(Münchner Kirchenzeitung vom 19.10.2014)
Menschen fliehen aus dem Elend zu uns. Das Wort Elend stammt aus dem mittelhochdeutschen ellende, das zunächst anderes, fremdes Land, oder Verbannung bedeutete. Elend beschreibt einen Zustand von Not, Armut, Hilflosigkeit, Vereinsamung oder Ausgestoßenheit. Im tatsächlichen und übertragenen Sinn ist es aber auch ein elendiglicher Zustand, wenn Flüchtlinge in Deutschland so behandelt werden, wie in diesen Flüchtlingsheimen in Nordrhein-Westfalen. Gott sei Dank ist das nicht bei uns passiert. Ja wissen wir das? Können wir sicher sein, dass das nicht auch bei uns geschieht? Was heißt überhaupt bei uns? Wie ist die Situation in bayerischen Unterkünften? Wo endet unsere Verantwortung? In der Bayernkaserne, in Zirndorf, in Deggendorf oder Rosenheim? Sind wir nicht auch für die Menschen auf Lampedusa, in Dadaab (Kenia), für die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak, Palästina oder aus dem Gazastreifen verantwortlich, selbst wenn sie nie einen Fuß auf deutschen Boden setzen?
Grundsätzlich ist zu sagen, dass christliche Solidarität und Verantwortung in und für die Weltschicksalsgemeinschaft im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos sind. Gleichzeitig aber ist es legitim, sinnvoll und notwendig, wenn die Flüchtlingshilfe subsidiär geleistet wird. Anders geht’s gar nicht. Natürlich ist immer noch mehr möglich und nötig. Aber das Engagement unserer Kirche in diesem Bereich durch einzelne Christinnen und Christen, durch Pfarreien und kirchliche Initiativen bis hin zur Bistumsleitung erfüllt mich mit einem gewissen Stolz. Und ich bin froh, dass der Diözesanrat seinen Beitrag dabei leistet und künftig weiter leisten wird. Im Nachgang zur Frühjahrs-Vollversammlung darf ich auf die stetig anwachsende „Landkarte der Solidarität" hinweisen, die das vielfältige und bewundernswerte Engagement vieler Laien an der sogenannten Basis dokumentiert. Zusammen mit den redlichen Bemühungen des Ordinariates, der Caritas und der sozialen Fachverbände entsteht ein immer dichter werdendes Netz, das Asylsuchende und Flüchtlinge auffangen und ihnen einen Weg aus dem beschriebenen Elend weisen kann.
Dieses Engagement auf ehrenamtlicher Seite braucht natürlich institutionelle und professionelle Unterstützung, damit es gemäß dem Prinzip der Subsidiarität vor Ort wirkmächtig wird. Hinweisen möchte ich auf die Handreichung des Caritasverbandes für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer und auf all die wertvollen Links, die Sie auf unserer Homepage dazu finden. Ich weiß außerdem, dass im Ordinariat momentan intensiv und mit Hochdruck daran gearbeitet wird, den christlichen Worten noch mehr sichtbare Taten folgen zu lassen. Als Diözesanrat stehen wir dabei mit Überzeugung an der Seite des Generalvikars und seiner Mitarbeiter.
Darüber hinaus erheben wir unsere Stimme auch im gesellschaftlichen und politischen Raum, denn in erster Linie ist in dieser Problematik der Staat gefragt. Wir helfen mit, dass die politischen Akteure, die Dringlichkeit erkennen und umgehend Verbesserungen für die Flüchtlinge hierzulande und weltweit in die Wege leiten. Der gute Wille ist vielen Politikern inzwischen nicht mehr abzusprechen. Das war nicht immer so. Und deshalb möchte ich allen Verantwortungsträgern an dieser Stelle explizit für Ihr Engagement danken, nicht zuletzt auch den christlichen Politikerinnen und Politikern in unseren Gremien, gleich welcher Partei sie angehören. Nicht vergessen dürfen wir die Menschen in den Behörden, Ämtern und den Einrichtungen selber, die bei der Flüchtlingsunterbringung und -betreuung ihr Menschenmöglichstes tun. Super, aber bitte macht weiter und lassen Sie sich nicht entmutigen!
In diesem Zusammenhang möchte ich zum Schluss ein Thema ansprechen, das mich als Sozialethiker und Vorsitzender des Diözesanrates durchaus ratlos macht. Dürfen wir Waffen in Kriegsregionen liefern, um dem Abschlachten von Menschen, wie wir es tagtäglich in den Nachrichten sehen, lesen und hören, Einhalt gebieten zu können? Ja, müssen wir es nicht sogar tun? Sollten wir uns nicht als Bundesrepublik, als Bündnispartner unmittelbarer engagieren? Müssten wir nicht noch mehr unserer Soldaten die blauen Helme aufsetzen? Die schönen Sätze, die ich als junger Kriegsdienstverweigerer auf meiner Fototasche trug, „Frieden schaffen ohne Waffen" und „Schwerter zu Pflugscharen", haben längst ihre Unschuld verloren.
Auszug aus dem Bericht von Hans Tremmel bei der
Herbstvollversammlung 2014