Stolz
Ist es Zufall, Glück, Schicksal oder göttliche Fügung, wenn wir als Deutsche nach 1945 in Deutschland geboren wurden? Können wir tatsächlich auf unsere Nationalität stolz sein, wie manche Ewiggestrige das überheblich und plakativ behaupten? Dürfen wir stolz sein auf die großartige Leistung anderer? Stolz beispielsweise auf die Fußballnationalmannschaft, die uns diesen Sommer so viel Freude bereitet hat und die im Umgang mit den hoffnungslos unterlegenen Gastgebern aus Brasilien respektvoll und anständig geblieben ist? Natürlich dürfen wir, wie alle Sportfans mit den Sportlern des eigenen Landes mitfiebern, sonst verliert der Sport seine Faszination und seine Gemeinschaft stiftende Funktion. Aber allzu sehr übertreiben sollten wir es nicht mit unserem National- und Heimatstolz, zumal die ursprüngliche Herkunft so mancher Idole in dieser Hinsicht durchaus Vorsicht gebietet.
Fraglich ist auch, ob wir kollektiv stolz sein können auf die deutsche Wirtschaft und die gefühlte Vollbeschäftigung, wenn in anderen Ländern der EU vierzig Prozent der Jugendlichen trotz großer Bemühungen keine Arbeit finden und auch hierzulande die Ränder der Gesellschaft immer weiter von der Mitte wegdriften? Können wir stolz sein auf unsere Rechtsordnung und unser Sozialsystem, wo wir doch wissen, dass Menschen in vielen Ländern aus unterschiedlichsten Gründen ums Überleben kämpfen oder in die Flucht getrieben werden?
Keine Frage, wir können heilfroh sein, dass wir in Deutschland seit bald siebzig Jahren in Frieden und Wohlstand leben dürfen. Aber wenn wir daraus Stolz gegen andere entwickeln, wenn wir rassistische Häme über Menschen anderer Völker und Nationen ausgießen, wenn wir Solidarität nur nach innen üben und wenn wir die Verantwortung für das Schicksal notleidender Menschen abschieben, dann wird Stolz zu dem, was in der katholischen Tradition als eines der sieben Hauptlaster bezeichnet wird und was der Hl. Thomas von Aquin zu den Wurzelsünden zählt. Im Buch der Sprüche lesen wir: „Ein stolzes Herz ist dem Herrn ein Gräuel und wird gewiss nicht ungestraft bleiben.“ Wie drastisch diese Strafe aussehen kann, sehen wir in Psalm 101, wo steht, dass Gott Leute mit überheblichem Blick und stolzem Herzen nicht in seiner Nähe dulden will. Gottesferne ist für einen gläubigen Menschen sicherlich die radikalste Art der Bestrafung. In dieser Konsequenz hält der Volksmund den schärfsten Begriff für den Stolz parat. Er nennt ihn eine Todsünde.
Ganz so weit müssen wir nicht gehen. Denn es gibt auch legitime Formen und gute Gründe, stolz zu sein. Vielleicht gelingt es uns aber, unseren Stolz durch eine gebührende Portion Demut zu domestizieren und durch das Bewusstsein, dass vieles, wenn auch gewiss nicht alles, der Gnade Gottes zu verdanken ist. Vielleicht dürfen wir dann auch mit einem Quäntchen Stolz auf das zurückblicken, was wir in diesem Jahr gemeinsam geschafft haben – als Kirche, als Gesellschaft und auch ganz persönlich. Und wenn wir schon dabei sind, warum nehmen wir uns nicht für das neue Jahr vor, unsere Gnadengaben weiterhin und noch mehr einzusetzen im Dienst für die anderen? So wünsche ich uns allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gnadenreiches neues Jahr.