben, auch hier aufgrund einer fundamentalen Gleichheit, ihre ganz bestimmte Würde und Aufgabe. Nicht einmal das Haupt kann etwa zu den Füßen sagen, es bedürfe ihrer nicht. Nein, sie alle haben einen Dienst aneinander zu erfüllen, in gegenseitiger Sympathie, in Mitleiden, Freude und Hilfe.
Kirche ist Geistesbau, und wir sahen auch hier, dass nicht nur ein paar ausgewählte Mittlergestalten vom Geist getrieben werden, es sind vielmehr alle Glaubenden vom Geist erfüllt. Die Propheten haben für die Endzeit die allgemeine Geistausgießung über alles Fleisch angekündigt; allen Kindern des Volkes soll der Geist ins Herz gelegt werden. Auch hier erkennen die neutestamentlichen Schriften die Erfüllung: Über die ganze Gemeinde und jeden Einzelnen ist der Geist ausgegossen worden. Alle Christen sind unmittelbar vom Geist belehrt, geführt, getragen und sollen nach dem Geiste leben. …
So erweist sich die Kirche als Geistestempel, als Tempel, der aus dem Geist existiert und bis ins letzte Glied hinein vom Geist erfüllt und belebt ist. Und gerade dieses Bild vom Geistestempel … geht von selbst in das Bild von der Tempel-Priesterschaft über: „Zu ihm hinzutretend, dem lebendigen Stein, der zwar von Menschen verworfen wurde, bei Gott aber auserlesen kostbar ist, sollt auch ihr selber, gleichsam als lebendige Steine, euch erbauen lassen als geistiges Haus zur heiligen Priesterschaft, um geistige, Gott wohlgefällige Opfer darzubringen durch Jesus Christus“ (1Petr 2,4f.). Auch hier sind nicht irdisch-stoffliche Opfer, sondern pneumatisch-geistliche Opfer – Gebet, Lob und Dank, Früchte der Buße, des Glaubens und der Liebe – gemeint, Opfer, die nicht aus eigener Kraft, sondern „durch Jesus Christus“, den einen Mittler und Hohenpriester, dargebracht werden. So sollen die Glaubenden selbst im Tempel dienen als ausgesonderte „heilige Priesterschaft“.
Hans Küng, Die Kirche. Freiburg: Herder 1967, S. 437ff.
Das Buch erschien in der Reihe „Ökumenische Forschungen“, die gemeinsam von Hans Küng und Joseph Ratzinger herausgegeben wurde. Text wurde ausgewählt von Franz Josef Zeheter, Petersberg