Am 11. Februar 2008, zur Eröffnung der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, feierte Kardinal Lehmann das letzte Mal als Vorsitzender den Eröffnungsgottesdienst. In seiner Predigt setzte er sich mit der Gerichtsrede im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums auseinander. Der Text (Mt 25,31-46) dürfte allgemein bekannt sein. Es wird erzählt, wie der König des Endgerichts die Werke der Barmherzigkeit zum Maßstab für das Urteil über das Leben der Menschen macht: „
Was ihr dem Geringsten meiner Brüder (nicht) getan habt, das habt ihr auch mir (nicht) getan.“ Dazu Kardinal Lehmann:
„Dieses Bild steht in seiner ganzen Dramatik vor uns. Es will uns nicht Angst einjagen. Aber es will uns den Blick weiten bis an die Grenzen unserer Erde und unserer Zeit. Es ist zugleich letzte Mahnung und Warnung vor der unentrinnbaren Katastrophe, wenn wir diese Aussagen und Bilder nicht ernst nehmen. Damit wird auch deutlich, dass dieses Gericht auch uns selbst, ja die ganze Kirche, im Blick auf ihre letzte Bestimmung vor die Frage stellt: Wohin willst du? Was ist dein Ziel? Was willst du erreichen? Was ist dir wichtig, und zwar in diesem Leben? Da wird nicht nach einem fernen Jenseits geschielt. Es ist geradezu aufregend, dass von den Menschen nicht zuerst oder allein ein Messias-Bekenntnis abverlangt wird. Natürlich wird das Glaubensbekenntnis auch nicht einfach relativiert (vgl. dazu nur Mt 10,32 f.). Aber die Erzählung – nennen wir einmal die Darlegung so – bringt doch die Sache auf den Punkt: Allein menschliches Handeln gibt den Ausschlag. Allein die Barmherzigkeit im Leben kann im Gericht bestehen, sie triumphiert gleichsam sogar über das Gericht.
Unter diesem Gericht steht eben auch die Kirche selbst, jede einzelne Gemeinde, jeder einzelne Christ, letztlich jeder Mensch (vgl. dazu Mt 7,21 f.; 13,36-43. 49 f.; 18,23-35; 22,11-14). Gerade wenn der Kirche das Evangelium Jesu Christi anvertraut wird, bleibt sie selbst unter diesem Wort, unter seinem Richtmaß. Bei aller Nähe und Intimität zum Evangelium tut sich hier auch ein Raum des fundamentalen Gehorsams zwischen dem Herrn und seiner Kirche auf: Darauf allein kommt es an. Vor diesem Wort wird alles, was wir tun, vorläufig, oder besser gesagt: es wird von einem letzten Ernst der Liebe her gemessen und gewogen. Es gibt einen letzten Vorbehalt in allem, was wir tun, ob wir nämlich diesen Willen Jesu, die neue Gerechtigkeit erfüllt haben oder ob wir letzten Endes doch, vielleicht sogar ohne es zu wissen, zwiespältige Heuchler sind. Um so mehr brauchen auch wir Vergebung und Barmherzigkeit. Gericht und Gnade gehören eng zusammen.“
Der ganze Predigt-Text findet sich auf der Homepage der Deutschen Bischofskonferenz: www.dbk.de/aktuell/meldungen/01606/index.html
Franz Josef Zeheter, Petersberg