Lunte löschen!
Natürlich dürfen wir Christen nicht abseits stehen, wenn die Werte des christlichen Abendlandes angegriffen werden. Aber die Frage muss erlaubt sein, wer hier eigentlich wen angreift und welche Werte zur Disposition gestellt werden. Geht es um die positive Vergewisserung der Menschenwürde, der Solidarität, der Gerechtigkeit, der Gewissens-, Meinungs- und Glaubensfreiheit, der Gewaltlosigkeit, der Nächstenliebe, der Toleranz und der Bewahrung der Schöpfung? Klar, dann sollten möglichst viele Christinnen und Christen überall in Deutschland und anderswo zum Ausdruck bringen, wie wichtig uns die Botschaft dieses Jesus von Nazareth noch heute ist.
Das Gebet in Kirchen und frommen Zirkeln ist wichtig, alleine aber zu wenig. Denn wenn wir kapiert haben, dass das Christentum eine nationale und egoistische Engführung der Frohen Botschaft geradezu verbietet, dann reichen wir wie der Samaritaner die helfende Hand allen, die unter die Räuber gefallen sind. Provokant könnten wir aber fragen, ob Christus uns deutsche Gutmenschen nicht auch zu den Räubern zählt, wenn wir beitragen oder es nicht verhindern, dass Kinder, Frauen und Männer unter menschenunwürdigen Bedingungen produzieren müssen, weil wir Schnäppchen machen wollen? Sind etwa die 1.100 Menschen in der Textilfabrik Rana Plaza 2013 nicht auch unter abendländische Räuber gefallen? Werden katastrophale Dürren, Überschwemmungen und Stürme nicht erst dadurch ausgelöst, dass die westlichen Industrienationen ihre überbordenden CO2-Emissionen bei jeder Klimakonferenz großmundig zu drosseln versprechen, es aber weiterhin nicht schaffen? Ist es nicht auch räuberisch, wenn Militär- und Waffentechnik direkt oder indirekt in Krisenregionen exportiert wird?
Machen wir uns nichts vor, wir tragen sehr wohl Mitverantwortung für das Schicksal der Menschen in anderen Ländern und für ihre Fluchtgründe. Vor allem aber tragen wir Verantwortung für die bei uns lebenden Migranten. Dass die Wirtschaft Zuwanderung nach Deutschland dringend fordert, sollte hier auch nicht gänzlich unerwähnt bleiben.
Was 1989 als Antwort auf die Durchsagen der Volkspolizei skandiert wurde, verkommt zur Parole der Intoleranz und der Ausgrenzung, wenn in Dresden Tausende das Abendland gegen Islamisierung verteidigen wollen, obwohl in Sachsen lediglich 0,1% Muslime und auch nur eine Minderheit von 23,6% Christen leben. „Nur wir“ sind das Volk, ist ein brandgefährlicher Trugschluss. Um eines ganz klar zu sagen, niemand will Verbrecher und Terroristen dulden, egal woraus deren Hass und kriminelle Energie gespeist sind. Nach dem barbarischen Akt verblendeter islamistischer Fanatiker in Paris ist nun aber nicht die Zeit für Populismus und demagogische Hetze, sondern für Besinnung, verbale Abrüstung und für konstruktiven, differenzierten Dialog. Alle Menschen guten Willens sind dringlich gefordert, die Lunte am Pulverfass zu löschen und zusammen zu stehen, egal zu welchem Gott sie beten.
Unterstützen wir unsere Politiker gerade jetzt bei ihrem Bestreben, Zusammenhänge klar zu machen, Ängste abzubauen, Sorgen ernst zu nehmen und echte christliche Werte zu vermitteln. Helfen wir ihnen, dem parteipolitischen Reflex zu widerstehen, Ressentiments gegen Ausländer zu schüren, um vermeintliche Wählerstimmen am rechten Rand zu gewinnen. Machen wir ihnen klar, dass sie die christliche Mitte verlieren, wenn sie allzu sehr auf den braungefärbten, faktisch atheistischen rechten Rand schielen.