(Münchner Kirchenzeitung vom 23.02.2020)
Der Verzicht von Reinhard Kardinal Marx auf eine erneute Kandidatur zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz hat uns alle überrascht. Als Diözesanrat bedauern wir auf der einen Seite seine Entscheidung, weil er dieses Amt aus unserer Sicht hervorragend ausgeübt hat. In der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, in der erhitzten Flüchtlings-Debatte, in der immer drängender werdenden ökologischen Frage und in der ökumenischen Zusammenarbeit hat er nachhaltige und unmissverständliche Akzente gesetzt. Den dringend anstehenden kirchlichen Reformprozess mit dem „Synodalen Weg“ trotz großer Bedenken einer Minderheit ohne Gegenstimmen in der Deutschen Bischofskonferenz verabschiedet zu haben, ist wesentlich sein Verdienst. Auch die gute Zusammenarbeit mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die breite Einbindung verschiedener Strömungen innerhalb des Volkes Gottes für dieses Projekt trägt unverkennbar seine Handschrift. Er hat den schwierigen Balanceakt, die widerstreitenden Kräfte zusammenzuhalten und an einem Tisch zu versammeln, sehr gut gemeistert. Auch die immer wieder notwendige Vermittlung mit Rom ist ihm in dieser Funktion erstaunlich gut gelungen. Dafür gebührt ihm unser aller Dank.
Ich habe auf der anderen Seite durchaus Verständnis und großen Respekt vor der Entscheidung von Kardinal Marx. Realistisch auf die eigenen Kräfte und Ressourcen zu blicken, ist ein Zeichen von Klugheit. Außerdem ist es legitim, Ämter auf Zeit auch wieder aufzugeben bzw. sich in einer souveränen Art ohne Druck von außen nicht mehr zur Wahl zu stellen und dadurch anderen diese Aufgaben erst zu ermöglichen. Im Hinblick auf das Synodalforum „Macht und Gewaltenteilung“ kann dies durchaus als Vorbild dienen. Dass unser Erzbischof als eine Begründung für seinen Verzicht den nun beginnenden Strategieprozess in unserem Erzbistum anführt, freut mich. Von seiner stärkeren Präsenz wird die Diözese auch geistlich profitieren.
Außerdem bin ich mir sicher, dass Kardinal Marx weiterhin klare und inspirierende Impulse in Staat, Kirche und Gesellschaft setzen wird. Er wird überall unermüdlich für eine offene Gesprächs- und Dialogkultur werben und dadurch für viele ein wichtiger Motivator bleiben. Vielleicht kann er dabei sogar freier agieren, wenn er nicht mehr so stark in die Vermittlerrolle gezwängt ist. Für den Synodalen Weg kann dies durchaus ein Gewinn sein. Auch dass er seine römischen Funktionen behält, stimmt mich gerade in der momentanen Situation zuversichtlich. Als Sozialethiker wird er ohnehin auch künftig seine Stimme für die Armen, Schwachen und Benachteiligten ergreifen. Die Botschaft Jesu und der Einsatz für die Würde jedes einzelnen Menschen wird von ihm auch in Zukunft nicht auf katholische Milieus und nationalistische Sichtweisen eingeengt werden. Er wird als Erzbischof von München und Freising und als Kardial der Weltkirche energisch dafür eintreten, dass wir uns als Kirche Jesu Christi zu ökologischen und sozialen Fragen klar positionieren und uns nicht in eine nur fromme Ecke abdrängen lassen. Der Diözesanrat der Katholiken der Erzdiözese München und Freising wird ihn dabei nachdrücklich unterstützen und eigene Akzente setzen.
Lieber Herr Kardinal, wir haben noch viel zu tun. Packen wir’s an!